Empirische Dimensionalisierung der absoluten Metapher ,lebenslanges Lernen'

Durch das Identifizieren der Kernkategorie ,lebenslanges Lernen – eine absolute Metapher', können de Haans (1991) theoretische Überlegungen, wonach er lebenslanges Lernen als eine absolute Metapher einstuft, empirisch belegt und ausdifferenziert werden. Betrachtet man die Aussagen der Interviewpartnerinnen und -partner zu ihrem jeweiligen Verständnis des lebenslangen Lernens, so lassen sich verschiedene Merkmale identifizieren, die auf den Status einer absoluten Metapher und ihre theoretische Unbestimmbarkeit verweisen. Es handelt sich dabei um:

1. Unterschiedliche Typisierungen des lebenslangen Lernens: Konstrukt – Idee

– Schlagwort

2. Austauschbarkeit der metaphorischen Anteile: lebenslang – lebenslänglich – lebensbegleitend

3. Diachrone Veränderungen der Bedeutung des lebenslangen Lernens

4. Unterschiedliche Bedeutungskontexte des lebenslangen Lernens.

Die einzelnen Merkmale sollen in den folgenden Abschnitten näher betrachtet werden.

Unterschiedliche Typisierungen des lebenslangen Lernens: Konstrukt – Idee – Schlagwort

Die theoretische Unbestimmbarkeit des lebenslangen Lernens zeigt sich zum einen in den von den Informantinnen und Informanten getätigten Typisierungen des lebenslangen Lernens als ,Konstrukt', als ,abstrakte Idee', als ,Schlagwort' oder ,Grundhaltung'. Diese Zuschreibungen legen den Schluss nahe, dass der Ausdruck ,lebenslanges Lernen' nicht dem terminologischen Anspruch genügt.

D. h. lebenslanges Lernen kann inhaltlich nicht klar abgegrenzt bzw. definiert warden. [1]

E: Nein, es ist eigentlich kein sehr, sehr konkreter Begriff. Also, es ist, ist eine abstrakte Idee, die äh, die dadurch entsteht, dass man, dass man einfach spürt Entwicklungen laufen schneller ab, (..) äh Konstellationen ändern sich schneller. Das reicht von Märkten bis zu äh politischen Veränderungen, das reicht bis, bis zur Kommunikationsäh Strukturen. Und äh, ich denke, über das Ganze hat man dann das Schlagwort lebenslanges Lernen gelegt. Das können Sie auch als, als Flexibilität beschreiben, dann sind Sie wieder am gleichen Ende. [2]

(Interview-Nr. 2: Frau Schäfer, betriebliche Weiterbildung, Z. 51-57)

In dieser Beispielpassage wird gleich mithilfe von zwei Typisierungen versucht zu verdeutlichen, dass es sich bei dem Ausdruck ,lebenslanges Lernen' nicht um einen klar definierten Gegenstand handelt, der sich auf einen Begriff bringen lässt. Es wird die Behauptung aufgestellt, dass das lebenslange Lernen begrifflich nur schwer zu fassen sei und es sich dabei um eine abstrakte Idee handeln würde. Hier wird die von Blumenberg geäußerte pragmatische Funktion der absoluten Metapher offenkundig: Eine theoretische Bestimmung ist nicht möglich, vielmehr existiert eine praktische Bestimmung des Phänomens über eine Idee und wie diese genutzt werden soll (vgl. Blumenberg 1998: 12). In den nachfolgenden Zeilen erfolgt die Spezifizierung der Idee. Es wird Bezug genommen auf das Empfinden einer wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungsdynamik. Dieser Bedeutungskontext (siehe hierzu auch Kapitel 7.5.3) – so die Konklusion der Interviewpartnerin – sei mit dem Schlagwort ,lebenslanges Lernen' gekennzeichnet worden. Mit dem Verweis auf die Flexibilität wird schließlich dargelegt, wie die Idee genutzt werden kann. In dem dargelegten Bedeutungskontext kann die absolute Metapher ,lebenslanges Lernen' die Funktion einer subjektbezogenen Handlungsstrategie einnehmen, um beispielsweise flexibel auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Veränderungsprozesse reagieren zu können. [3]

  • [1] In der Terminologielehre wird ,Terminologie' als „der Gesamtbestand der Begriffe und ihrer Benennungen in einem Fachgebiet“ (Norm DIN 2342 Teil 1 1992:3 zitiert in Arntz, Picht & Mayer 2004: 10) verstanden. Dabei wird Fachsprache definiert als „der Bereich der Sprache, der auf eindeutige und widerspruchsfreie Kommunikation im jeweiligen Fachgebiet gerichtet ist und dessen Funktionieren durch eine festgelegte Terminologie entscheidend unterstützt wird“ (Norm DIN 2342 1992:1 zitiert in a.a.O: 10). Für die Terminologielehre ist der ,Begriff' von zentraler Bedeutung. Es handelt sich dabei um eine „Denkeinheit, die aus einer Menge von Gegenständen unter Ermittlung der diesen Gegenständen gemeinsamen Eigenschaften mittels Abstraktion gebildet wird“ (Norm DIN 2342 1992:1 zitiert in a.a.O.: 43). Für die Normung ist die Definition der Begriffe das Wichtigste: „erst wenn klar ist, worüber man spricht, ist es sinnvoll zu überlegen, wie man den betreffenden Begriff am zweckmäßigsten benennen kann“ (a.a.O.: 42). Bei der absoluten Metapher ,lebenslanges Lernen' verhält es sich genau umgekehrt: Worüber man spricht, ist keineswegs klar. Bei der Analyse des Datenmaterials lassen sich verschiedene Bedeutungskontexte bzw. Verständnisse rekonstruieren (siehe Kapitel 7.5.3), die alle mit dem Ausdruck ,lebenslanges Lernen' bezeichnet werden. Nach de Haan (1991) sind absolute Metaphern wie die des lebenslangen Lernens „kein Restbestand uneigentlicher Rede, sondern sind ,eigentliche' Sprache, resistent gegen die Ablösung durch einen Begriff. Ihre Funktion liegt gerade darin, Sicherheit zu schaffen, Erwartungen zu regulieren und Haltungen auszudrücken, also Bedürfnisse der Orientierung zu genügen, die sich begrifflich nicht gewinnen lassen“ (de Haan 1991: 368).
  • [2] In den Kapiteln 7 und 8 werden die analytischen Ergebnisse der Arbeit exemplarisch anhand von Interviewausschnitten belegt. Dabei geht die Verfasserin so vor, dass das erste angeführte Transkriptbeispiel, welches das empirische Phänomen beschreibt, unter Hinzuziehung der Begriffe der Argumentationsanalyse (siehe Kapitel 3.4) paraphrasierend wiedergegeben wird. Nachfolgende Interviewausschnitte werden dann in ihrer illustrierenden Funktion als Zitat in Klammern aufgeführt
  • [3] Auch in der Fachliteratur finden sich immer wieder Hinweise darauf, dass der Ausdruck ,lebenslanges Lernen' unterschiedlich typisiert und dementsprechend mit unterschiedlichen Bedeutungen verbunden wird. So wird beispielweise lebenslanges Lernen als gesellschaftsund bildungspolitisches Schlagwort oder bildungspolitische Strategie markiert (vgl. Kuhlenkamp 2010: 9-12). An anderer Stelle ist von der Bildungsoder Lernidee ,lebenslanges Lernen' die Rede (vgl. Gerlach 2000: 9-13). Kraus spricht von einem Konzept und einer Leitidee ,lebenslanges Lernen' (vgl. Kraus 2001: 5-18). In der bildungspolitischen Programmatik wird beispielsweise der Ausdruck ,lebensumspannendes Lernen' verwendet, um eine Differenzierung zwischen Zeit und Raum zu konstruieren: Lebenslanges Lernen tangiert die zeitliche Dimension, während das lebensumspannende Lernen die räumliche Ausdehnung des Lernens auf alle Lebensbereiche und Lebensphasen umfassen soll (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000: 10).
 
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