Entgeltdiskriminierung nach Art. 157 AEUV und Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit

• Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit1 (siehe Abb. 6.1)

Wie im vorangegangenen Kapitel bereits ausgeführt, hat der EuGH sich auch mit der Frage zu befassen, inwieweit bei Sozialversicherungsleistungen das Gleichbehandlungsgebot zur Anwendung kommt. Dogmatisch geht es um die Frage, ob Sozialversicherungsleistungen unter den Entgeltbegriff nach Art. 157 AEUV fallen. In Anbetracht der Tatsache, dass Frauen wegen Kindererziehungszeiten, Teilzeittätigkeit oder niedrigerer Eingruppierung regelmäßig erheblich niedrigere Rentenansprüche haben als Männer, kommt dieser Frage besondere sozialpolitische Brisanz zu.

Ausschluss gesetzlicher Sozialversicherungsansprüche aus dem Anwendungsbereich von Art. 157 AEUV

Bislang hat der EuGH gesetzliche Sozialversicherungsansprüche dem Anwendungsbereich des Art. 157 AEUV entzogen. Grundsätzlich können Sozialversicherungsansprüche allein aufgrund des Umstandes, dass sie erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfüllt werden, nicht dem Anwendungsbereich von Art. 157 AEUV entzogen werden. Gleiches gilt für den Aspekt, dass Sozialversicherungsansprüche in den meisten Mitgliedsstaaten gesetzlich und nicht vertraglich geregelt sind. Gleichwohl dürfte entscheidend sein, dass Sozialversicherungsansprüche keine unmittelbaren arbeitsvertraglichen Ansprüche darstellen. Auch die Richtlinie 2006/54/EG bezieht sich nach Art. 1 nur auf Arbeitsund Beschäftigungsfragen und daher nicht auf Sozialversicherungsansprüche. In Art. 7 und 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/54/EG ist daher nur die Gleichbehandlung hinsichtlich betrieblicher und nicht gesetzlicher Systeme der sozialen Sicherheit vorgeschrieben.

EU-weite Regelungen im Zusammenhang mit Sozialversicherungsansprüchen sind dagegen in der nachfolgend dargestellten speziellen Richtlinie 79/7/EWG enthalten. Daher fallen gesetzliche Sozialversicherungsansprüche nicht in den Anwendungsbereich von Art. 157 AEUV bzw. der Richtlinie 2006/54/EG, sondern in den Anwendungsbereich der Richtlinie 79/7/EWG.

Die Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit

Unionsrechtlich werden somit die sozialversicherungs-rechtlichen Ansprüche durch die Spezialvorschrift der Richtlinie 79/7/EWG geregelt. Die Richtlinie 79/7/ EWG hat zum Ziel, dass auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit und der sonstigen Bestandteile der sozialen Sicherung der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit schrittweise verwirklicht wird. Der Anwendungsbereich der Richtlinie erstreckt sich daher auf die Bereiche der gesetzlichen Sozialsysteme, die Schutz gegen die Risiken wie Krankheit, Invalidität, Alter, Arbeitsunfall und Berufskrankheit sowie Arbeitslosigkeit bieten, Art. 1, 3 Richtlinie 79/7/EWG.

Der in Art. 4 Abs. 1 enthaltene Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbarer oder mittelbarer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Eheoder Familienstand, und zwar insbesondere betreffend den Anwendungsbereich der Sozialsysteme sowie die Bedingungen für den Zugang, die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge sowie die Berechnung der Leistungen einschließlich Zuschläge für Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen. Daher haben nach Art. 4 und 5 der Richtlinie 79/7/EWG die Mitgliedsstaaten die notwendigen Maßnahmen sicherzustellen, um mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz unvereinbare Rechtsund Verwaltungsvorschriften zu beseitigen.

Allerdings haben die Mitgliedsstaaten nach Art. 7 der Richtlinie 79/7/EWG die Befugnis, bestimmte Leistungen und Sachverhalte vom Anwendungsbereich der Richtlinie und damit von dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 4, 5 Richtlinie 79/7/EWG auszunehmen. So verbleibt die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente sowie etwaige Auswirkungen auf andere Leistungen nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG in der Befugnis der Mitgliedsstaaten. Auch können diese nach Art. 7 Abs. 1 b der Richtlinie 79/7/EWG Vergünstigungen für die Personen, welche Kinder aufgezogen haben, auf dem Gebiet der Altersversicherung unberücksichtigt lassen. Der EU-Gesetzgeber hat daher in Art. 7 der Richtlinie 79/7/EWG zum Ausdruck gebracht, dass wesentliche Gebiete und Grundsätze der gesetzlichen Sozialversicherung im Kompetenzbereich der Mitgliedsstaaten verbleiben und Sozialversicherungsansprüche daher nach anderen Grundsätzen zu beurteilen sind als arbeitsvertragliche Entgeltansprüche.

 
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