Fall Gómez-Limón Sánchez-Camacho EuGH Slg. 2009, I-6525
Frau S war als Verwaltungshilfskraft in der spanischen Alcampo SA, einem Großhandelsbetrieb, seit 1986 in Vollzeit beschäftigt. Im Jahr 2001 vereinbarte Frau S nach der damaligen spanischen Regelung zur Arbeitszeitreduzierung für Arbeitnehmer, die in Ausübung des gesetzlichen Sorgerechts ein Kind unter sechs Jahren zu betreuen hatten, eine Reduzierung ihrer täglichen Arbeitszeit um 1/3. Zugleich wurden die Beiträge zum allgemeinen System der sozialen Sicherheit in demselben Maße gekürzt. Nachdem bei Frau S in Folge psychischer und funktionaler Störungen eine dauernde vollständige Invalidität festgestellt wurde, erhielt sie eine Rente in Höhe von 55 % der entsprechenden Bemessungsgrundlage. Die Berechnung dieser Bemessungsgrundlage erfolgte auf Grundlage der an das öffentliche Sozialversicherungssystem zu entrichtenden Beiträge. Da Frau S aufgrund ihrer Teilzeittätigkeit von 2001 bis 2004 nur eine reduzierte Rente erhielt, rügt sich eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen und insbesondere dieses Grundsatzes im Bereich der sozialen Sicherheit im Sinne der Richtlinie 79/7/ EWG. Das Juzgado de lo Social de Madrid legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit nach Richtlinie 79/7/EWG dem entgegenstehe, dass ein Arbeitnehmer während der Zeit des Elternurlaubs in Teilzeit weniger Ansprüche auf Rente erwirbt als wenn er in Vollzeit gearbeitet hätte.
Da es sich im vorliegenden Fall um sozialversicherungsrechtliche Ansprüche handelt, erfolgt keine Prüfung im Zusammenhang mit Art. 157 AEUV. Der EuGH lehnt zudem das Vorliegen einer unmittelbaren und auch mittelbaren Diskriminierung nach Richtlinie 79/7/EWG ab, da die Strukturprinzipien des nationalen Sozialversicherungsrechts in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsländer fallen. Die Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten bewegt sich noch im Rahmen des Entscheidungsermessens der Mitgliedsstaaten für die Sozialpolitik entsprechend Art. 7 der Richtlinie 79/7/EWG.
1. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine nationale Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aber wesentlich mehr Frauen als Männer benachteiligt. (Rn. 54)
2. Wie das vorlegende Gericht ausführt, entscheiden sich Frauen häufiger als Männer für Arbeitszeitreduzierungen in Verbindung mit einer entsprechenden Verringerung ihres Gehalts, um sich der Kindererziehung zu widmen, was eine Verminderung der aus dem Arbeitsverhältnis abgeleiteten sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche zur Folge hat. (Rn. 55)
3. Die einschlägige spanische Sozialversicherungsvorschrift sieht vor, dass die Höhe der Rente wegen dauernder Invalidität auf der Grundlage der vom Arbeitnehmer im Referenzzeitraum tatsächlich gezahlten Beiträge zu berechnen ist, im vorliegenden Fall auf der Grundlage der acht Jahre, die dem Eintritt des Risikos vorausgehen. Da der Arbeitnehmer während der Zeit des Elternurlaubs in Teilzeit wegen der Reduzierung seiner Arbeitszeit ein niedrigeres Gehalt bezieht, sind die Beiträge, die einen Anteil seines Gehalts darstellen, ebenfalls verringert, und hieraus ergibt sich ein Unterschied beim Erwerb von Ansprüchen auf künftige Leistungen der sozialen Sicherheit zwischen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern und solchen, die einen Elternurlaub in Teilzeit in Anspruch nehmen. (Rn. 58)
4. Allerdings steht das Gemeinschaftsrecht einer zeitanteiligen Berechnung des Ruhegehalts bei Teilzeitbeschäftigung nicht entgegen. Neben der Zahl der Dienstjahre stellt auch die Berücksichtigung der vom Betreffenden während seiner Laufbahn tatsächlich abgeleisteten Dienstzeit im Vergleich zu demjenigen, der während seiner gesamten Laufbahn vollzeitbeschäftigt war, ein objektives Kriterium ohne Bezug zu einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, das eine proportionale Kürzung seiner Ruhegehaltsansprüche zulässt. (Rn. 59)
5. Zur Richtlinie 79/7/EWG ist festzustellen, dass sie nach ihrem ersten Erwägungsgrund und ihrem Art. 1 lediglich die schrittweise Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit bezweckt. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie sind die Mitgliedstaaten daher befugt, den Erwerb von Ansprüchen auf Leistungen der sozialen Sicherheit aufgrund gesetzlicher Regelungen im Anschluss an Zeiträume der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. (Rn. 60)
6. Daraus folgt, dass die Regelung hinsichtlich des Erwerbs von Ansprüchen auf Leistungen der sozialen Sicherheit im Anschluss an Zeiten der Beschäftigungsunterbrechung wegen Kindererziehung noch in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. (Rn. 61)
7. Die Richtlinie 79/7/EWG verpflichtet die Mitgliedsstaaten daher in keiner Weise, Personen, die Kinder aufgezogen haben, Vergünstigungen auf dem Gebiet der Alterssicherung zu gewähren. (Rn. 62)