Praktische Fallbeispiele

Nachfolgend werden vom EuGH entschiedene Diskriminierungssachverhalte zur Schwangerschaft und der Frage einer vermeintlich schlechteren körperlichen Verfassung von Frauen dargestellt. Sodann wird im Zusammenhang mit der MarschallEntscheidung erörtert, ob Frauen bei Einstellungen oder Beförderungen im Vergleich zu Männern vorrangig berücksichtigt werden können. Zu Beginn soll noch einmal das Problem der mittelbaren Diskriminierung von Frauen im Zusammenhang mit der Einschränkung von Kündigungsschutzregelungen behandelt werden.

Fall Kirsammer-Hack EuGH Slg. 1993, I-6185

Frau K arbeitet in einem Kleinbetrieb mit weniger als 10 Arbeitnehmern. Als Kleinbetrieb findet daher das KSchG nach § 23 KSchG keine Anwendung. Als K gekündigt wird, rügt sie eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung, da sie vor dem Arbeitsgericht sich nicht auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG berufen kann. Im Zuge des Kündigungsschutzverfahrens legte das Arbeitsgericht Reutlingen dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Befreiung der Kleinbetriebe von den Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes (sog. Kleinbetriebsklausel) mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern vereinbar sei.

Der EuGH verneint eine Verletzung der Richtlinie 76/207/EWG (nunmehr Richtlinie 2006/54/EG), da die Herausnahme von Arbeitnehmern aus dem Kündigungsschutz aufgrund der Betriebsgröße nicht spezifisch Frauen betrifft. Eine mittelbare Diskriminierung könne nur dann angenommen werden, wenn erwiesen wäre, dass gerade in Kleinunternehmen erheblich mehr Frauen als Männer beschäftigt werden, was nicht der Fall ist.

1. Eine nationale Regelung enthält dann eine mittelbare Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer, wenn sie zwar neutral gefasst ist, jedoch tatsächlich prozentual erheblich mehr Frauen als Männer benachteiligt, sofern diese unterschiedliche Behandlung nicht durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben. (Rn. 22)

2. Nach § 23 Abs. 1 KSchG werden Unternehmen, die eine geringere als die festgelegte Zahl von Arbeitnehmern beschäftigen, mit der Folge von der Kündigungsschutzregelung befreit, dass die bei ihnen beschäftigten Arbeitnehmer von dieser Regelung ausgeschlossen sind. (Rn. 23)

3. Diese Regelung führt somit nicht zu einer Differenzierung zwischen Teilzeitbeschäftigten einerseits und den übrigen Beschäftigten andererseits, sondern zu einer Differenzierung zwischen einerseits allen denjenigen Arbeitnehmern, die in von der Kündigungsschutzregelung befreiten Kleinbetrieben beschäftigt sind, und andererseits allen denjenigen Arbeitnehmern, die in Unternehmen beschäftigt sind, die dieser Regelung unterliegen, weil sie eine größere Zahl von Arbeitnehmern beschäftigen. (Rn. 26)

4. Die Herausnahme aus der nationalen Kündigungsschutzregelung betrifft daher nicht besonders die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, sondern unabhängig von ihrer Arbeitszeit, also davon, ob sie vollzeit-, halbzeitoder teilzeitbeschäftigt sind, alle Arbeitnehmer in Unternehmen, die von der Regelung befreit sind. (Rn. 27)

5. So genießen Arbeitnehmer wie die Klägerin keinen Kündigungsschutz, obwohl sie nicht teilzeitbeschäftigt sind. Umgekehrt genießen teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer Kündigungsschutz, wenn sie in Unternehmen beschäftigt sind, die dieser Regelung unterliegen. (Rn. 28)

6. Somit lässt sich aus dem Frauenanteil unter den teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern in Deutschland nicht folgern, dass die in Rede stehende Bestimmung eine mittelbare Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer enthält, die gegen die die Gleichbehandlungs-Richtlinie verstößt. (Rn. 29)

7. Eine solche Diskriminierung läge nur dann vor, wenn erwiesen wäre, dass die Kleinunternehmen einen erheblich höheren Prozentsatz Frauen als Männer beschäftigten. Die dem Gerichtshof vorgelegten Angaben belegen kein derartiges Missverhältnis. (Rn. 30, 31)

 
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