Soziale Integration
Die soziale Integration ist die Verbindung von Einheiten in der Gesellschaft, die, nach außen hin abgegrenzt, fest verbunden sind und eine eigene Einheit bilden. Zu den Formen sozialer Integration zählen zum Beispiel Familien, Gruppen, Stände, Schichten, Vereinigungen, Parteien sowie auch Teilsysteme der Gesellschaft, die eine bestimmte Funktion ausüben, zum Beispiel Wirtschaftssystem, politisches System, Rechtssystem, Wissenschaftssysteme. Die Formen der sozialen Integration lassen sich nach geschlossenen und offenen Formen unterscheiden. Das Verwandtschafts-, das Kastensystem, die Schichtenzugehörigkeit sind geschlossene Formen. Das bedeutet nicht, dass jeglicher Grenzverkehr vollkommen ausgeschlossen ist, sondern sehr restriktiv behandelt wird. Das Mitgliedschaftsmedium dieser sozialen Einheiten legt die Selektionsstruktur fest, die sich auf die Teilnahmechancen bezieht. Bei den offenen Formen der sozialen Integration, wie der ökonomischen Integration, übernimmt nicht das Mitgliedschaftsmedium die vorrangige Selektion, sondern die formalen Organisationen. Damit ist das Dauerproblem der modernen Gesellschaften angesprochen, das darin besteht, dass durch die Inflation-Deflation von Mitgliedschaftsmedien die damit einhergehende Bindungskraft wechselt.
Die soziale Integration bedeutet die Schließung von sozialen Systemen durch unterschiedliche Formen askriptiver Solidarität. Die Grenzentscheidung und die Schließung durch soziale Integration erfolgt über die Entscheidung der Mitgliedschaft. Wenn die Entscheidung über Mitgliedschaft positiv erfolgt, so wird der Person in den sozialen Systemen zugleich auch eine Rollen- und Statusposition zugewiesen. Die Entscheidung über Mitgliedschaft in modernen Gesellschaften ist variabel, das bedeutet, dass die Entscheidung über Mitgliedschaft der permanenten Überprüfung bedarf, insofern verändern sich Mitgliedschaften durch Ein- und Austritt und auch die Formen sozialer Integration.
Die soziale Integration als Schließung nach innen und Abgrenzung nach außen führt nach innen zu der Ausbildung von verschiedenen Formen der Solidarität und nach außen zu einer Abgrenzung und indifferenten Einstellung. Daraus lässt sich ableiten, dass sie eine Unterscheidung von Innen- und Außenmoral mit sich führt. Das bestimmt die kollektive Identität der Mitglieder und legt die Formen der Commitments zwischen den Mitgliedern fest. [1]
Die soziale Integration zeichnet aus, dass eine rechtliche oder auch eine gemeinschaftliche Verbundenheit vorliegt, das betrifft zum Beispiel die Kommunikationshäufigkeit, den Bürgersinn, die gemeinsame Herkunft und vieles mehr. Dazu gehört auch die Akzeptanz von Ausgleichsformen (Gerechtigkeitsansprüche) zur Kompensation von Ungleichheiten der Mitglieder sozialer Systeme. Es besteht aber auch eine gefühlsmäßige Verbundenheit und damit eine Präferenzbildung einer Gruppe gegenüber einem Einzelnen, zum Beispiel auf Grundlage von askriptiven Solidaritäten wie durch gemeinsame Herkunft, gemeinsamen Karrierewege und gemeinsame Religionszugehörigkeit.
In modernen Gesellschaften ist soziale Integration ein dynamischer Prozess, der durch progressive und konservative Bewegungen, die Eliten und Gegeneliten in Veränderung bzw. in Zurücksetzung bringen soll. So sind es inflationäre und deflationäre Krisen, die die soziale Integration in ihrer Reichweite und in ihrer Tiefe verändern. Am Beispiel des Rechts wird die Inflation dann deutlich, wenn die Rechtsproduktion das Rechtshandeln im großen Maße übersteigt, sodass das Rechtshandeln der Rechtsproduktion und Umsetzung nicht nachkommt. Das Vertrauen in das Recht nimmt ab und es verliert seine Bedeutung als Integrationsmedium.
Die soziale Integration durch soziale Netzwerke hat eine Inklusions- und Exklusionsordnung zur Folge, die weder durch externe Faktoren und damit durch die Kontrolle durch Institutionen noch durch formale Organisationen auf Makroebene beeinflusst ist. Die sozialen Netzwerke sind ein besonderer Typ von Kommunikationssystemen und bilden mir eine Verbindung zwischen den unterschiedlichen Ebenen der Funktionssysteme, formalen Organisationen und Interaktionen. [2]
Die sozialen Netzwerke erfordern fortwährend eine persönliche Aktivität und das Treffen von Entscheidungen. Sie erlauben keine Unterbrechung. Aus diesem Grund bilden sie eine Form des Mitmachzwanges aus. Wenn jemand nicht willens oder in der Lage ist, fortwährend am Netzwerk teilzunehmen, dann wird er nicht mehr berücksichtigt. Die sozialen Netzwerke haben weder eine bestimmte horizontale noch eine vertikale soziale Schichtung. Die sozialen Netzwerke erfassen ihre Teilnehmer aus interessenspezifischen Unterscheidungen was zugleich Distanz und schnelle Kommunikation ermöglicht. [3]. Das erklärt auch, warum die Umwandlung von indirekten zu direkten Kontakten (ties) oft mit dem Ende der Kommunikation einhergeht. Sie sind teilnahme- und gruppenspezifisch. [4] Dirk Baecker weist daraufhin, dass Netzwerke nicht nach Belieben erweitert oder verändert werden können, sondern dass die Aufnahme vom Netzwerk, den Netzwerkmitgliedern abhängt. Demnach haben sie auch immer Grenzen, die zu beobachten sind. [5]
Dahingehend ist soziale Integration in einer Gruppe[6] zu unterscheidet. [7] Die soziale Gruppe ist ein Mitgliedschaftssystem mit besonderen Merkmalen, unmittelbare, diffuse Mitgliedschaftsbeziehungen mit relativer Dauer. Die Kommunikation in einer Gruppe orientiert sich vorranging an Selbstdarstellung und privaten Interessen, das gilt insbesondere in Abgrenzung zur sachorientierten Kommunikation in formalen Organisationen. Die Mitgliedschaftsbedingung für die Gruppe ist die Zugehörigkeit, die fortlaufend durch die Anwesenheit oder die Dramatisierung der Abwesenheit und Systemgeschichte geprüft werden. Bei Gruppen bilden sich ein Zusammenhörigkeitsgefühl, das die Stabilität über eine relative Dauer und die Ausbildung einer Systemgeschichte erlaubt. Das charakterisiert die Bedeutung von Ritualen und Symbolen in einer Gruppe und ermöglicht eine Rollenverteilung. Die Gruppenmitglieder üben Mehrfachrollen aus, das heißt die gleichzeitige Mitgliedschaft in verschieden sozialen Systemen. Die Analyse von Netzwerken kann nicht die Analyse der Gruppe ersetzen. Die Gruppe ist ein soziales System, Mitgliedschaftssystem, mit einer Innen- und Außengrenze, Erwartungserwartungen, Mitgliedschaftsrollen und Formen von Solidarität, aber nicht alle sozialen Systeme sind Gruppen. [8] Die Gruppe ist nicht als eigenständige Problemstufe zwischen formaler Organisation und Interaktion unter anwesenden anzuordnen, wie es Friedhelm Neidhart vorschlägt, sondern hat die Durchlässigkeit des Gesellschaftssystems zu ihrer Voraussetzung. Die Gruppe hat keinen besonderen Differenzierungsstatus in der Gesellschaft, wie die formalen Organisationen und einfachen Interaktionen. [9] In Organisationen gehören Gruppen und Interaktionen zum wesentlichen Bestandteil, sie erklären aber nicht hinreichend formale Organisation zum Beispiel die Selektionsfunktion der Organisation für die Funktionssysteme. In der Abgrenzung zum einfachen Interaktionssystem unter Anwesenden zeichnet sich die Gruppe durch ein Zusammenhörigkeitsgefühl und eine relative Dauerhaftigkeit aus. [10] Ferner ist für die Gruppe bezeichend, dass die Kommunikation ohne festgesetzte und dauerhafte Themen, sondern relativ offene verläuft. [11]Die konstitutiven Mitgliedschaftsbedingungen können formell sein, sind aber meisten informell.
Die Abgrenzung von sozialen Netzwerken und Gruppe besteht darin, dass soziale Netzwerke ein weitergefasster Begriff ist, der Gruppen mit einander verbinden kann. So können sozialen Netzwerke können den Gruppenbegriff nicht ersetzen oder auflösen.
- [1] Zum Problem der Integration und Moral weiterführend siehe Luhmann, Niklas. Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1984, 317ff, zur sozialen Integration siehe Preyer, Gerhard. Soziologische Theorie der Gegenwart Gesellschaft (3 Bd.). Mitgliedschaft und Evolution III. Wiesbaden: Springer VS, 2008, 298 und Preyer, Gerhard. „Kapitel IV: Strukturprobleme der sozialen Integration,“ in: Soziologische Theorie der Gegenwart Gesellschaft (Bd. 1). Mitgliedschaftstheoretische Untersuchungen I. Wiesbaden: Springer VS, 2006, 217–260.
- [2] Preyer, Gerhard. Rolle, Status, Erwartungserwartungen und soziale Gruppe. Mitgliedschaftstheoretische Interpretation. Wiesbaden: Springer VS, 2012, 26.
- [3] Preyer, Gerhard. „Mitgliedschaftsbedingungen. Zur soziologischen Kerntheorie der ProtoSoziologie,“ in Gerhard Preyer (Hrsg.). Strukturelle Evolution und das Weltsystem. Theorien, Sozialstruktur und evolutionäre Entwicklungen (1998), zweite Auflage Wiesbaden: Springer VS Verlag, 2015.
- [4] Preyer, Gerhard. Rolle, Status, Erwartungen und soziale Gruppe. Mitgliedschaftstheoretische Reinterpretationen. Wiesbaden: Springer VS, 2012, 25f.
- [5] Baecker, Dirk. Form und Formen der Kommunikation. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2007, 232.
- [6] Eine gute Einführung in die Soziologie der Gruppe liefert der Sammelband Schäfer, Bernhard (Hrsg.), Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte – Theorien – Analyse. Wiesbaden: Quelle& Meyer Verlag, 1999.
- [7] Auf der Ebene der Gesellschaftstheorie ist der Gruppenbegriff wenig profiliert, da er sich an den Austauschtheorien und Theorien der rationalen Wahl dominiert wurde. Wenn wir von einem Gesellschaftsbergriff ausgehen, der durchlässig zu sein hat, dann ist der Gruppenbegriff in die Problemstufenordnung einzuordnen um ihm Profil zu geben, siehe dazu Preyer, Gerhard. Rolle, Status, Erwartungen und soziale Gruppe. Mitgliedschaftstheoretische Reinterpretationen. Wiesbaden: Springer VS, 2012, 97ff.
- [8] Zur Definition von „Gruppe“ und Einordnung siehe insbesondere, Preyer, Gerhard. Rolle, Status, Erwartungen und soziale Gruppe. Mitgliedschaftstheoretische Reinterpretationen. Wiesbaden: Springer VS, 2012, 97ff.
- [9] Neidhardt, Friedhelm. „Das ‚Innere System' sozialer Gruppen und ihr Außenbezug,“ in Bernhard Schäfer (Hrsg.), Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte – Theorien – Analyse. Wiesbaden: Quelle& Meyer Verlag, 1999, 135–56, 137 bzw. Preyer, Gerhard. Rolle, Status, Erwartungen und soziale Gruppe. Mitgliedschaftstheoretische Reinterpretationen. Wiesbaden: Springer VS, 2012, 98.
- [10] Siehe dazu auch Neidhardt, Friedhelm. „Das ‚Innere System' sozialer Gruppen und ihr Außenbezug,“ in Bernhard Schäfer (Hrsg.), Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte – Theorien – Analyse. Wiesbaden: Quelle& Meyer Verlag, 1999, 135–56.
- [11] Neidhardt, Friedhelm. „Das ‚Innere System' sozialer Gruppen und ihr Außenbezug,“ in Bernhard Schäfer (Hrsg.), Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte – Theorien – Analyse. Wiesbaden: Quelle& Meyer Verlag, 1999, 136.