Arbeitgeberpflichten in Entsendungsfällen (Mindestlohn/ Mindesturlaub)

• Richtlinie 96/71/EG (Arbeitnehmer-Entsende-Richtlinie)1 (siehe Abb. 11.1)

• Richtlinie 91/533/EWG (Nachweis-Richtlinie)2 (siehe Abb. 11.2)

Die im vorangegangenen Kapitel dargestellte besondere Schutzwürdigkeit von Beschäftigten in sog. „prekären Arbeitsverhältnissen“ besteht grundsätzlich auch im Fall der Arbeitnehmerentsendung. Bei der Arbeitnehmerentsendung handelt sich um eine Form der grenzüberschreitenden Arbeitnehmermobilität, die nicht dem Anwendungsbereich von Art. 45 AEUV unterliegt. Anders als bei der Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts sucht der entsandte Arbeitnehmer nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt eines anderen Mitgliedsstaates. Der Arbeitgeber im Herkunftsstaat bleibt dem Arbeitnehmer im Falle der Entsendung erhalten.

Es handelt sich somit bei der Arbeitnehmerentsendung um eine besondere Form der länderübergreifenden Arbeitnehmermobilität, die insbesondere dann vorliegt, wenn ein Unternehmen einen Arbeitnehmer in seinem Namen oder unter seiner Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates im Rahmen eines Vertrages entsendet, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedsstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde. Voraussetzung ist daher ein Werk-, Dienstoder vergleichbares Vertragsverhältnis eines ausländischen Arbeitgebers mit einem inländischen, z. B. deutschen Auftraggeber, in dessen Rahmen ausländische Arbeitnehmer zur Leistungserbringung in dem Tätigkeitsstaat, also in Deutschland, als Arbeitnehmer für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Unionsrechtlich ist ein entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums auf Weisung seines Arbeitgebers seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates als demjenigen erbringt, in dem er normalerweise arbeitet.

Anzuwendende Arbeitnehmerschutzregelungen bei einer vorübergehenden Auslandstätigkeit

Da die Integration des Arbeitnehmers in das System des Tätigkeitsstaates wie dargestellt geringer als bei der Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts ist, unterliegen entsandte Arbeitnehmer regelmäßig den wirtschafts-, arbeitsund sozialrechtlichen Vorgaben ihres Herkunftsstaates. Da davon auszugehen sein dürfte, dass die Parteien im Falle der Entsendung keine bestimmte Rechtswahl im Arbeitsvertrag getroffen haben, ist nach den einschlägigen IPR-Regelungen des Art. 8 Abs. 2 RomI-VO die Rechtsordnung des Staates maßgebend, in dem oder von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dies ist üblicherweise der Herkunftsstaat. Art. 8 Abs. 2 Satz 2 Rom-I-VO stellt klar, dass der Staat, in dem die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird, nicht wechselt, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit vorübergehend – in Abgrenzung zum dauerhaften Übertritt – in einem anderen Staat verrichtet. Eine vorübergehende Auslandstätigkeit bleibt daher für die Bestimmung des Arbeitsortes und damit der anzuwendenden Rechtsordnung regelmäßig außer Acht (vgl. Kap. 17).

Daher genießen Arbeitgeber, die aus einem Herkunftsland mit niedrigem Lohnniveau Arbeitnehmer in einem Mitgliedsstaat mit höherem Lohnniveau entsenden, dort Wettbewerbsvorteile. Sie können ihre Leistungen zu niedrigeren „Preisen“ anbieten als die örtlichen Arbeitgeber. Mitgliedsstaaten mit einem hohen Lohnniveau werden daher versuchen, mit sozialpolitischer Begründung – Stichwort: Sozialdumping – ein Unterbieten der am Arbeitsort üblichen Löhne und Gehälter zu verhindern. Der Schutz der ausländischen Arbeitnehmer verlange die Sicherung bestimmter arbeitsrechtlicher Mindeststandards. Weitere Motive sind die Schaf fung eines fairen bzw. die Verhinderung eines unlauteren Wettbewerbs, aber auch – wenn auch etwas verklausuliert – die Abschottung des nationalen Arbeitsmarktes gegen die Billigkonkurrenz aus dem Ausland.

Der Vorwurf des „Sozialdumpings“ oder von sittenwidrigen Löhnen ist aber ordnungspolitisch problematisch. Bei Berücksichtigung des Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb nach Art. 120 AEUV muss es im Binnenmarkt Anbietern aus Niedriglohnländern ebenso erlaubt sein, ihren Kostenvorteil im Wettbewerb wahrzunehmen, wie es Anbietern aus anderen Ländern erlaubt ist, ihren Know-how-Vorsprung wahrzunehmen. Zudem entspricht im Grunde die Entsendung von schlechter bezahlten ausländischen Arbeitnehmern der Wettbewerbslage im Zusammenhang mit der Warenverkehrsfreiheit nach den Art. 28, 30, 34 AEUV. Auch die Produzenten aus Niedriglohnländern sind hinsichtlich des Preises im Vorteil. So ist es beim grenzüberschreitenden Warenverkehr völlig ausgeschlossen, dass ein Mitgliedsstaat aus Arbeitnehmerschutzgründen Mindestlöhne bei der Produktion von ausländischen Waren festlegt, um damit eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit zu rechtfertigen.

 
< Zurück   INHALT   Weiter >