Wirtschaftliche Dimension der Vernetzung

Das Wirtschaftssystem und seine Ausgestaltung sind abhängig vom Netzwerkzugang. Die sozialen Netzwerke in der chinesischen Gesellschaft verbinden auf informeller Ebene die Funktionssysteme und führen durch ihre Bindung zu einer Symbiose der Funktionssysteme. Die Verbindung zwischen dem politischen und dem Wirtschaftssystem ist für die chinesische Gesellschaft deshalb von besonderer Relevanz, da sie eine gegenseitige Abhängigkeit ausgeformt hat, die zu einem charakteristischen Aufbau ohne eine Übersteuerung durch ein einzelnes Funktionssystem geführt hat. Das mag in vielen Fällen trivial sein und keinen besonderen Effekt zeigen, aber bei hohen oder riskanten Investitionen oder Transaktionen kommen die sozialen Netzwerke zum Tragen, da sie eine Absicherung gegenüber Risiko bereitstellen. Der Zugang zu politischen Netzwerken erhöht diese Absicherung und das Gelingen von geschäftlichen Transaktionen. Die Absicherung erfolgt über soziale Netzwerke. Sie liefert den Hintergrund und die oft indirekte Einflussnahme über die die Ausgestaltung und Handhabung von Verträgen. Es besteht zwar oft eine Vertragsgrundlage, die auf gesetzlichen Regeln basiert, jedoch ist ihre Einklagung über den Rechtsweg die Ausnahme. Das mag auch damit verbunden sein, dass der Ausgang der Rechtsentscheidung einem Situationsbezug unterliegt, der schwer vorhersagbar ist. Insofern gilt es, eine nicht kalkulierbare Entscheidung zu vermeiden.

Die sozialen Netzwerke zwischen Organisationen versorgen die Teilnehmer mit Marktinformationen, die von außen nicht ersichtlich sind und deren Fehlen zu Fehleinschätzungen führen könnte. Außerdem versorgen sie Unternehmen mit Möglichkeiten der kommunikativen Anschlussherstellung und Anschlussgestaltung, die über die Bindung der sozialen Netzwerke eine andere Kommunikationsvoraussetzung ist und die Handlungsoptionen erweitert. Ein Geschäftsverkehr unter der Voraussetzung, dass er in einer Gesellschaft ohne Grundsatzkultur stattfindet, ist dann erfolgreich, wenn er bei jeder Interaktion den größtmöglichen Gewinn erzielt und kein Risiko der Überprüfung liefert. Um diese Ziele zu erreichen, werden mehre Strategien angewendet: Es werden exorbitante Preise genannt, um schnell einen möglichst hohen Gewinn zu erzielen, da sich unter Umständen die Situation nicht wiederholt. Sollten die Marktpreise üblich sein, erscheint die Niedrigpreisstrategie ein probates Mittel. Es wird dann ein deutlich niedriger Preis annonciert als der übliche Marktpreis. Nach außen wird eine hohe Qualität des Produkts bzw. der Leistung vergleichbar zum üblichen Marktpreis angeboten. Im Geschäftsvollzug oder dessen Folge wird aber deutlich, dass dieses Angebot nur dann so erfolgen kann, wenn die Qualität deutlich unter den marktüblichen Erwartungen liegt. Auch in diesem Fall ist eine Geschäftswiederholung eher unwahrscheinlich. Die Einbindung von sozialen Netzwerken unterbindet diese Vorgehensweise in mehrfacher Hinsicht. Die Netzwerke sind auf Wiederholung und wechselseitige Verknüpfungen angelegt, das heißt, eine zu starke Übervorteilung oder Nichteinbindung würde zu Sanktionen oder zum Netzwerkabbruch führen, was weitreichende Folgen haben würde. Außerdem schützen die Netzwerke auch vor Risiken, da sie Kommunikationsschleifen aus Erwartungserwartungen bilden.

In der sozialen Dimension der wirtschaftlichen Modernisierung sind die Veränderungen in den Staatsbetrieben und den damit verbundenen Statusordnungen zu beobachten, die dahingehen, dass die Statusveränderungen durch die Umgestaltung der Einflussnahme über soziale Netzwerke kompensiert worden sind. Während die Staatsbetriebe vorher über das politische Zentrum und deren Verwaltungsorgane gesteuert wurden, fand mit der Modernisierung eine Ermächtigung dieser Ordnungseinheiten statt. Das beinhaltet auch, dass sie durch die Privatisierung und durch die Einführung einer marktwirtschaftlichen Ordnung die Orientierung verändert haben. Dennoch haben sich die Statusgruppen erhalten, indem sie eine veränderte Rolle eingenommen haben. So bildeten die politischen Träger in Staatsunternehmen eine neue Rolle aus, die darin bestand, über das politische System und ihre Netzwerke den Zugang zu staatlichen Subventionen herzustellen, da die chinesische Finanzwirtschaft weiterhin durch das politische System kontrolliert wird. Diese Rollenveränderung ist auch ein Beleg für den Erhalt der politischen Eliten, trotz der strukturellen Umgestaltung in der chinesischen Gesellschaft.

Die Guanxi-Netzwerke sind nicht nur für die Transaktionen zwischen dem chinesischen Wirtschaftssystem und dem globalen Wirtschaftssystem von Bedeutung, sondern auch innerhalb des chinesischen Wirtschaftssystems. Es sind nicht länger Geschenke oder Bankette die entscheidenden Rituale für die Guanxi-Netzwerke, sondern vielmehr Vergnügungsarrangements, die auch das Zurverfügungstellen von Frauen für heterosexuelle Männern als sexuellen Service beinhalten. [1] Über die Auslandsdirektinvestitionen und die Bildung von Joint Ventures aus chinesischen und nicht-chinesischen Unternehmen begann die internationale Verflechtung des chinesischen Wirtschaftssystems mit dem globalen Wirtschaftssystem. Besonders auffallend ist dabei, dass der größte Anteil der Auslandsdirektinvestitionen von der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong und Taiwan erfolgten, also aus Bereichen mit einem gleichen kulturellen Hintergrund. [2]Das wird dadurch erklärt, da Mitglieder aus diesen Bereichen über die Vorgehensweise in der Kommunikationssteuerung einer Netzwerkgesellschaft und einer damit anderen Form der Geschäftsgestaltung erfolgreicher umsetzen konnten. Eine vergleichbare Problematik unter umgekehrten Vorzeichen lässt sich bei der Gründung von Auslandsniederlassungen chinesischer Unternehmen und dem Zukauf von nicht-chinesischen Unternehmen erkennen. Sie wird oft nach chinesischen Mustern durchgeführt. Damit ergeben sich Spannungen in der Ausgestaltung der geschäftlichen Kommunikationen mit den anderen Märkten, da sich die chinesische Vorgehensweise ebenso wenig verallgemeinern lässt wie die nicht-chinesische Kommunikationssteuerung in der chinesischen Gesellschaft. Die Zielverfolgung über soziale Netzwerke, wie sie in der chinesischen Gesellschaft üblich ist, lässt sich nicht auf andere Gesellschaften erfolgreich übertragen. Angesprochen ist dabei die Anschlussgestaltung, da der Einfluss über soziale Netzwerke außerhalb der chinesischen Gesellschaft wesentlich geringer ist. Ferner finden sich in westlichen Gesellschaften häufiger Interpenetrationszonen mit dem Rechtssystem, die zu einer anderen Konfliktaustragung im Enttäuschungsfall führen. [3]

  • [1] Yang, Mayfair Mei-hui. „The Resilience of Guanxi and its New Deployments: A Critique of Some New Guanxi Scholarship,“ The China Quarterly No. 170, Jun., 2002, 459–76.
  • [2] Morrison, Wayne M. „China's Economic Rise: History, Trends, Challenges, and Implications for the United States”, CRS Report 3. Feb. 2014, 17, auch abrufbar unter fas.org/sgp/ crs/row/RL33534.pdf, rev. 2014-06-06.
  • [3] Hsing, You-tien. „Building Guanxi Across the Stairs: Taiwanese Capital and Local Chinese Bureaucrats,“ in Aihwa Ong und Donald Nonini (Hrsg.). The Cultural Politics of Modern Chinese Transnationalism. New York: Routledge 1997, 143–64.
 
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