Ergebnisse
Die gesellschaftliche Veränderungen der chinesischen Gesellschaft betreffen ihren charakteristischen Modernisierungsverlauf und eine Resystematisierung der gesellschaftlichen Teilsysteme, dem Wirtschaftssystem, dem politischen System, dem Wissenschaftssystem und dem Rechtssystem. Daran ist gegenüber der institutionellen Ordnung funktionaler Differenzierung ein anderer Strukturaufbau zu erkennen. Er wird am Leitfaden der Sozialordnung durch die kollektiven Identitäten, der für die chinesische Gesellschaft charakteristische Ordnungsmechanismus durch soziale Netzwerke und die chinesische Sozialkonstruktion, die übergeordnet Integrations- und Selektionskriterien der chinesischen Gesellschaft, exemplifiziert. Das belegt, dass die chinesische Modernisierung einen anderen Entwicklungspfad eingeschlagen hat, der sie auch von der historischen japanischen Modernisierung im Zuge der Meiji-Modernisierung unterscheidet.
Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass für die chinesische Modernisierung zwei Strukturmerkmale typisch sind. 1. Wenn wir von der Inklusionslogik funktionaler Differenzierung ausgehen, dann liegt in den Funktionssystemen eine andere Version ihrer Öffnung (Inklusion) und Schließung (Exklusion) vor. 2. Aufgrund der Startbedingungen der Modernisierung hat sich eine andere Struktur der Interpenetration der Funktionssysteme etabliert. Das betrifft nicht nur den institutionellen Aufbau, sondern auch den Austausch über die sozialen Netzwerke.
Diese Ergebnisse werden durch die Beschreibung zum Modernisierungsverlauf, der mit einem „Orientierungswandel“ und einer „Hybridisierung“ einhergeht verdeutlicht. Hervorzuheben ist dabei, dass es ein Gefälle zwischen der chinesischen Selbstbeschreibung als einmalige Zivilisation und dem Unterschied zu dem Entwicklungspfad der westlichen Modernisierung vorliegt, der, so die Hypothese, von chinesischer Seite nicht ausgeglichen wird bzw. auch nicht beansprucht wird auszugleichen. Insofern wirken sich der auch historische chinesische Selbstbezug und die Ausgrenzung gegenüber der fremden sozialen Umwelt aus.
Angesprochen ist damit die Struktur der chinesischen Modernisierung. Die chinesische Modernisierung zeichnet sich nicht durch eine Rationalisierung, Individualisierung, Aktivismus und Instrumentalismus, sondern durch eine Dominanz des Sozialen (soziale Dimension), der Kollektivorientierung auf soziale Netzwerke, einer Mélange aus traditionalen und westlichen Institutionalisierungen und der Adaptation als eine Anpassung an die Vergangenheit aus. Das betrifft im besonderen Maße, wenn die Analyse der Teilsysteme Wirtschaft, Politik, Recht und Wissenschaft erfolgen. Sie bilden die Grundlage für die chinesische Sozialordnung.
Die chinesische Sozialordnung bildet die Querstruktur, welche die Gesellschaftsstruktur zwischen den Teilsystemen und ihre formalen Organisationen erfasst. Gut belegbar ist das über die Lobbygruppen, die nicht über Verbände organisiert sind, sondern einzelne Unternehmen haben einen direkten Zugang zu Regierungsstellen und der Beeinflussung der Gesetzesvorlagen. Die Analyse der chinesischen Sozialstruktur greift den Problemanschnitt der Modernisierung unter der Voraussetzung von Globalisierung und Hybridisierung auf. Mit der Analyse der Grenzziehungen, der Formen der sozialen Integration und Solidarität sowie der chinesischen Sozialkonstruktion wird belegt, dass in der chinesischen Gesellschaft eine typische Selektion und Integration vorliegt, die für westliche Gesellschaften nicht charakteristisch ist. Das betrifft die Konstruktion der kollektiven Identitäten, die das politische Zentrum zu einer nationalen Identität umzudeuten beabsichtigt und die sozialen Netzwerke, als eine Form der sozialen Grenzziehung mit Integration und Solidaritätsfunktionen. Daraus sind Formen der Kommunikation, der Mitgliedschaftsrollen und Veränderungen der Tradition erkennbar. Der Erhalt und die Veränderungen dieser Strukturen sind auf die chinesische Sozialkonstruktion zurückzuführen, da in ihr die Konstruktion der Erwartungserwartungen, die Mitgliedschaftsunterscheidung und die Solidaritätsgestaltung angelegt sind.
Die chinesische Gesellschaft hat sich unter der Voraussetzung von Globalisierung anderen Herausforderungen als die westlichen Gesellschaften zu stellen. Das trifft auch dann zu, wenn die Selbstbeschreibung der chinesischen Gesellschaft etwas anderes vermuten lässt. Die strukturellen Voraussetzungen ergeben sich aus dem Modernisierungsverlauf, der Sozialordnung und den durch die Dimensionen der Globalisierung veränderten Anschlussbedingungen für die Teilsysteme der chinesischen Gesellschaft. Damit angesprochene sind die Formen der sozialen Integration, der Institutionalisierung der Solidarität und die Posthybridisierung der Teilsysteme. Die Zusammenfassung zeichnet den Resystematisierungsweg nach und schlägt vor, dass eine weitere Forschung zur chinesischen Gesellschaft eine andere Perspektive und Fragestellung einnehmen sollte.
Der Forschungsbeitrag dieser Untersuchung besteht darin, dass sie die Gesellschaftsstruktur mit ihren Veränderungen und Querstrukturen zwischen den Teilsystemen darstellt. Das ist ein anderer theoretischer Anschnitt als in den Analysen der funktionalen Differenzierung der Weltgesellschaft. Bisher liegen in den Modernisierungsforschungen Untersuchungen zu den Teilsystemen der chinesischen Gesellschaft und mikrosoziologische Feldstudium zum Erhalt traditionaler Kommunikationsmuster bzw. deren Veränderungen vor. Durch die Verbindung der Analyse der Teilsysteme und darüber hinaus des strukturellen Aufbaus der chinesischen Sozialordnung, insbesondere der Resystematisierung der chinesischen Sozialkonstruktion, stellt diese Untersuchung einen Anschluss zu der Fortschreibung der Multiple Modernities und der Spezifizierung verschiedener Modernisierungspfade her. Sie belegt, dass Globalisierung und Glokalisierung gerade nicht zu einer McDonaldisierung und einer Ausbreitung und Institutionalisierung des westlichen Universalismus mit seinem christlichen Hintergrund einleitet.
Die wissenschaftliche Leistung der Untersuchung besteht darin, dass sie vor dem spezifizierten Problemanschnitt eine Analyse der Veränderung der chinesischen Gesellschaftsstruktur, ihrer Sozialordnung und ihrer Kommunikationssysteme vornimmt, die unter den Untersuchungen zur chinesischen Modernisierung von Ökonomen, Anthropologen, Ethnologen, Politologen und Soziologen so nicht verbreitet ist. Mit der gewählten Resystematisierung wird erklärt, warum ein westlicher Modernisierungspfad auch in der Zukunft für die chinesische Gesellschaft unwahrscheinlich ist. Darüber hinaus charakterisiert sie die Folgen, die durch den chinesischen Modernisierungspfad ergeben, die darin bestehen, dass für das politische System, aber auch das Rechtssystem, keine westlichen Ordnungen zu erwarten sind. Soziologisch informativ ist die Untersuchung, da sie die gesellschaftliche Kommunikation auf die kollektiven Identitäten spezifiziert. Ihnen kommt in der chinesischen Gesellschaft eine besondere Funktion zu, die darin besteht, Bindungen herzustellen, die zugleich der Selbstidentifikation und Abgrenzung nach außen dienen.
Wenn man die zentrale Fragestellung der soziologischen Theorie nach den unterschiedlichen Begriffen der Integration sozialer Systeme und der Sozialordnung formuliert, so liegt es mitgliedschaftstheoretisch nahe, die Mitgliedschaftsentscheidung und die Mitgliedschaftsselektion als eine Selbstirritation zu fassen. Der Begriff der Selbstirritation spielt in dem Spätwerk Luhmanns eine grundlegende Rolle für die Analyse der gesellschaftlichen Kommunikation und Ordnungsbildung. [1] In der Tradition der soziologischen Theorie hat man sich weitgehend an den Ordnungsentwürfen der Teilsysteme orientiert. Es ist auch die Frage, ob der Begriff der sozialen Ordnung, wie er von Parsons eingeführt wurde, eine tragfähige Konzeption für die Analyse von Sozialstrukturen ist. Vor allem die normativistische Soziologie in unterschiedlichen Traditionen haben ihren Erklärungswert verloren. Damit wird nicht behauptet, dass Kommunikationen und soziale Systeme keine Regelungen als Orientierung für ihre Teilnehmer und Mitglieder voraussetzen. Diese Regelungen können informell und formell sein. Sie versehen aber in jedem der beiden Fälle die Kommunikationen mit Negationsspielräumen und entsprechenden Negativsanktionen. Die Untersuchung zur hybriden Modernisierung Chinas belegt diese Interpretationsstrategie, da aus seinem mitgliedschaftstheoretischen Anschnitt folgt, dass die Ordnungsbildung in den chinesischen Kommunikations- und Funktionssystemen stark über Ausschluss integriert sind. Das betrifft die Prestigeordnung und die sozialen Netzwerke als Querverbindungen zwischen den Teilsystemen.
Insofern liegt aus meiner Sicht der weitere Schritt nahe, die chinesische Modernisierung als einen besonderen Fall von Modernisierung als Selbstkonfrontation und Selbstirritation im Kampf um den Fluss freier Ressourcen (Eisenstadt) zu fassen. Dieser Vorgang ereignet sich in der Zeit und ist deshalb nicht steuerbar. Die Differenz zwischen der gegenwärtigen Zukunft und der zukünftigen Gegenwart ist durch keine Steuerung zu überbrücken. Es ist deshalb auch nicht zufällig, dass bei den Steuerungsprogrammen immer nachzusteuern ist. Die Selektion und Restabilisierung ihrer Strukturen ist dabei von historischen Voraussetzungen abhängig, die sich nicht verallgemeinern lassen. Das gilt auch dann, wenn zum Beispiel das politische Zentrum, wie im Falle Chinas, das auslösende soziale System war und seinerseits fortlaufend Programme und Regelungen vorgibt. Sie werden aber nicht eins-zu-eins umgesetzt. Das führt zu der Struktur der chinesischen Modernisierung zurück. Man könnte hier im Fortgang an diesem Beispiel auch die Illusion der politischen Steuerung erörtern.
Die Untersuchung zu dem besonderen Entwicklungspfad der chinesischen Modernisierung belegt, dass die Analyse von sozialer Integration unter der Voraussetzung von Globalisierung und der Multiplen Modernisierung viel differenzierter anzusetzen hat, als das üblicherweise geschieht. Dies auch deshalb, da die Differenz von Inklusion und Exklusion alle Typen sozialer Systeme durch die systemtypische Mitgliedschaft dominiert. Dabei ist davon auszugehen, dass die Differenzierung des Gesellschaftssystems in mitgliedschaftsbestimmte soziale Systeme einen Differenzierungsvorgang zwischen den Teilsystemen, dem Organisationssystem und dem Interaktionssystem zur Folge hat. Die soziale Integration ist nach diesem Ansatz nicht mehr über Konsens, auch nicht über Wertekonsens, zu erreichen, sondern als eine wechselseitige Einschränkung von Mitgliedschaften in sozialen Systemen zu erklären. Aus dieser Sicht sind diese Einschränkungen durch die Mitgliedschaftsbedingungen gegeben, wobei die Entscheidung über Mitgliedschaft fortlaufend zu treffen und zu kommunizieren ist. Das erfordert die Selektion von Mitgliedern durch die Teilsysteme und Organisationssysteme und ist eine Voraussetzung für den Aufbau von systemeigener Komplexität.
Es ist somit naheliegend, Integration als eine Mitgliedschaftsvariable zu fassen. Hervorzuheben ist, dass mit diesem Anschnitt keine Vorentscheidungen im Hinblick auf eine Bewertungsrhetorik derart getroffen ist, ob Integration zum Beispiel gut, schlecht und wünschenswert ist. Von besonderer Relevanz ist dabei, dass man bei der Angabe und Analyse von Bedingungen von Integration/Desintegration auf ein Zeitverhältnis stößt. Die Mitgliedschaft enthält auch ein Zeitverhältnis, da wir immer nur eine bestimmte Zeit ein Mitglied in einem sozialen System sind. Wir erkennen daran, dass soziale Integration nicht etwas Festgefügtes ist, sondern sich in den Ereignissen über Entscheidungen über Mitgliedschaft, die es nur in der Gesellschaft geben kann, herstellt oder verhindert wird.
- [1] Preyer, Gerhard. „Irritation – Systemtheoretische Grundlagen,“ in Carsten Gansel und Norman Ächtler (Hrsg.) Das „Prinzip Störung“ in der Geistes- und Sozialwissenschaften. Berlin: De Gruyter, 2013, 1529.