Fall Prigge u. a. EuGH Slg. 2011, I-8003
Herr Prigge, Herr Fromm und Herr Lambach waren langjährig als Flugzeugführer, zuletzt als Flugkapitäne, bei der Deutschen Lufthansa beschäftigt. Ihre Arbeitsverträge endeten nach § 19 Abs. 1 MTV Nr. 5a mit Vollendung ihres 60. Lebensjahres im Jahr 2006 bzw. im Jahr 2007. § 19 Abs. 1 MTV Nr. 5 a für das Cockpit-Personal der Deutschen Lufthansa lautet wie folgt:
Das Arbeitsverhältnis endet – ohne dass es einer Kündigung bedarf – mit Ablauf des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird…
Nach dem internationalen Regelungswerk für Privatflugzeugführer, Berufsflugzeugführer und Verkehrsflugzeugführer (JAR-FCL 1) und § 20 Abs. 2 der Luftverkehrszulassungsordnung dürfen Piloten nach Vollendung des 60. Lebensjahres nicht mehr als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden, es sei denn, er ist Mitglied einer Flugbesatzung, die aus mehreren Piloten besteht und die anderen Piloten haben das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens waren der Ansicht, dass sie unter Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78 und das AGG wegen Alters diskriminiert worden seien, und erhoben vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main Klage mit dem Antrag, festzustellen, dass ihre Arbeitsverhältnisse mit der Deutschen Lufthansa nicht zum Ende des Monats, in dem sie das 60. Lebensjahr vollendet haben, endeten, und mit dem weiteren Antrag, die Fortsetzung ihrer Arbeitsverträge anzuordnen. Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main wies ihre Klage ab, und das Landesarbeitsgericht Hessen wies ihre Berufung zurück. Die Kläger legten hiergegen Revision zum Bundesarbeitsgericht ein. Das Bundesarbeitsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung befragt, ob Art. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 so auszulegen sei, dass ihnen Regelungen des nationalen Rechts entgegenstehen, die eine auf Gründen der Gewährleistung der Flugsicherheit beruhende tarifliche Altersgrenzenregelung von 60 Jahren für Piloten anerkenne.
Der EuGH sah in der tarifvertraglichen Höchstaltersgrenze für Lufthansapiloten eine unzulässige Altersdiskriminierung. Er ließ sich dabei maßgeblich von der Tatsache leiten, dass Piloten sowohl nach den nationalen als auch nach den internationalen öffentlich-rechtlichen Regelungen die Möglichkeit haben, zwischen dem vollendeten 60. und 65. Lebensjahr ihrer Tätigkeit unter bestimmten Umständen weiter nachzugehen.
1. Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 geht hervor, dass die Ungleichbehandlung nur dann keine Diskriminierung darstellt, wenn sie auf ein Merkmal gestützt ist, das im Zusammenhang mit einem Diskriminierungsgrund steht und dieses Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Im Fall der Verkehrspiloten ist es wesentlich, dass sie insbesondere über besondere körperliche Fähigkeiten verfügen, da körperliche Schwächen in diesem Beruf beträchtliche Konsequenzen haben können. Unbestreitbar nehmen diese Fähigkeiten auch mit zunehmendem Alter ab. Daraus folgt, dass die Ausübung des Berufes des Verkehrspiloten das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 angesehen werden kann und dass diese Fähigkeiten altersabhängig sind. (Rn. 66, 67)
2. Allerdings ist Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 – soweit er es ermöglicht, vom Diskriminierungsverbot abzuweichen – eng auszulegen. Haben die Piloten sowohl nach der nationalen als auch nach den anerkannten internationalen Regelungen die Möglichkeit, zwischen dem vollendeten 60. und dem 65. Lebensjahr ihren Tätigkeiten unter bestimmten Beschränkungen weiter nachzugehen, so werden durch die tarifvertragliche Altersgrenze von 60 Jahren den betroffenen Piloten unverhältnismäßige Anforderungen auferlegt. Eine entsprechende tarifvertragliche Klausel steht daher der Regelung von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 entgegen. (Rn. 72, 73, 74, 75, 76)
3. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 bestimmt, dass eine Ungleichbehandlung wegen des Alters keine Diskriminierung darstellt, sofern sie objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. (Rn. 77)
4. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die in dieser Bestimmung aufgeführten rechtmäßigen Ziele, auch wenn die Aufzählung nicht erschöpfend ist, mit der Beschäftigungspolitik, dem Arbeitsmarkt und der beruflichen Bildung in Zusammenhang stehen. Aus all diesen Gesichtspunkten ergibt sich, dass ein Ziel wie die Flugsicherheit nicht zu den in Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78 genannten Zielen gehört; vielmehr ist dieser Gesichtspunkt entsprechend Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 zu berücksichtigen. (Rn. 80, 82)
5. Schließlich handelt es sich auch um keine Maßnahme für die öffentliche Sicherheit und den Schutz und die Gesundheit im Sinne von Art. 2 Abs. 5 Richtlinie 2000/78. Es handelt sich bei den Sozialpartnern nicht um öffentlich-rechtlich verfasste Einrichtungen, die entsprechende Maßnahmen zur öffentlichen Sicherheit, zum Schutz der Gesundheit und der sonstigen Rechte ergreifen. (Rn. 58, 60)