Fall Huet EuGH NZA 2012, 441
Der Kläger Huet war seit sechs Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Université de Bretagne occidentale (im Folgenden UBO) beschäftigt. Die Beschäftigung erfolgte aufgrund mehrerer aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge, die zwischen dem 1. März 2002 und dem 15. März 2008 ohne Unterbrechung verlängert und in denen jeweils seine Aufgaben als wissenschaftlicher Mitarbeiter erwähnt wurden. Die UBO bot dem Kläger nach Auslaufen seines letzten befristeten Arbeitsvertrages entsprechend seinem Antrag einen unbefristeten Arbeitsvertrag an. Der im März 2008 unterzeichnete unbefristete Arbeitsvertrag sah zum einen vor, dass der Kläger als Forschungsingenieur beschäftigt werde, d. h. mit einer anderen Einstufung als der des wissenschaftlichen Mitarbeiters. Zum anderen würden seine Dienstbezüge niedriger sein als jene, die er zuvor auf der Grundlage der befristeten Verträge erhalten hat, obwohl seine Aufgaben im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Im Mai 2008 beantrage Huet bei der UBO die Änderung seines unbefristeten Arbeitsvertrages mit der Begründung, dieser stufe seine Aufgaben zurück und bringe eine Verringerung seiner Dienstbezüge mit sich. Dieser Antrag wurde von der UBO abgelehnt, woraufhin Huet beim Tribunal administratif de Rennes Klage auf Anhebung seiner Dienstbezüge auf das zur Zeit der befristeten Beschäftigung bestehende Niveau erhob. Das Tribunal setzte den Rechtsstreit aus und legte dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vor, ob die Ziele der Richtlinie 1999/70/EG es gebieten, dass bei einer Umwandlung eines seit sechs Jahren befristeten Arbeitsverhältnisses in einen unbefristeten Arbeitsvertrag die bisherigen Arbeitsbedingungen aufrechterhalten bleiben müssen.
Der EuGH verweist in seiner Entscheidung darauf, dass § 5 Nr. 1 Rahmenvereinbarung Richtlinie 1999/70/EG zu der vorgelegten Frage keine Angaben enthalte. Insoweit könne aus der Richtlinie nicht die Beibehaltung der Arbeitsbedingungen aus einem befristeten Arbeitsverhältnis verlangt werden. Allerdings führt der EuGH aus, dass bei der Umwandlung von einem befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis Missbrauchsmöglichkeiten bestehen können. Der Beschäftigte kann vom Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages abgehalten werden, weil er nicht hinnehmen möchte, dass sich seine bisherigen Arbeitsbedingungen verschlechtern. Der EuGH verlangt daher von den Mitgliedsstaaten und ihren Gerichten zu überprüfen, ob die Umwandlung eines befristeten in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis missbräuchlich geschieht. In diesem Fall gebiete es der Auslegungsgrundsatz der praktischen Wirksamkeit des EU-Rechts, das nationale Gerichte gegen solche Missbrauchsfälle vorgehen.
1. Zu § 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, der eine Schlechterbehandlung der befristet beschäftigten Arbeitnehmer gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten verbietet, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist. Der Kläger des Ausgangsverfahrens nimmt nicht an einer unterschiedlichen Behandlung gegenüber Dauerbeschäftigten Anstoß. (Rn. 30)
2. Ebenso wenig ist im Hinblick auf den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens das in § 8 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung enthaltene Verschlechterungsverbot im vorliegenden Fall relevant. So muss die behauptete Verschlechterung, um unter das in diesem Paragraf aufgestellte Verbot zu fallen, zum einen mit der „Umsetzung“ der Rahmenvereinbarung und zum anderen mit dem „allgemeinen Niveau des Schutzes“ der befristet beschäftigten Arbeitnehmer zusammenhängen. (Rn. 31)
3. § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung hat das Ziel, den wiederholten Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse, der als eine Quelle potenziellen Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer gesehen wird, einzugrenzen, indem eine Reihe von Mindestschutzbestimmungen vorgesehen werden, die die Prekarisierung der Lage der Beschäftigten verhindern sollen. (Rn. 34)
4. Aus dem zweiten Abs. der Präambel der Rahmenvereinbarung, aus ihren Allgemeinen Erwägungen 6 und 8 geht hervor, dass feste Beschäftigungsverhältnisse einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen, während befristete Arbeitsverträge nur unter bestimmten Umständen den Bedürfnissen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer entsprechen können. (Rn. 35)
5. Daher verpflichtet § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung die Mitgliedstaaten zum effektiven und verbindlichen Erlass mindestens einer der dort aufgeführten Maßnahmen, um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse zu vermeiden, wenn ihr innerstaatliches Recht keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen enthält. Die drei in Buchst. a bis c aufgeführten Maßnahmen betreffen sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Arbeitsverträge oder -verhältnisse rechtfertigen, die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder -verhältnisse und die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse. (Rn. 36)
6. Allerdings stellt die Rahmenvereinbarung keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf, die Umwandlung befristeter in unbefristete Arbeitsverträge vorzusehen. § 5 Nr. 2 überlässt es nämlich grundsätzlich den Mitgliedstaaten, zu bestimmen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse als unbefristet zu betrachten sind. Daraus ergibt sich, dass die Rahmenvereinbarung nicht vorschreibt, welche Bedingungen in die unbefristeten Verträge aufgenommen werden dürfen. (Rn. 38, 39, 40)
7. Außerdem ist zu beachten, dass die Rahmenvereinbarung nicht zum Gegenstand hat, sämtliche nationalen Vorschriften über befristete Arbeitsverträge zu harmonisieren, sondern nur darauf abzielt, durch Festlegung von allgemeinen Grundsätzen und Mindestvorschriften einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, der durch den Schutz vor Diskriminierung die Gleichbehandlung von Arbeitnehmern in befristeten Arbeitsverhältnissen sichert, und den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse zu verhindern. (Rn. 41)
8. Indem § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung den effektiven und verbindlichen Erlass mindestens einer der in ihm aufgeführten Maßnahmen zur Verhinderung der missbräuchlichen Inanspruchnahme aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge vorschreibt, gibt er den Mitgliedstaaten ein allgemeines Ziel – die Verhinderung derartigen Missbrauchs – vor, lässt ihnen jedoch zugleich die Wahl der Mittel, um dieses Ziel zu erreichen. Der den Mitgliedstaaten belassene Wertungsspielraum ist jedoch nicht unbegrenzt, da er auf keinen Fall so weit reichen kann, dass das Ziel oder die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung in Frage gestellt wird. (Rn. 42, 43)
9. Ließe ein Mitgliedstaat zu, dass die Umwandlung eines befristeten in einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit tiefgreifenden Änderungen der wesentlichen Bestimmungen des vorherigen Vertrags einhergeht, die für den Vertragsbediensteten insgesamt zu einer Verschlechterung führen, wenn der Gegenstand seiner Tätigkeit und die Art seiner Aufgaben gleich bleiben, wäre nicht auszuschließen, dass der Bedienstete vom Abschluss des ihm angebotenen neuen Vertrags abgehalten wird und so nicht in den Genuss fester Beschäftigungsverhältnisse kommt, die einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes darstellen. (Rn. 44)
10. Es ist jedoch Sache der zuständigen nationalen Stellen zu prüfen, ob die an den wesentlichen Bestimmungen des in Rede stehenden Arbeitsvertrags vorgenommenen Änderungen als tiefgreifende Veränderungen dieser Bestimmungen qualifiziert werden können. (Rn. 45)