Adaptation und Anwendung
Charakteristisch für das chinesische Wissenschaftssystem ist es, dass es sich dabei um ein Bildungs- und nicht um ein Forschungssystem handelt, d. h. die Orientierung erfolgt hinsichtlich der Bereitstellung und Weitergabe von Wissen und nicht hinsichtlich der Resystematisierung von Wissensbeständen. Diese Orientierung betrifft die Ausbildung und Struktur des Funktionssystems selbst, aber auch die Anschlussbedingungen zu den anderen Funktionssystemen, wie zum Beispiel für das Wirtschaftsoder auch das politische System. Der strukturelle Aufbau des Wissenschaftssystems als ein Bildungssystem ist an der Darstellung und Weitergabe von Wissen zu erkennen. Es zielt darauf ab, ein möglichst breites Publikum zu integrieren und mit Fachkenntnissen zu versorgen. In der Vergangenheit war das aus chinesischer Perspektive ein durchaus erfolgreiches Vorgehen, da der Analphabetismus in den vergangenen Jahrzehnten in China stark zurückging.
Die Adaptation und die Wissensverwertung durch Anpassung und Veränderung führen dazu, dass die Reaktionszeit auf veränderte Wissensbestände in der chinesischen Gesellschaft gering ist. Der Versuch, einen neuen Nutzen zu finden oder neue Bestandteile zur rekombinieren, findet fortlaufend statt. Das betrifft vor allem den Anschluss an das globale Wissenschaftssystem. Somit werden rasch Informationen aufgenommen und für den chinesischen Kontext übersetzt. Die Modernisierung des chinesischen Wissenschaftssystems führte nicht zu einer Ausbildung eines eigenständigen Funktionsbereiches. Insofern dient es dem Wirtschafts- und dem politischen System für Teilaufgaben zur Ausbildung und zur sozialen Unterscheidung. Mit dem Fehlen einer eigenständigen Funktionsbildung stellt sich das Wissenschaftssystem in der Drift der Funktionssysteme in einen anderen Zusammenhang. Das Wissenschaftssystem bildet Verbindungen zu den Funktionssystemen aus und unterscheidet sich in seiner strukturellen Kopplung von westlichen Wissenschaftssystemen für den weiteren Modernisierungspfad, da von ihm keine Veränderungsimpulse zu erwarten sind. Das chinesische Wissenschaftssystem ist durch einen hohen Anwendungsbezug gekennzeichnet, der sich derart ausgestaltet, dass die Produkte des Wissenschaftssystems eine Umsetzung im Wirtschaftssystem zu finden haben. Anhand dieser Orientierung wird deutlich, dass das Wissenschaftssystem sich keiner, mit einer Eigenlogik versehenen Resystematisierung von Wissensbeständen verschrieben hat, sondern immer den Bezugspunkt im Anderen, dem Funktionssystem, sucht. Das Wissen selbst erfüllt über den Anwendungsbezug im Wirtschaftssystem hinaus eine weitere Funktion. Es hat die Status- und Prestigeordnung als einen Abgrenzungsmechanismus zu erfüllen. Insofern ist im Wissenschaftssystem eine Schließungsfunktion vorhanden, die der asymmetrischen Stabilisierung dient. Das Wissen ist auf seine Verarbeitung und an die Herstellung von Zusammenhängen gerichtet, die den Anwendungsbezug sicherstellen. Es hat damit keinen intrinsischen Wert und eine Vertiefung, welche die Bestandteile des Wissens in seine Bestandteile zerlegt, diese wieder zerlegt usw., findet nicht statt. Durch die stetige Prüfung seines Anwendungsbezugs findet eine andere Systematisierung statt, die stets den Situationsbezug sucht. Durch die Veränderungen in der zeitlichen Dimension und damit auch in der Veränderung im Hinblick auf den Situationsbezug variieren die Anschlussbedingungen für die Anwendung von Wissen und der Impuls für eine Rekombination und Variation wird gelegt.