Fall Rinner-Kühn EuGH Slg. 1989, 2743
Frau R ist auf Basis von 10 h in der Woche als Reinigungskraft bei der Gebäudereinigungsfirma FWW Spezial-Gebäudereinigung beschäftigt. Als sie erkrankt, weigert sich der Arbeitgeber, ihr als geringfügig Beschäftigte Lohnfortzahlung zu leisten. Nach der alten Regelung von § 1 Abs. 3 Nr. 2 Lohnfortzahlungsgesetz vom
27. Juli 1969 bestand kein Anspruch auf Lohnfortzahlung für Arbeitnehmer, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich 10 h oder monatlich 45 h nicht übersteigt. Auf die Klage von R legte das Arbeitsgericht Oldenburg dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine gesetzliche Regelung, die Arbeitnehmer, die weniger als 10 h in der Woche oder 45 h im Monat arbeiten, von Entgeltfortzahlungsleistungen ausnimmt, mit Art. 157 AEUV vereinbar sei.
Der EuGH sieht in dem Ausschluss von Teilzeitarbeitnehmern von Entgeltfortzahlungsleistungen eine unzulässige mittelbare Entgeltdiskriminierung von Frauen nach Art. 157 AEUV bzw. der Richtlinie 2006/54/EG. Nach Auffassung des EuGH habe Deutschland nicht dargelegt, dass die Ausschlussregelung im damaligen Lohnfortzahlungsgesetz durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, gerechtfertigt sei.
1. Der im Krankheitsfall fortgezahlte Arbeitnehmerlohn fällt unter den Entgeltbegriff im Sinne von Art. 119 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 157 AEUV). (Rn. 7)
2. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich weiterhin, dass prozentual erheblich weniger Frauen als Männer die wöchentliche oder monatliche Mindestzahl der Arbeitsstunden leisten, die Voraussetzung für den Anspruch auf Lohnfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist. (Rn. 11)
3. Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass § 1 Abs. 3 Nr. 2 des Lohnfortzahlungsgesetzes im Ergebnis die weiblichen gegenüber den männlichen Arbeitnehmern diskriminiert und grundsätzlich im Widerspruch zur Zielsetzung des Art. 119 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 157 AEUV) steht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die unterschiedliche Behandlung der beiden Arbeitnehmerkategorien durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. (Rn. 12)
4. Die Erwägungen des deutschen Gesetzgebers, Arbeitnehmer, die wöchentlich weniger als 10 h oder monatlich weniger als 45 h arbeiten, seien nicht in einem mit anderen Arbeitnehmern vergleichbaren Maße in den Betrieb eingegliedert und ihm verbunden, stellen lediglich allgemeine Aussagen dar, die keine Diskriminierung rechtfertigen können. (Rn. 13, 14)
5. Erst wenn ein Mitgliedsstaat darlegen kann, dass die gewählten Mittel einem notwendigen Ziel seiner Sozialpolitik dienen und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind, kann in dem Umstand, dass die Gesetzesbestimmung eine wesentlich größere Anzahl von weiblichen als von männlichen Arbeitnehmern betrifft, keine Verletzung von Art. 119 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 157 AEUV) gesehen werden. (Rn. 14)