Folgerung: Chinesische Sozialordnung
Die Ziehung der Mitgliedschaftsgrenzen ist immer auch begleitet mit der Schaffung von kollektiven Identitäten, sei es die Kulturgesellschaft als Selbstbeschreibung der chinesischen Gesellschaft auch über die Staatsgrenzen der Volksrepublik hinweg oder sei es die Ausbildung von Ethnien, Dialekt-, Regional- und religiösen Gruppen. Die Differenzierung über die Gruppenzugehörigkeit und gleichzeitig die Zusammenführung über hochinklusiv-exklusive Netzwerke führen zu einem besonderen Muster der Kommunikation in der chinesischen Gesellschaft. Das hat zur Folge, dass es zugleich eine hohe Form der kommunikativen Konfliktvermeidung gibt, aber an anderer Stelle auch hohe Konfliktaustragungen und hohe Indifferenz gegenüber dem Anderen vorliegen können. Sie stabilisiert die Teilsysteme der Gesellschaft. Diese Form der permanenten Entscheidung, ob Mitglied oder Nicht-Mitglied, erlaubt eine sehr hohe Dynamik, da sie nicht nur an formale Mitgliedschaftsbedingungen gebunden ist. Durch die stetige Selektion der Mitgliedschaft werden Selbstirritationen geschaffen, die das System mit neuen Veränderungen versorgen. Auch wenn der Veränderungszwang sehr hoch ist, so findet dennoch eine Absicherung der Mitglieder durch unterschiedliche soziale Netzwerke statt. Sie liefern die Zwischenverbindungen durch informelle Prozesse, die Funktions- und Organisationssysteme miteinander verbinden. Sie bilden die Solidaritätsbeziehungen aus, die sich unter anderem einen Ausgleich schaffen. Außerdem kommt hinzu, dass eine asymmetrische Ordnungsvorstellung als stabilisierend wahrgenommen und gesellschaftlich präferiert wird. Das führt uns zu einer anderen Form der Sozialkonstruktion der chinesischen Gesellschaft, auf die später einzugehen ist.
Die chinesische Sozialkonstruktion ist der Schlüssel zum Verständnis der strukturellen Voraussetzungen der chinesischen Gesellschaft. Sie liefert den Aufschluss über die Konstruktion der Erwartungserwartungen als der sozialen Normen, die Gestaltung der Institutionalisierung von Solidaritätsformen und die Grenzziehung zwischen sozialen Systemen nach Maßgabe ihrer Mitgliedschaftsbedingungen. Die Erwartungserwartungen in der chinesischen Gesellschaft richten sich nicht an eine individualistische, sachorientierte Sozialordnung, sondern an eine Kollektivorientierung der Mitglieder von sozialen Netzwerken. Sie verweist auf die Status- und Prestigeordnungen bzw. die hierarchischen Abstufungen der Kommunikationsprozesse. Die Mitgliedschaftsbedingungen richten sich somit an die Zugehörigkeit von sozialen Netzwerken und an die Status- und Prestigegruppen. Daraus ergeben sich Grenzziehungen, die zu harten Konflikten und Indifferenzen an der Außenseite der sozialen Netzwerke führen können. Es hat aber zugleich auch zur Folge, dass innerhalb der sozialen Netzwerke konfliktarm kommuniziert wird und sich ein Solidaritätsgeflecht aufbaut.
Die chinesische Sozialordnung unterscheidet sich von westlichen Gesellschaften durch ihre Orientierung, ihre Kommunikationsgestaltung und ihren Aufbau. Dabei sind diese drei Ebenen nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern sie stehen miteinander in wechselseitiger Beziehung. Der Aufbau der chinesischen Sozialordnung bildet die Struktur, die die Grenzziehung festgelegt. Zu diesen strukturellen Eigenschaften zählen die sozialen Netzwerke und die Collectivities. Sie beeinflussen die Orientierung der Gesellschaftsmitglieder dahingehend, dass sie sich an einen äußeren Zusammenhang richten, wie zum Beispiel eine Gruppe, das Netzwerk, oder auch eine Ethnie mit ihren traditionellen Ritualen. Die Kommunikationsgestaltung, das umfasst die Rollendefinition, die Verhaltenserwartung und auch die Rituale, ergibt sich aus dem Aufbau und der Kollektivorientierung. Der Zusammenhang, der daraus entsteht, bildet die chinesische Sozialkonstruktion. Sie liefert damit den Erklärungsrahmen für die Ordnungsstrukturen unterhalb der Teilsysteme, wie sie im zweiten Teil beschrieben sind, und für die strukturellen Herausforderungen, die sich aus der Modernisierung ergibt, diese folgen im vierten Teil.