Fall DFDS Torline A/S EuGH Slg. 2004, I-1417
Die DFDS Torline ist eine dänische Reederei, die mit dem Schiff Tor Caledonia
– das im dänischen internationalen Schiffregister eingetragen ist und dänischem Recht unterliegt – die Fährstrecke zwischen Göteborg (Schweden) und Harwich (Vereinigtes Königreich) betrieb. Die beklagte schwedische Gewerkschaft SEKO Sjöfolk Facket för Service och Kommunikation rief zu Kampfmaßnahmen gegen DFDS Torline auf, die das Verlangen nach Abschluss eines Tarifvertrages für die auf dem Schiff tätigen polnischen Seeleute unter Hinweis auf ein dänisches Rahmenabkommen abgelehnt hat. Die schwedische Transportarbeitergewerkschaft schloss sich diesem Aufruf durch eine Solidaritätsaktion an, so dass die Beund Entladung des Schiffes in den schwedischen Häfen verhindert wurde. Der Fährverkehr zwischen Harwich und Göteborg wurde eingestellt und dann durch Anmietung eines Ersatzschiffes im verringerten Umfang wieder aufgenommen. DFDS Torline erhob daraufhin beim dänischen Seeund Handelsgericht Schadenersatzklage gegen die Gewerkschaft SEKO. Der Schaden sei durch die Stilllegung der Tor Caledonia und die Anmietung eines Ersatzschiffes entstanden.
Vorab musste nach dänischem Recht über die Frage der Rechtmäßigkeit des kollektiven Streikaufrufs durch ein dänisches Arbeitsgericht entschieden werden. Im Rahmen dieses Verfahrens bestand Streit darüber, ob das dänische Gericht nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO zuständig sei. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, vor dem Gericht eines anderen Mitgliedsstaates verklagt werden, wenn eine unerlaubte Handlung Gegenstand des Verfahrens bildet und das schädigende Ereignis an diesem anderen Gerichtsort eingetreten ist. Die Gewerkschaft SEKO machte geltend, dass der Gerichtsort in Schweden liegen müsse, da von dort der Streikaufruf erfolgte. Ferner war im Streit, ob Voraussetzung für das Entstehen eines Schadens im Sinne der oben genannten Vorschrift die sichere oder wahrscheinliche Folge der betreffenden Kampfmaßnahme an sich ist oder ob es ausreiche, dass die betreffenden Maßnahmen eine notwendige Bedingung und mögliche Grundlage für die schadensverursachende Solidaritätsnorm sind. Das dänische Arbejdsret legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob der Schaden als Folge einer kollektiven Kampfmaßnahme als im Flaggenstaat des betroffenen Schiffes entstanden angesehen werden kann, wenn diese Kampfmaßnahme von der Gewerkschaft eines anderen Mitgliedsstaates organisiert wird, den das Schiff regelmäßig anläuft.
Nach Auffassung des EuGH könne bei dem vorliegenden Sachverhalt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem DFDS Torline entstandenen Schaden und dem Aufruf der beklagten Gewerkschaft zu kollektiven Maßnahmen festgestellt werden. Es reiche aus, dass die kollektive Kampfmaßnahme eine notwendige Voraussetzung für die Solidaritätsmaßnahme einer anderen Gewerkschaft war, die den Schaden verursachen konnte.
Daher wies der EuGH darauf hin, dass Streitgegenstand des Rechtsstreits doch eine unerlaubte Handlung sein könne. Bei einer unerlaubten Handlung sei nach Art. 5 Nr. 3 EuGVVO grundsätzlich zwischen dem Ort der unerlaubten Handlung und dem Ort, an dem aus diesem Ereignis ein Schaden entstanden sei, zu unterscheiden. Es sei Aufgabe der nationalen Gerichts zu entscheiden, an welchem Ort die finanziellen Verluste eingetreten seien. Obwohl bei Seearbeitsverhältnissen sich der gewöhnliche Arbeitsort nach der Flagge richtet, ist allein der Umstand, dass im vorliegenden Fall das Schiff Tor Caledonia unter dänischer Flagge fuhr, nicht ausreichend, um als Ort im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVVO angesehen zu werden, an dem der Schaden eingetreten ist. Vielmehr müssen dabei noch weitere Gesichtspunkte berücksichtigt werden, so etwa an welchem Ort Einnahmen und Ausgaben verbucht und versteuert werden.
Hintergrund des Streits über den Gerichtsstand war die unterschiedliche Rechtslage zwischen Schweden und Dänemark hinsichtlich der Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen. Das schwedische Verfassungsrecht erkennt Arbeitskampfmaßnahmen einschließlich Solidaritätsstreiks in recht weitem Umfang als zulässig an, so dass SEKO an einer Entscheidung durch schwedische Arbeitsgerichte interessiert war. Zudem war SEKO der Auffassung, dass es sich bei den Streikmaßnahmen überhaupt nicht um eine unerlaubte Handlung mit Schadensfolge handele, so dass auch unter diesem Gesichtspunkte das dänische Gericht nicht zuständig war.
1. Eine Haftung aus unerlaubter Handlung kommt nur in Betracht, wenn ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schaden und dem diesem zugrunde liegenden Ereignis feststellbar ist. Bei einem Sachverhalt wie demjenigen des Ausgangsverfahrens könnte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den der Klägerin angeblich entstandenen Schäden und dem Aufruf der Beklagten zu kollektiven Kampfmaßnahmen festgestellt werden. Für die Anwendung von Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (nunmehr EuGVVO) ist ausreichend, dass die kollektiven Kampfmaßnahmen eine notwendige Voraussetzung für Solidaritätsmaßnahmen sind, die Schäden verursachen können. (Rn. 32, 34)
2. Eines der Ziele des Brüsseler Übereinkommens (nunmehr EuGVVO) ist die Verbesserung des Rechtsschutzes für die in der Gemeinschaft niedergelassenen Personen dadurch, dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er anrufen kann, und einem verständigen Beklagten erkennbar wird, vor welchem Gericht er verklagt werden kann. (Rn. 36)
3. So ist dann, wenn der Ort, an dem das für die Auslösung einer Schadensersatzpflicht wegen unerlaubter Handlungen in Betracht kommende Ereignis stattgefunden hat, nicht auch der Ort ist, an dem aus diesem Ereignis ein Schaden entstanden ist, der Begriff „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“, so zu verstehen, dass er sowohl den Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, als auch den Ort des ursächlichen Geschehens meint, so dassder Beklagte nach Wahl des Klägers bei dem Gericht eines dieser beiden Orte verklagt werden kann. (Rn. 40)
4. Im vorliegenden Fall war das ursächliche Ereignis der von der Beklagten in Schweden, dem Vertragsstaat, in dem diese Gewerkschaft auch ihren Sitz hat, abgegebene und verbreitete Aufruf zu kollektiven Kampfmaßnahmen. Daher ist der Ort des die Schadensersatzpflicht wegen unerlaubter Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, auslösenden Geschehens das Königreich Schweden, denn es stellt den Ort dar, an dem das schädigende Ereignis seinen Ausgang nahm. (Rn. 41)
5. Im Übrigen bestand der Schaden, den die Beklagte der Klägerin angeblich verursacht hat, in finanziellen Verlusten infolge des Abzugs der Tor Caledonia von ihrer gewöhnlichen Route und des Einsatzes eines anderen Frachtschiffs zur Bedienung dieser Strecke. Es obliegt dem nationalen Gericht, zu entscheiden, ob diese finanziellen Verluste als an dem Ort eingetreten betrachtet werden können, an dem die Klägerin ihren Sitz hat. (Rn. 42, 43)
6. In diesem Rahmen ist der Flaggenstaat, also der Staat, in dem das Schiff registriert ist, nur als ein Gesichtspunkt unter anderen zu betrachten, die der Ermittlung des Ortes dienen, an dem der Schaden eingetreten ist. Die Staatszugehörigkeit des Schiffes spielt nur dann eine entscheidende Rolle, wenn das nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Schaden an Bord der Tor Caledonia eingetreten ist. In diesem Fall ist der Flaggenstaat als der Ort zu betrachten, an dem der Schaden eingetreten ist. (Rn. 44)
7. Nach allem ist Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (nunmehr EuGVVO) dahin auszulegen, dass Schäden, die aufgrund von kollektiven Kampfmaßnahmen, die sich gegen ein in einem anderen Vertragsstaat registriertes Schiff richten, nicht stets als im Flaggenstaat eingetreten betrachtet werden können. Daraus folgt, dass die Reederei nicht ohne weitere Voraussetzungen am Ort des Flaggenstaates eine Schadensersatzklage gegen die die Kampfmaßnahme organisierende Gewerkschaft erheben kann. (Rn. 45)