Teilsysteme

Es ist immer im Blick zu behalten, dass die chinesische Planung, unabhängig von den Fünfjahresplänen, kurz- und mittelfristig und nicht langfristig angelegt ist. Der strukturelle Nachteil der Organisation des Wissenschaftssystems wird auch dahingehend auszugleichen versucht, dass die individuelle Ausbildung früher, länger und intensiver erfolgt. Die chinesische Mittelschicht schickt ihre dreijährigen Kinder schon zum Englisch- und Musikunterricht, um sie auch auf die veränderten Austauschbeziehungen Chinas mit seiner sozialen Umwelt vorzubereiten. Um zu einem mit dem Westen vergleichbaren Innovations- und Ideenreichtum zu gelangen, muss eine Reorganisation im chinesischen Wissenschaftssystem derart erfolgen, dass es die Zusammenlegung von Wissensbeständen ermöglicht. Probleme sind in der Gruppe zu kommunizieren und lösen. Die Lösung hat einen sachlichen Vorrang vor den Statuspositionen der Gruppenmitglieder zu erhalten. Eine solche Veränderung ist aus der gegenwärtigen Perspektive höchstens mittelbis langfristig zu erwarten.

Politik

Die Zukunftsanforderungen des politischen Systems Chinas betrifft die Einordnung in das transnationale politische System. Die Untersuchungen beziehen sich damit insbesondere auf die Positionierung Chinas im multipolaren internationalen System. Das betrifft die Konstruktion der chinesischen Identität und die Grenzziehung nach außen und insbesondere die Gestaltung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, zu Russland, zur Europäischen Union sowie zu den südamerikanischen und afrikanischen Staaten. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Forschungen von David Shambaugh und dem amerikanischen Thinktank Peterson Institute for International Economics. [1]

Die Frage nach der Selbstbeschreibung im internationalen System führt zu dem Kontrast, dass China keinen Führungsanspruch für sich in Anspruch nimmt. Eine bezeichnende Aussage liefert dazu der Politikwissenschaftler Professor Yan Xuetong von der Tsinghua University: „China is not prepared for a world leadership. When the world asks China: What do you want to be? It doesn't know, and that's a problem.“ [2] Auch der aktuelle Staatspräsident Xi Jinping, der in seiner Position des Vizepräsidenten 2012 äußerte: „A prosperous and stable China will not be a threat to any country. It will be a positive force for world peace.“ [3]. Diese Aussagen erwecken den Anschein, dass China sich aus einer internationalen Profilierung heraushalten soll. Für die Analyse der Außenwahrnehmung unterscheidet Shambaugh sieben internationale Identitäten Chinas, welche die außenpolitische Wahrnehmung und Selbstbeschreibungen umfassen. Sie reichen von einer nationalen, nach innen gerichteten Orientierung und Abgrenzungen gegenüber dem Westen und insbesondere den Vereinigten Staaten, über die Ausbalancieren Chinas mit Russland oder anderen multipolaren Blöcken, wie der Europäischen Union, Russland, Brasilien und Indien in Abgrenzung zu den Vereinigten Staaten, bis zu einer Fokussierung auf eine bilaterale Partnerschaft Chinas mit den Vereinigten Staaten als G–2 bis zu einer Verstärkung der diplomatischen Einflussnahme über die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat. [4]

Für die kollektive Zielgestaltung nach innen besteht für das politische System die Herausforderung darin, die weitere Modernisierung voranzutreiben. Das betrifft zum Beispiel die Ausweitung der Modernisierung Chinas, die Gründung neuer Städte, den Ausbau der Infrastruktur, die Entwicklung des landwirtschaftlichen Raums Zentralchinas und die Ausweitung des Handels, der sich verlangsamt oder sogar rückläufig ist. Zu erwarten ist in dieser Situation, dass die politische Elite nicht nach neuen Lösungen sucht, sondern die bisherigen erfolgreichen Strategien anwendet. So werden die lokalen Verantwortungen vor der zentralen Verantwortung einen Vorrang haben, die Situationslösung einen Vorrang vor Musterlösungen und die Vielfalt der Problemlösungen einen Vorrang vor Einheitslösungen haben. Damit geht eine positive Bewertung von Unterschieden einher und von ihr geht die Problemlösung aus.

Für das politische System ist auch in Zukunft davon auszugehen, dass es voraussichtlich als ein Bindeglied dieser inneren Differenzierungen die Stärkung der kollektiven Identität der Chinesen vornimmt und die Herausstellung ihrer Einmaligkeit weiterhin das innenpolitische Programm bleibt. Das betrifft aber nicht nur die Innenpolitik und damit den Umgang mit unterschiedlichen religiösen, ethnischen Gruppen und gesellschaftlicher Partikularisierung, sondern auch die politische Selbstdarstellung nach außen. [5]

Die Kollektivbeschreibung der Chinesen in den vergangenen zwanzig Jahren für die wirtschaftliche Modernisierung war dann erfolgreich, wenn sie auf den Anstieg des Lebensstandards hinauslief. Die Orientierung wird auch weiter zu dem Programm der chinesischen Politik gehören. Sie eröffnet nach innen die Verlautbarung des Programms der Mobilität und des Aufbruchs mit dem Glauben daran, „Alles ist möglich“. Gegenüber den außenpolitischen Darstellungen stellt die Unterstützung der wirtschaftlichen Modernisierung einen Handlungsspielraum bereit und erhöht damit gleichzeitig die Akzeptanz der chinesischen Politik durch die Legitimation „Wir haben es richtig gemacht“.

Die chinesischen Eliten werden sich ihren eigenen Problemen zu stellen haben, die durch die Modernisierung der chinesischen Gesellschaft herbeigeführt wurden. Das steht ihnen bereits nicht mehr zur Disposition. Dabei werden sie nicht auf westliche Modelle zurückgreifen können. Es ist eher zu erwarten, dass sie die Strukturen weiter variieren, die sich aus ihrer Sicht bewährten. Der mittel- und langfristige Entwicklungspfad wird dabei von den Strukturen der chinesischen Gesellschaft und ihren Innovationen abhängig sein. Das zeigt sich an der Veränderung der sozialen Beziehungen im Alltag, des einzelnen Gruppenmitglieds zu seiner Gruppe und an der für die chinesische Gesellschaft typischen Gestaltung von Problemlösungen durch soziale Netzwerke. Das wird kurzfristige Entwicklungskonflikte nicht ausschließen, sondern sie auch befördern. Damit können aber auch Regulierungsdefizite einhergehen. Ihre Absorption wird über die typisch chinesische Konfliktverarbeitung und Zielverfolgung verlaufen. Sie wird sich vermutlich an einer den Chinesen vertrauten Erfahrung und Problemlösungsstrategie orientieren, die sich dahingehend zusammenfassen lässt: Folge dem Wandel.

  • [1] Shambaugh, David. Chinas goes global. The partial power. New York: Oxford UP, 2013 und Bergsten, Fred, Charles Freeman, Nicholas Lardy und Derek Mitchell. China's Rise. Challenges and Opportunities. Washington (DC): Peterson Institute, 2009.
  • [2] Zitiert von Shambaugh in, Shambaugh, David. Chinas goes global. The partial power. New York: Oxford UP, 2013, 13.
  • [3] Zitiert von Shambaugh, ebd., 45.
  • [4] Shambaugh, David. „2. China's Global Identities,“ in Chinas goes global. The partial power. New York: Oxford UP, 2013, 13–44.
  • [5] Die Herausforderungen im Umgang mit religiösen, ethnischen Unterschieden in der chinesischen Gesellschaft hat Robert P. Weller untersucht, der die Orientierung, religiöse Gesetzesverstöße nicht zu ahnden, solange der Vorherrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei und Ordnung nicht infrage gestellt werden, als unzureichend einschätzt, Weller, Robert P. „The Politics of Increasing Religious Diversity in China,“ Daedalus 143(2) Growing Pains in a Rising China, Spring 2014, 135–44.
 
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