Fall Bofrost EuGH Slg. 2001, I-2579
Der Betriebsrat der Bofrost Josef H. Boquoi Deutschland West GmbH & Co. KG verlangt von der GmbH mit Sitz in Deutschland Auskunft über Mitarbeiterzahlen und die Struktur des Unternehmens der Bofrost-Unternehmensgruppe im EU-Raum. Die Auskunft war erforderlich, um die Errichtung eines Europäischen Betriebsrates vorzubereiten. Die GmbH verweigerte die Auskünfte, da völlig unklar sei, ob ein herrschendes Unternehmen innerhalb der Unternehmensgruppe besteht. Zudem berief sich die GmbH darauf, dass die Auskünfte vertraulich seien. Das deutsche Arbeitsgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob sich der aus Art. 11 der Richtlinie 94/85/EG (nunmehr RL 2009/38/EG) ergebende Auskunftsanspruch auch gegenüber einem Unternehmen bestehe, wenn noch nicht klar sei, ob überhaupt ein herrschendes Unternehmen vorliege.
Der EuGH ging in seiner Entscheidung davon aus, dass eine Verpflichtung zur Auskunftserteilung an die Organe der internen Arbeitnehmervertretung auch dann bestehe, wenn noch nicht feststeht, ob es sich bei der Unternehmensleitung, an die sich der Arbeitnehmer wende, um die Leitung eines innerhalb der Unternehmensgruppe herrschenden Unternehmens handelt. Nach Ansicht des EuGH ist es unter Beachtung des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit zur Verwirklichung des Ziels der Richtlinie, das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung und Anhörung zu stärken, unerlässlich, den Arbeitnehmervertretern Zugang zu jenen Informationen zu verschaffen, die zur Einrichtung eines europäischen Betriebsrates oder zur Schaffung eines Unterrichtungsund Anhörungsverfahrens benötig werden.
1. Nach dem System der Richtlinie 94/45/EG (nunmehr RL 2009/38/EG) wird die länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer im Wesentlichen durch ein System von Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung i. S. von Art. 2 Abs. 1 lit. e Richtlinie 94/45/EG (nunmehr RL 2009/38/EG) und den Arbeitnehmervertretern gewährleistet. (Rn. 29)
2. Art. 11 Abs. 1 Richtlinie 94/45/EG (nunmehr RL 2009/38/EG) bestimmt, dass die Leitung der Betriebe eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens und die Leitung eines Unternehmens, das Mitglied einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe ist, den in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen nachkommen. Wie sich schon aus dem Wortlaut der Bestimmung ergibt, besteht diese Verpflichtung auf Arbeitgeberseite nicht nur für die zentrale Leitung i. S. von Art. 2 Abs. 1 lit. e Richtlinie. (Rn. 30, 31)
3. Aus Gründen der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie ist es unerlässlich, den betroffenen Arbeitnehmern Zugang zu den Informationen zu verschaffen, aufgrund deren sie feststellen können, ob sie einen Anspruch auf Aufnahme von Verhandlungen zwischen der zentralen Leitung – wenn eine solche besteht – und ihren eigenen Vertreten haben. (Rn. 32)
4. Ein derartiges Recht auf Unterrichtung stellt nämlich eine notwendige Voraussetzung für die Feststellung des Bestehens eines gemeinschaftsweit operierenden Unternehmens oder einer gemeinschaftsweit operierenden Unternehmensgruppe dar, das seinerseits Voraussetzung für die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates oder für ein länderübergreifendes Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer ist. (Rn. 33)
5. Das Ziel der Richtlinie 94/45/EG (nunmehr RL 2009/38/EG) verlangt, dass die in ihr vorgesehenen Pflichten so erfüllt werden, dass die betroffenen Arbeitnehmer oder ihre Vertreter Zugang zu den Informationen erhalten, aufgrund deren sie beurteilen können, ob sie einen Anspruch auf Aufnahme von Verhandlungen haben und ggf. ihren entsprechenden Antrag korrekt formulieren können. (Rn. 38)
6. Folglich hat, wenn die Daten über die Struktur oder die Organisation einer Unternehmensgruppe zu den Informationen gehören, die zur Aufnahme von Verhandlungen zur Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates oder zur Schaffung eines Verfahrens zur länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer unerlässlich sind, ein Unternehmen dieser Unternehmensgruppe diese Daten, soweit es über sie verfügt oder sie sich beschaffen kann, den Organen der internen Arbeitnehmervertretung auf Antrag zur Verfügung zu stellen. (Rn. 39)