Praktische Fallbeispiele
Wie ausgeführt, soll Leiharbeit auch der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes dienen. Aus diesem Grund ist nach Art. 4 der Leiharbeits-Richtlinie die Leiharbeit grundsätzlich erlaubt. Damit können sich Leiharbeitgeber bei ihrer Tätigkeit auf die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV berufen. So hatte der EuGH ferner zu entscheiden, ob die Erfordernisse von Gesundheitsschutz, die Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten, eine Beschränkung der Ausübung von Leiharbeit und damit eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigt.
Wie aus den vorangegangenen Kapiteln deutlich wird, sind Teilzeitund Befristungsfragen häufig mit Diskriminierungssachverhalten verbunden. So hatte der EuGH über die Zulässigkeit einer nur teilweisen Anerkennung von Tätigkeitszeiten bei befristeter Beschäftigung für den Zugang zum Beruf des Steuerberaters zu entscheiden. Dass gesetzliche Befristungsregelungen auch mit Altersdiskriminierung zusammenhängen können, veranschaulicht der in Deutschland besonders kontrovers diskutierte Fall Mangold. Inwieweit mehrfache Befristungen mit Vorgaben von § 5 Befristungs-Richtlinie 1999/70/EG vereinbar sind, behandelt dann die Kücük-Entscheidung. Sodann hat der EuGH sich auch mit der Frage befasst, ob die Umwandlung von befristeten in unbefristete Arbeitsverhältnisse nach Unionsrecht mit einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen einhergehen darf.
Fall Webb I EuGH Slg. 1981, 3305
Der britische Staatsangehörige Webb war Leiter des „International Engineering Services Bureau“ in London. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit bestand in der Überlassung von technischem Personal an niederländische Firmen (In den Niederlanden herrschte zu dieser Zeit Arbeitskräftemangel, während in Großbritannien bereits eine hohe Arbeitslosigkeit bestand). Seine Firma verfügte über die nach britischem Recht erforderliche Genehmigung für die Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung aber nicht die nach niederländischem Recht erforderliche Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Wegen Verstoß gegen das Verbot, Arbeitnehmer ohne Erlaubnis zu überlassen, wurde gegen ihn ein Strafverfahren eingeleitet. Webb rügt die Verletzung der Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit. Der Hoge Raad de Nederlanden legte dem EuGH im Rahmen des Strafverfahrens die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob Art. 60 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 56 AEUV) auch die Überlassung von Arbeitnehmern umfasst und ob eine hierfür im Niederlassungsstaat erteile Genehmigung auch für den Tätigkeitsstaat bindend sei.
Der EuGH qualifizierte Arbeitnehmerüberlassung als Dienstleistung im Sinne im Sinne von Art. 56 AEUV und bejahte eine Beschränkung wegen des Erfordernisses eine zweite Erlaubnis einzuholen. Das Erfordernis einer Erlaubnis sei objektiv gerechtfertigt, da ihr Zweck war, gerade die Belange des niederländischen Arbeitsmarktes zu wahren. Diese könnten regelmäßig von den britischen Behörden bei ihrer Erlaubniserteilung nicht berücksichtigt werden. Daher darf die Arbeitnehmerüberlassung einem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterliegen. Allerdings müsse der Mitgliedsstaat bei der Erlaubniserteilung diejenigen Tatsachen als gegeben voraussetzen, aufgrund deren die Erlaubnis im Herkunftsland des Dienstleisters erbracht worden sei.
1. Nach Art. 60 Abs. 1 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 56 AEUV) sind Dienstleistungen Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Warenund Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Person unterliegen. (Rn. 8)
2. Die Tätigkeit, die darin besteht, dass ein Unternehmen anderen entgeltliche Arbeitnehmer, die im Dienst dieses Unternehmens bleiben, zur Verfügung stellt, ohne dass ein Arbeitsvertrag mit dem Entleihungsunternehmen geschlossen wird, stellt eine Berufstätigkeit dar, die als Dienstleistung im Sinne von Art. 60 Abs. 1 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 56 AEUV) anzusehen ist. (Rn. 9)
3. Der freie Dienstleistungsverkehr als fundamentaler Grundsatz des Vertrages darf nur durch Regelungen beschränkt werden, die durch das Allgemeininteresse gerechtfertigt sind und die für alle im Hoheitsgebiet des genannten Staates tätigen Personen oder Unternehmen verbindlich sind, und zwar nur insoweit, als dem Allgemeininteresse nicht bereits durch die Rechtsvorschriften Rechnung getragen ist, denen der Leistungserbringer in dem Land unterliegt, in dem er ansässig ist. (Rn. 17)
4. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Überlassung von Arbeitnehmern einen aus beruflicher und sozialer Sicht besonders sensiblen Bereich darstellt. Wegen der Besonderheiten der mit dieser Art von Tätigkeit verbundenen Arbeitsbeziehungen wirkt sich die Ausübung dieser Tätigkeit unmittelbar sowohl auf die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt als auch auf die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmer aus. (Rn. 18)
5. Daraus folgt, dass es den Mitgliedsstaaten freisteht und für sie eine legitime, im Allgemeininteresse getroffene politische Entscheidung darstellt, für die Überlassung von Arbeitnehmern in ihrem Hoheitsgebiet eine Genehmigungsregelung einzuführen, um die Genehmigung versagen zu können, wenn die begründete Befürchtung besteht, dass diese Tätigkeit gedeihliche Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt beeinträchtigen würde oder dass dabei die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer unzulänglich gewahrt würden. (Rn. 19)
6. Es ginge jedoch dann über das angestrebte Ziel hinaus, wenn die Anforderungen, von denen die Erteilung einer Genehmigung abhängt, zu einer bloßen Wiederholung der Nachweise und Sicherheit führen würde, die im Staat der Niederlassung verlangt werden…. Bei der Prüfung der Anträge auf Genehmigung und bei der Genehmigungserteilung darf daher in keiner Weise nach der Staatsangehörigkeit oder dem Niederlassungsort des Leistungserbringers unterschieden werden, und es müssen Nachweise und Sicherheiten berücksichtigt werden, die der Leistungserbringer bereits für die Ausübung seiner Tätigkeit im Mitgliedsstaat der Niederlassung beigebracht hat. (Rn. 20)
7. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Dienstleistungsfreiheit es einem Mitgliedsstaat nicht verbietet, einen in einem anderen Mitgliedsstaat ansässigen Erbringer von Dienstleistungen einer Genehmigungspflicht zu unterwerfen, wenn er diese Tätigkeit in seinem Hoheitsgebiet ausübt. Dies gilt auch für den Fall, wenn der Leistungserbringer über eine vom Staat der Niederlassung erteilte Genehmigung verfügt, wobei allerdings bei der Prüfung der Anträge auf Genehmigung oder bei der Genehmigungserteilung Nachweise und Sicherheiten zu berücksichtigen sind, die der Leistungserbringer bereits für die Ausübung seiner Tätigkeit im Mitgliedsstaat der Niederlassung beigebracht hat. (Rn. 21)