Fall Kommission/Großherzogtum Luxemburg EuGH Slg. 2004, I-10191
In einem Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen das Großherzogtum Luxemburg ging es um die Frage, ob die in einer großherzoglichen Verordnung vorgesehene vorherige Genehmigung zum Einsatz von Arbeitnehmern aus Drittstaaten und der vorherigen Anzeige der zu besetzenden Stelle an das nationale Arbeitsamt sowie der Erbringung einer Bankbürgschaft in Höhe von 1487,00 € für jeden eingesetzten Arbeitnehmer mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV vereinbar sei. Zudem hing die Erteilung einer sog. kollektiven Arbeitserlaubnis vom Vorliegen unbefristeter Arbeitsverträge ab, die mindestens sechs Monate vor der Entsendung abgeschlossen sein mussten. Die Arbeitserlaubnis wird vom Minister für Arbeit erteilt und kann dann abgelehnt oder widerrufen werden, wenn insbesondere die Lage, Entwicklung und Organisation des nationalen Arbeitsmarktes dies gebieten. Die Bankbürgschaft soll etwaige anfallende Kosten der Rückführung der Arbeitnehmer abdecken, für die eine Erlaubnis beantragt wird.
Der EuGH hat sowohl das Einholen einer vorherigen Arbeitserlaubnis als auch die Erbringung einer Bankbürgschaft für eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV angesehen. Eine bloße Anzeige gegenüber den örtlichen Behörden über die Anwesenheit eines oder mehrerer entsandter Arbeitnehmer einschließlich der Dauer sei als Maßnahme ausreichend.
1. Art. 49 EG (nunmehr Art. 56 AEUV) verlangt nicht nur die Beseitigung jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen – selbst wenn sie unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten –, sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. (Rn. 20)
2. Eine Beschränkung, die für alle in dem betreffenden Mitgliedstaat tätigen Personen oder Unternehmen gilt, kann jedoch gerechtfertigt sein, soweit sie auf einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses beruht und dieses nicht bereits durch Vorschriften geschützt wird, denen der Dienstleistende im Mitgliedstaat seiner Niederlassung unterliegt, und sofern sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist. (Rn. 21)
3. Das Erfordernis einer Arbeitserlaubnis für Arbeitnehmer aus Drittstaaten erschwert aufgrund des mit diesen Bedingungen verbundenen Verwaltungsaufwands und der durch sie verursachten Kosten die beabsichtigte Entsendung und damit die Erbringung von Dienstleistungen durch dieses Unternehmen. Eine Arbeitserlaubnis, wie sie die Großherzogliche Verordnung vorschreibt, kann jedoch nicht als geeignetes Mittel angesehen werden, um den Schutz von Arbeitnehmern oder die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes zu erreichen. Denn sie ist zwangsläufig mit Formalitäten und Verzögerungen verbunden, die geeignet sind, von der Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit mit Hilfe entsandter Arbeitnehmer mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats abzuschrecken. (Rn. 23, 30)
4. Würde ein Dienstleistungsunternehmen verpflichtet, den örtlichen Behörden im Voraus die Anwesenheit entsandter Arbeitnehmer, die vorgesehene Dauer dieser Anwesenheit und die der Entsendung zugrunde liegende(n) Dienstleistung(en) anzuzeigen, so wäre diese Maßnahme ebenso wirksam und zugleich weniger einschneidend. Sie würde es den Behörden ermöglichen, die Einhaltung der luxemburgischen Vorschriften auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während der Dauer der Entsendung zu kontrollieren und dabei die Verpflichtungen zu berücksichtigen, denen das Unternehmen bereits nach den im Herkunftsmitgliedstaat geltenden Regeln auf diesem Gebiet unterliegt. (Rn. 31)
5. Außerdem geht die für die Erteilung einer kollektiven Arbeitserlaubnis aufgestellte Bedingung, dass unbefristete Arbeitsverträge bestehen müssen, durch die die betroffenen Arbeitnehmer seit mindestens sechs Monaten mit dem entsendenden Unternehmen verbunden sind, über das hinaus, was im Namen des Zieles der sozialen Sicherheit als notwendige Voraussetzung dafür verlangt werden kann, dass Dienstleistungen mit Hilfe der Entsendung von Arbeitnehmern mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats erbracht werden. (Rn. 32)
6. Hierzu ist festzustellen, dass das Bemühen, Störungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern, zwar ein zwingender Grund des Allgemeininteresses ist. Die Arbeitnehmer, die von einem in einem Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen beschäftigt und zur Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, verlangen aber keinen Zutritt zum Arbeitsmarkt dieses zweiten Staates, da sie nach Erfüllung ihrer Aufgabe in ihr Herkunftsoder Wohnsitzland zurückkehren. (Rn. 38)
7. Zudem stellt die Verpflichtung, neben der Beantragung einer Arbeitserlaubnis eine Bankbürgschaft zu stellen, die die gegebenenfalls anfallenden Kosten der Rückführung eines Arbeitnehmers nach seiner Entsendung abdecken soll, eine unverhältnismäßige Belastung dar. So ist als Maßnahme, die mit der Dienstleistungsfreiheit besser zu vereinbaren ist, der Erlass eines Mahnbescheids zur Beitreibung der durch eine gegebenenfalls erfolgte Rückführung tatsächlich entstandenen Kosten denkbar. Folglich sind die in der Verordnung aufgestellten Bedingungen kein angemessenes Mittel zur Erreichung des Zieles, eine Destabilisierung des örtlichen Arbeitsmarktes zu verhindern. (Rn. 47, 48)