Fall Webb II EuGH Slg. 1994, I-3567
Frau W. wurde mit einem befristeten Arbeitsvertrag als Schwangerschaftsvertretung für eine Kollegin eingestellt. Als sie wenige Wochen nach Antritt ihrer Beschäftigung dem Arbeitgeber ihre eigene Schwangerschaft mitteilte – die sie im Rahmen des Bewerbungsgespräches verschwiegen hatte – kündigte sie dieser mit dem Hinweis, dass das Arbeitsverhältnis nur begründet worden sei, um eine Kollegin wirksam während deren Schwangerschaft zu vertreten. W erhob daraufhin Klage beim Industrial Tribunal. Das House of Lords legte als Rechtsmittelinstanz dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob eine Diskriminierung vorliegt, wenn eine schwangere Frau gerade zu dem Zweck eingestellt wird, eine im Mutterschutz befindliche Arbeitnehmerin zu vertreten.
Der EuGH sieht in der Kündigung und Anfechtung eine unmittelbare Diskriminierung von W wegen deren Geschlechtes und eine Verletzung der Richtlinie 92/85/ EWG (Mutterschutz-RL). Der Gesichtspunkt, dass W lediglich zur Vertretung einer schwangeren Arbeitnehmerin eingestellt wurde, sei für das Vorliegen einer Diskriminierung ohne Bedeutung.
1. Die Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen deren Schwangerschaft stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar. (Rn. 19)
2. Unter Berücksichtigung der Gefahr, die eine mögliche Entlassung für die physische und psychische Verfassung von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen oder stillenden Arbeitnehmerinnen darstellt, einschließlich des besonders schwerwiegenden Risikos, dass eine schwangere Arbeitnehmerin zum freiwilligen Abbruch ihrer Schwangerschaft veranlasst wird, hat der Gemeinschafts-gesetzgeber einen besonderen Schutz für die Frau vorgesehen, indem er das in Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG enthaltene Verbot der Kündigung während der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs verfügt hat. (Rn. 21)
3. Art. 10 der Richtlinie 92/85/EWG sieht keine Ausnahme vom Verbot der Kündigung einer schwangeren Frau in diesem Zeitraum vor. Davon ausgenommen sind die nicht mit dem Zustand der Betroffenen in Zusammenhang stehenden Ausnahmefälle. (Rn. 22)
4. Ferner darf die Entlassung einer schwangeren Frau, die für unbestimmte Zeit eingestellt wurde, nicht mit ihrer Unfähigkeit begründet werden, eine der wesentlichen Voraussetzungen ihres Arbeitsvertrages zu erfüllen. Die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers ist für den Arbeitgeber zwangsläufig eine wesentliche Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrages. Jedoch kann der vom Gemeinschaftsrecht gewährleistete Schutz für die Frau während der Schwangerschaft und nach der Entbindung nicht von der Frage abhängen, ob die Anwesenheit der Betroffenen in dem ihrer Mutterschaft entsprechenden Zeitraum für das ordnungsgemäße Funktionieren des Unternehmens unerlässlich ist, in dem sie beschäftigt ist. Die gegenteilige Auslegung würde den Bestimmungen der Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit nehmen. (Rn. 26)