Die absolute Metapher ,lebenslanges Lernen' nach de Haan

In seinem 1991 veröffentlichten Aufsatz „Über Metaphern im pädagogischen Denken“ konstatiert Gerhard de Haan, dass der Begriff ,lebenslanges Lernen' zu den absoluten Metaphern gehört (vgl. de Haan 1991: 367-368). Er begründet diese Feststellung, indem er die Wortgruppe ,lebenslanges Lernen' im Kontext ihrer morphologischen Bestandteile (lebens – langes – Lernen) betrachtet und dabei zu dem Schluss kommt, dass nicht das ,Lernen' die Metapher darstellt, da das Lernen durchaus begrifflich fassbar ist, auch wenn die diesbezüglichen Definitionen vielfältig und divergent sein können (vgl. de Haan 1991: 367). [1] Den metaphorischen Gehalt erlangt der Ausdruck nach de Haan durch die Bestandteile ,lebens – lang'. Bereits Hans Blumenberg, der sich in seinen Werken zur Metaphorologie mit philosophischen Fragestellungen auseinandersetzt, schreibt dem Leben sowie der Zeit den Status einer absoluten Metapher zu (vgl. Blumenberg 1979: 90-97). Die der philosophischen Sprache entnommenen absoluten Metaphern werden in dem Adjektiv ,lebenslang' amalgamiert.

De Haan begründet die Zuschreibung des Status einer absoluten Metapher bei der Wortverbindung ,lebenslang' damit, dass sowohl das Leben als auch die Zeit empirisch nicht in Gänze fassbar sind:

„Alle Bemühungen, eine empirische Anschauung von der Zeit zu gewinnen, nötigen dazu, daß Metaphern des Raumes mit ins Feld geführt werden und das läßt sich auch gar nicht vermeiden: Lebenslanges Lernen heißt es ja auch. Aber Zeit und Raum sind von gänzlich anderer Qualität, und so müßte die Analogiebildung – die zu uneigentlicher Rede führt – sich eigentlich verbieten. Die Frage, was das Leben sei, ist ebensowenig zur Anschauung zu bringen: Es umfaßt die Totalität des individuellen Daseins, der gegenüber jeglicher Versuch, sie anschaulich zu machen, nur auf Situationen, Stimmungen, Entwicklungen offen artikulierte oder hintergründige Sinnvorstellungen verweisen kann, wo nach dem Ganzen gefragt wird.“ (de Haan 1991: 367, Hervorhebung im Original)

Aufgrund der Unbestimmbarkeit von ,Leben' und ,Zeit' und der damit einhergehenden semantischen Vagheit besteht die Tendenz, dass das Lernen im Kontext der absoluten Metapher ,lebenslanges Lernen' von einem Mittel zur Lebensbewältigung zu einem Bestandteil der Lebensbewältigung wird (vgl. a.a.O.: 367).

D. h. Lernen ist in diesem Verwendungsund Bedeutungskontext nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern muss selbst als externe Anforderung an die Lebensgestaltung bewältigt werden. Zum Abschluss seiner Argumentation verweist de Haan darauf, dass das lebenslange Lernen trotz seines Status einer absoluten Metapher eine Orientierungsfunktion in pädagogischen Handlungsfeldern und der Erziehungswissenschaft eingenommen hat. Seines Erachtens ermöglicht die absolute Metapher ,lebenslanges Lernen', dass sich „ein ganzes Set an bildungspolitischer Reflexion in einem Wort“ (a.a.O.: 368) konzentriert.

  • [1] In der alltagsweltlichen Verwendung existieren drei Verständniskontexte für das Wort ,Lernen': (1) Wissenserwerb, (2) Erwerb von kognitiven Prozessen (z. B. Sprechen) sowie (3) Erwerb von Fertigkeiten – auch motorisches Lernen genannt – (z. B. Fahrradfahren) (vgl. Bauer 1996: 1038). Das lernpsychologische Verständnis kann als umfassender bezeichnet werden: „Ein Kind lernt z. B. im Laufe seiner Entwicklung Vorlieben und Abneigungen, Aggressionen und Ängste, Rollenverhalten, Einfühlungsvermögen, moralische Normen, Selbstkontrolle, Handlungsund Entscheidungsstrategien, also Verhaltensmuster, die in emotionalem Zusammenhang mit seiner kulturellen Umgebung stehen“ (ebd.). Es existieren vielfältige Lernphänomene, die mittels unterschiedlicher Forschungsansätze, wie den verhaltensorientierten Ansätzen, dem kognitionspsychologischen und informationstheoretischen Ansätzen oder den biologischen und neurophysiologischen Ansätzen und hier entwickelten Lerntheorien beschrieben, untersucht und erklärt werden (vgl. a.a.O.: 1038-10430). Zu den bedeutendsten Lerntheorien gehören die behavioristisch-assoziationistischen Lerntheorien (z. B. Lernen durch Assoziationsbildung, klassische Konditionierung, operante oder instrumentelle Konditionierung) sowie die kognitiv orientierten Lerntheorien (z. B. Informationstheoretische Lernmodelle) und die sozial-kognitive Lerntheorie (z.B. Lernen am Modell) (vgl. a.a.O.: 1041-1048).
 
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