Die Zukunft der Netzwerke
Das moderne China ist und wird in Zukunft von einer Sozialordnung und bestimmten Ordnungsvorstellungen geprägt sein. Die existenzielle Frage, die die Moderne auferlegt, wird nicht mehr durch eine religiöse Vorstellung entschieden werden. Auch die Teilsysteme der Gesellschaft können nur unzureichend Rationalisierungsanschlüsse liefern. Für die chinesische Gesellschaft wird kein Universalismus in der Inklusion, wie wir es beispielweise aus den Vereinigten Staaten kennen, zu erwarten sein. Das wird auch nicht zu Spannungen führen oder gar zu Auslösern sozialer Bewegungen werden, die darauf angelegt sind, das politische Zentrum zu verändern. Eine Lösung der existenziellen Frage besteht in der Verschiebung der Zeitdimension, die derart angelegt ist, dass die Schleifen immer wieder zu diesem Punkt zurückkommen. Die nachweltliche Ordnung ist fest an die Familie gekoppelt. Darin bestehen ihr Fortbestand und ihre Folge. Der Aufstieg und Fall besteht damit immer in einer Gruppe der Familie, dem Kern von sozialen Netzwerken in China. Sie legen die Selektionen fest.
Es ist zu erwarten, dass auch in Zukunft die sozialen Netzwerke ihre Bedeutung behalten und sich die Konfliktlinien an ihren Rändern abzeichnen: „While (Western, der Verfasser) manager think that rational management practices will eventually erase guanxi-influenced action in the corporation, Chinese employees disagree. Guanxi becomes repositioned within business management, a form of ethical reasoning that deflects business rationalities, bending them to accommodate workers' social obligations to relatives and friends outside the corporate world.“ [1] Diese Konfliktlinien werden sich nicht vereinheitlichen, sondern partikular und fragmentarisch bleiben. Ein institutioneller Einbruch in die Inklusionsordnung der Netzwerke ist nicht möglich. Darin wird die Inklusionsöffnung der Teilsysteme nichts ändern.
Der Forschungsschwerpunkt der Analyse der Solidarität in der chinesischen Gesellschaft besteht in der Untersuchung der sich stets neu formierenden sozialen Netzwerke, die eine Verbindung zwischen und in dem politischen-, Wirtschafts-, Rechts-, Wissenschaftssystem herstellen. Das betrifft die Form der Inklusion durch Exklusion, die ein hohes Maß an Flexibilität und Wandlungsbereitschaft ermöglicht, und zugleich Erwartungen stabilisiert. Das wird auch über die politische Staatsgrenze hinweg das Integrationsmuster der chinesischen und auslandschinesischen Mitglieder sein. Damit wird sich eine Form aus formellen und informellen Mitgliedschaftsbedingungen herausbilden, die durch den Mangel eines Universalitätsanspruchs für westliche Beobachter weiterhin zu Irritationen führen wird, da sich die Institutionen nicht mit westlichen vergleichen lassen.
Die sozialen Netzwerke binden unter der Dominanz der sozialen und vor der sachlichen Dimension, d. h., sie geht mit Status-, Prestigeordnungen einher und liefert Antworten auf die Fragen der Zugehörigkeit. Die chinesische Sozialkonstruktion orientiert sich an der Familie und den sozialen Netzwerken. Die Ausgestaltung der Netzwerke und die Form ihrer Stabilisierung haben sich im Zuge der Modernisierung verändert, doch die Struktur ist erhalten geblieben. Sie liefern die Grundlage für positive und negative Solidarität. Innerhalb der sozialen Netzwerke kommen vielschichtige Solidaritätskonzepte zum Tragen, die aber nicht auf Nichtmitglieder zu übertragen sind. An der Grenze werden diese Trennungen sichtbar, da es keine universale Inklusion für soziale Solidarität in der chinesischen Gesellschaft gibt. Der Utilitarismus prägt den Aufbau und die Netzwerkausgestaltung. Soziale Netzwerke, die in ihr enthaltene Solidarität und der Utilitarismus in der Interessenverfolgung, führen zu einem Inklusions-Exklusionsmechanismus, der für die chinesische Gesellschaft signifikant ist.
Im Hinblick auf die solidarische Integration besteht das besondere Erkenntnisinteresse in dem Zusammenspiel zwischen der Zukunftsanforderung an die solidarische Integration und dem Eintreten der Situation, wenn das Wachstum nicht mehr durch Netzwerke verteilt werden kann. Das heißt, durch eine länger anhaltende wirtschaftliche Krise setzt eine Schrumpfung ein und es stehen nicht mehr die für die Umverteilung benötigten Ressourcen zur Verfügung. Dies wird eine Umgestaltung der Netzwerke und ihrer Möglichkeiten einleiten. Wenn die Ressourcen knapp sind und es nichts mehr zu verteilen gibt, brechen die Verbindungen und Solidargemeinschaften der Netzwerke auseinander. Das kann zum Beispiel dann eintreten, wenn die Zukunftsinvestitionen in die Bildung der Familienmitglieder nicht zu einer wirtschaftlich guten Einstellung und damit zum Beitritt in das Wirtschaftssystem führen. Das mag im Unterschied zu westlichen Einschätzungen aber nicht in Unruhen oder Umsturzbewegungen enden. Es ist nicht zu erwarten, dass möglicher Protest sich auch politisch organisieren und alternative Programme anbieten würde. Daraus sollten wir aber nicht folgern, dass die chinesische Gesellschaft zerbricht oder dass langfristig eine Individualisierung der Kommunikation westlichen Zuschnitts eintritt. Auch dann, wenn die Chance besteht, Eigentum zu erwerben, wird man auf die bewährten Problemlösungen zurückgreifen. Es werden Netzwerke unter anderen Voraussetzungen geknüpft. Wir sollten davon ausgehen, dass partikulare gegenüber zentralen Lösungen vorgezogen werden. Es wird neue Gruppen und neue Modernisierungsgewinner geben, welche die kulturelle und soziale Identifikation mit der Bindung an ihren Erfolg und die damit einhergehende Wertschätzung aufrechterhalten. Von Generation zu Generation werden sie eine besondere chinesische Erfolgsgeschichte erzählen.
- [1] Ong, Aihwa. „Re-Engineering the 'Chinese Soul' in Shanghai?,” ProtoSociology Vol. 26. Modernization in Times of Globalization I, 2009, 195.