Fall Römer EuGH Slg. 2011, I-3591

Die Parteien des Ausgangsverfahrens streiten über die Höhe der Versorgungsbezüge, die dem Kläger, Herrn Römer, für die Zeit ab November 2001 zustehen. Römer war seit 1950 bis zum Eintritt seiner Erwerbsunfähigkeit am 31. Mai 1990 bei der Freien und Hansestadt Hamburg als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Seit 1969 lebt er ohne Unterbrechung mit Herrn U. zusammen. Am 15. Oktober 2001 begründeten der Kläger des Ausgangsverfahrens und sein Partner miteinander eine eingetragene Lebenspartnerschaft gemäß dem LPartG. Römer teilte dies seinem ehemaligen Arbeitgeber mit und beantragte die Neuberechnung seiner Zusatzversorgungsbezüge unter Zugrundelegung des günstigeren Lohnsteuerabzugs nach Steuerklasse III/0. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2001 teilte die Freie und Hansestadt Hamburg mit, dass sie keine Neuberechnung seiner Bezüge vornehmen werde, da nach dem Hamburger Ruhegeldgesetz nur nicht dauernd getrennt lebende verheiratete Versorgungsempfänger Anspruch auf Neuberechnung und entsprechende Leistun gen hätten. Römer ist der Ansicht, dass sich sein Anspruch auf Gleichbehandlung mit verheirateten Versorgungsempfängern aus der Richtlinie 2000/78 ergebe.

Die Freie und Hansestadt Hamburg macht geltend, der im Ruhegeldgesetz enthaltene Begriff „verheiratet“ sei nicht in dem von Römer vertretenen Sinn auslegungsfähig. Sie beruft sich im Wesentlichen darauf, dass gemäß Art. 6 Abs. 1 GG Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stünden. Zudem handele es sich um Leistungen staatlicher Sozialversicherungssysteme nach Art. 3 Abs. 3 RL 2000/78/EG, die von der Richtlinie ausgenommen seien. Schließlich bleiben nach Erwägungsgrund 22 der Richtlinie einzelstaatliche Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen von der Richtlinie unberührt. Nachdem Römer Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg erhoben hat, legte dieses dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob es sich bei der im Hamburger Ruhegeldgesetz geregelten Privilegierung verheirateter Versorgungsempfänger um eine Begünstigung im Sinne des Erwägungsgrundes 22 der Richtlinie 2000/78/EG handele oder ob eine Ungleichbehandlung im Sinne der Richtlinie vorlag.

Der EuGH sah in der Ablehnung der Ansprüche eine Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung und somit einen Verstoß gegen die Richtlinie 2000/78/ EG. Der Kläger befinde sich als eingetragener Lebenspartner in einer vergleichbaren Lage wie andere Personen, die eine Ehe eingegangen seien. Der Erwägungsgrund 22 der Richtlinie, wonach die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen unberührt bleiben, könne bei Entgeltleistungen den Anspruch auf Gleichbehandlung nicht verdrängen. Zudem handele es sich auch nicht um Ansprüche aus Sozialversicherungssystemen, die nach Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 2000/78/EG ausgenommen seien.

1. Zunächst ist festzustellen, dass sich der Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 im Licht ihres Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit dem 13. Erwägungsgrund nicht auf die Sozialversicherungsund Sozialschutzsysteme erstreckt, deren Leistungen nicht einem Arbeitsentgelt im Sinne von Art. 157 AEUV gleichgestellt werden. (Rn. 32, 33)

2. Allerdings handelt es sich bei den Zusatzversorgungsbezügen, die ehemaligen Angestellten und Arbeitern der Freien und Hansestadt Hamburg gewährt werden, um Arbeitsentgelt, das nicht unter den Ausschlusstatbestand des Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2000/78 fällt. (Rn. 36)

3. Auch der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78, wonach diese Richtlinie die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über den Familienstand und davon abhängige Leistungen unberührt lässt, kann den Anwendungsbereich der Richtlinie nicht ausschließen, da es sich im vorliegenden Fall bei den Zusatzversorgungsbezügen um Entgelt im Sinne des Art. 157 AEUV handelt. (Rn. 34, 35)

4. Nach Art. 2 dieser Richtlinie bedeutet Gleichbehandlungsgrundsatz, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe geben darf. Nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person. Folglich setzt das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung im Sinne dieser Richtlinie erstens voraus, dass die gegeneinander abzuwägenden Situationen vergleichbar sind. (Rn. 39, 40, 41)

5. Hierzu ist festzustellen, dass zum einen die Situationen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein müssen, und zum anderen die Prüfung dieser Vergleichbarkeit nicht allgemein und abstrakt sein darf, sondern spezifisch und konkret für die betreffende Leistung erfolgen muss. Daher ist der Vergleich der Situationen auf eine Analyse zu stützen, die sich auf die Rechte und Pflichten verheirateter Personen und eingetragener Lebenspartner, wie sie sich aus den anwendbaren innerstaatlichen Bestimmungen ergeben, konzentriert. Der Vergleich darf nicht in der Prüfung bestehen, ob die eingetragene Lebenspartnerschaft der Ehe im nationalen Recht allgemein und umfassend rechtlich gleichgestellt ist. (Rn. 42, 43)

6. Deutschland hat seit 2001 seine Rechtsordnung im LPartG angepasst, um Personen gleichen Geschlechts zu ermöglichen, in einer formal auf Lebenszeit begründeten Fürsorgeund Einstandsgemeinschaft zu leben. Da sich dieser Mitgliedstaat entschieden hat, diesen Personen nicht die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen, die Personen verschiedenen Geschlechts vorbehalten bleibt, hat er für Personen gleichen Geschlechts ein anderes Institut, die eingetragene Lebenspartnerschaft, geschaffen, dessen Regelungen schrittweise denen der Ehe angeglichen worden sind. (Rn. 44)

7. Eine Änderung des LPartG hat zudem die für die Lebenspartnerschaft geschaffenen Regelungen den für die Ehe geltenden schrittweise angenähert. Es besteht kein ins Gewicht fallender rechtlicher Unterschied mehr zwischen den Personenständen, wie sie in der deutschen Rechtsordnung konzipiert seien. Der verbleibende Unterschied liegt im Wesentlichen darin, dass die Ehe die Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner, die eingetragene Lebenspartnerschaft deren Gleichgeschlechtlichkeit voraussetze. (Rn. 45)

8. Darüber hinaus sind die Rechtsfolgen der Lebenspartnerschaft in einigen konkreten Punkten wie z. B. beim Recht auf eine Hinterbliebenenrente noch stärker an die der Ehe angeglichen worden. Allerdings sah das LPartG bereits in der Ursprungsfassung vor, dass die Lebenspartner einander zur Fürsorge und Unterstützung sowie dazu verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die partnerschaftliche Lebensgemeinschaft angemessen zu unterhalten, wie dies auch bei Ehegatten während des Zusammenlebens der Fall ist. Damit obliegen solche Pflichten seit Inkrafttreten des LPartG Lebenspartnern ebenso wie verheirateten Ehepartnern. (Rn. 47, 48)

9. Damit stellt eine nationale Bestimmung – wie das Hamburger Ruhegeldgesetz –, aufgrund derer ein in einer Lebenspartnerschaft lebender Versorgungsempfänger Zusatzversorgungsbezüge in geringerer Höhe erhält als ein verheirateter Versorgungsempfänger, eine Verletzung von Art. 1, 2 der Richtlinie 2000/78/EG dar. (Rn. 52)

10. Voraussetzung hierfür ist, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat die Ehe Personen unterschiedlichen Geschlechts vorbehalten ist und daneben die Lebenspartnerschaft wie die nach dem LPartG, Personen gleichen Geschlechts vorbehalten ist. Die unmittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung liegt darin, dass sich der genannte Lebenspartner im nationalen Recht hinsichtlich dieser Bezüge in einer rechtlichen und tatsächlichen Situation befindet, die mit der einer verheirateten Person vergleichbar ist. (Rn. 52)

 
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