(b) Pädagogische Förderung der Habitualisierung lebenslangen Lernens
Einige Interviewpartner/-innen legen ihren Fokus auf einen transitiven Bezug zum lebenslangen Lernen (vgl. Nittel & Schütz 2010: 140), indem sie auf die Förderung der intrinsischen Lernmotivation bei ihrer jeweiligen Klientel rekurrieren:
E: Also, äh, es ist schon mal ganz wichtig, dass die Kinder äh wach sind, dass sie viel fragen, dass sie motiviert sind zum Hinterfragen, immer wieder zu lernen, immer wieder auszuprobieren und äh das von Anfang an, wenn sie zu uns in die Einrichtung kommen. Das heißt, dass wir ihnen auch die Chance geben zu lernen, zu entdecken, zu hinterfragen, ganz viel auszuprobieren.
(Interview-Nr. 13, Frau Zimmermann, Elementarbereich, Z. 51-55)
In dem Interviewausschnitt werden zunächst Beobachtungsmerkmale der intrinsischen Lernmotivation beim Kind beschrieben. Daraus wird in einer abschließenden Konklusion die pädagogische Aufgabe abgeleitet, eine entsprechende Lernumgebung zu schaffen, in welcher die Kinder ihre intrinsische Lernmotivation ausleben können.
Dieser Bedeutungskontext wird hauptsächlich von Vertreterinnen und Vertretern des Elementarund Sekundarbereichs vorgenommen und steht in enger Verbindung mit dem Bedeutungskontext ,Lernen als anthropologischer Bestandteil': Die Förderung der intrinsischen Lernmotivation als pädagogische Aufgabe geht einher mit der Einstufung, dass die intrinsische Lernmotivation einen Teilaspekt der Anthropologie darstellt, der für die Interviewten als bedeutsam für die Lernbiografie ihrer Klientel angesehen wird.
(c) Lernkontexte des lebenslangen Lernen
Einige Akteurinnen und Akteure nehmen bei der Erläuterung ihres Verständnisses des lebenslangen Lernens Bezug auf die Lernkontexte [1], d. h. sie definieren lebenslanges Lernen über das formale, non-formale und informelle Lernen:
E: Äh&äh ja gut, lebenslanges Lernen, da hat man natürlich jetzt die europäische Definition, die kennen Sie ja.
I: Ja.
E: Und dann äh die Europäer, die Verteilung, unterteilen das in äh formale, nonformale, informelle Weiterbildung.
(Interview-Nr. 5, Herr Braun, berufliche Weiterbildung, Z. 13-17)
In diesem Textbeispiel wird zur Vorbereitung der eigentlichen Behauptung auf die europäische Definition des lebenslangen Lernens hingewiesen. [2] In der anschließenden Behauptung wird konstatiert, dass lebenslanges Lernen im Kontext der europäischen Definition in „formale, non-formale und informelle Weiterbildung“ gegliedert sei. Dass der Akteur hier von formaler, non-formaler und informeller Weiterbildung anstelle von formalem, non-formalem und informellem Lernen spricht, kann der beruflichen Verortung des Experten in der beruflichen Weiterbildung geschuldet sein, auf die sein Antwortverhalten konsequent ausgerichtet ist. Die Interviewpassage zeigt aber auch bezeichnender Weise auf, wie ein Definitionsversuch auf bildungspolitischer Ebene eindimensional (nämlich bezogen auf einen Bildungsbereich) umgedeutet werden kann.
Die Lernkontexte werden von Vertreterinnen und Vertretern aus der Erwachsenenbildung/Weiterbildung angeführt, die eng mit der Bildungspolitik zusammenarbeiten.
- [1] Die Verfasserin der vorliegenden Arbeit lehnt sich bei der Verwendung des Begriffs ,Lernkontexte' an das von Nittel und Seltrecht (2013) entwickelte erziehungswissenschaftliche Differenzschema zur wissenschaftlichen Beschreibung und Rekonstruktion biografischer Lernprozesse an. Die Autoren unterscheiden hierbei zwischen (1a) strukturellen Lerndimensionen, die Fragen nach dem ,Was' des Lernens verfolgen (Wissensaneignung, Verhaltensveränderung, Identitätsund Persönlichkeitsveränderung), (1b) prozessualen Lerndimensionen, die Fragen nach dem ,Wann' des Lernens betreffen (zielgerichtetes, verwaltetes, leidvolles und schöpferisches Lernen), (2) Lernmodi, die Fragen nach dem ,Wie' des Lernens beantworten (Neulernen, Umlernen, Verlernen und Nichtlernen) und (3) Lernkontexten, die Fragen nach dem ,Wo' des Lernens tangieren (formales, non-formales und informelles Lernen) (vgl. Nittel & Seltrecht 2013: 7).
- [2] Die Definition der Europäischen Kommission in der Mitteilung „Einen Europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen“ (2001) greift die Definition des „Memorandum zum Lebenslangen Lernen“ (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2000) auf: Lebenslanges Lernen wird definiert als alles „Lernen während des gesamten Lebens, das der Verbesserung von Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen dient und im Rahmen einer persönlichen, bürgergesellschaftlichen, sozialen, bzw. beschäftigungsbezogenen Perspektive erfolgt“ (Europäische Kommission 2001: 34). Ferner wird spezifiziert, dass das lebensumspannende Lernen als eine Dimension des lebenslangen Lernens jede „formale, nichtformale oder informelle Lerntätigkeit in allen Lebensbereichen und -phasen“ umfasst (ebd.). Dabei wird formales Lernen verstanden als „Lernen, das üblicherweise in einer Bildungsoder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet“ (a.a.O.: 33). Nonformales Lernen wird von der Europäischen Kommission definiert als „Lernen, das nicht in Bildungsoder Berufsbildungseinrichtung stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung führt. Gleichwohl ist es systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es zielgerichtet“ (a.a.O.: 35). Schließlich umfasse das informelle Lernen alles Lernen, „das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nichtintentional (oder ,inzidentell'/beiläufig)“ (a.a.O.: 33). Diese drei gliedrige Differenzierung des Lernens bzw. lebenslangen Lernens wird im erziehungswissenschaftlichen Fachdiskurs durchaus kritisch betrachtet. Overwien (2005) kritisiert, dass die Definition des non-formalen Lernens unpräzise sei, da z. B. in Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowohl Kurse angeboten würden, „die zu einem Zertifikat führen und andere, bei denen das nicht der Fall ist“ (Overwien 2005: 346), also formales und non-formales Lernen in Bildungseinrichtungen stattfinden kann. Seltrecht (2012) plädiert für eine zweigliedrige Differenzierung. Sie unterscheidet zwischen pädagogisch intendierten und nicht pädagogisch intendierten Lernprozessen. Durch diese Differenzierung würden auch jene Lernprozesse berücksichtigt, „die innerhalb pädagogischer Institutionen, aber außerhalb des pädagogisch geplanten Curriculums stattfinden (…) Damit wird auch die Gegenseite des Lernens, also sowohl Vermittlung als auch Aneignung bzw. Lehren und Lernen, berücksichtigt. Ob Lernprozesse pädagogisch intendiert sind, wird daran festgemacht, ob es sich bei (genuin oder nicht genuin) pädagogisch handelnden Personen um eine an die pädagogische Semantik anschließende Intentionalität handelt“ (Seltrecht 2012: 537).