Sprecherpositionen: vonseiten der Forscherin zugeschrieben und vonseiten (Bildungs-)Organisation auferlegt

Dieser Definitionsversuch wird von Akteurinnen und Akteuren aus der Interviewgruppe ,Erwachsenenbildung/Weiterbildung' sowie ,Bildungspolitik' vertreten. Dabei weisen die meisten Informantinnen und Informanten eine vonseiten der Forscherin zugeschriebene Sprecherposition auf. Sie vereinen sowohl die wissenschaftliche als auch die praxisbezogene Perspektive. Lediglich die Sprecherposition eines Interviewpartners aus der Erwachsenenbildung wurde vonseiten der Organisation, in welcher er tätig ist, auferlegt. Diese Person vertritt aufgrund seines intermediären beruflichen Tätigkeitfeldes sowohl die praxisbezogene als auch die wissenschaftliche Perspektive. Da diese Sprecherposition bei diesem Definitionsversuch nur einmal auftritt, werden die beiden Sprecherpositionen hier gemeinsam erörtert und auf jeweilige Besonderheiten in Bezug auf Sprecherrolle und Interaktion an entsprechender Stelle hingewiesen.

Bei dem Interviewpartner mit einer vonseiten der Organisation auferlegten Sprecherposition war der Forscherin dieser Sachverhalt bei der Kontaktaufnahme nicht bekannt. Vielmehr ging sie von einer selbstinitiierten und extern anerkannten Sprecherposition aus. Erst in der konkreten Interviewsituation thematisiert der Akteur im Kontext der Beantwortung der Einstiegsfrage zu seinem Verständnis des lebenslangen Lernens die Besonderheit seiner Sprecherposition:

E: (4 sek.) (atmet ein) ja(') vielleicht ah(-) kann ich so anfangen(') dass ich ahm in das .. das ah Projekt lebenslanges Lernen gewissermaßen über ne Berufsbiografie hinein .. ahm beordert wurde(') .. weil die Einrichtung ahm sehr plötzlich einen Auftrag bekommen hatte im Bereich lebenslanges Lernen und ahm dann waren Mittel da und&musste schnell jemand gesucht werden(,) as&und ahm übern Markt ah jemanden neu einzukaufen ging nich und dann ist die Einrichtung auf mich zurückgekommen(-)

(Interview-Nr. 1, Herr Müller, Erwachsenenbildung, Z. 37-43)

Die Textpassage beginnt mit einer Planungsphase, die darauf verweist, dass die Einstiegsfrage der Interviewerin nicht ohne Weiteres von dem Informanten beantwortet werden kann. In dieser Planungsphase scheint er zu beschließen, zunächst das Zustandekommen seiner Sprecherposition im Diskurs über das lebenslange Lernen darzustellen. In seiner anschließenden Behauptungsaktivität weist er darauf hin, dass sein Arbeitgeber die mit dem Thema ,lebenslanges Lernen' verbundene Aufgabe an ihn herangetragen habe. Unter dem Zugzwang des Explizierens führt er dann die Gründe hierfür an.

Die Passage verdeutlicht, dass die auferlegte Sprecherposition einen aufoktroyierten Charakter aufweisen kann, d. h. es existieren institutionelle Rahmenbedingungen, die es eigentlich nicht zulassen, eine Aufgabe und eine damit verbundene Sprecherposition abzulehnen. Im vorliegenden Fall ermöglichte diese Vorgehensweise, die sofortige Bearbeitung eines Auftrags sowie eine möglichst schnelle institutionelle Positionierung im öffentlichen Diskurs über das lebenslange Lernen. Diese Form der auferlegten Sprecherposition hat Auswirkungen auf die Sprecherrolle und die Interaktion in der Interviewsituation (siehe Ausführungen weiter unten).

Unabhängig davon, ob die Sprecherposition vonseiten der Organisation auferlegt oder vonseiten der Forscherin zugeschrieben wurde, formulieren fast alle Interviewte, die diesen Definitionsversuch vertreten, in der Ausübung ihrer Sprecherrolle einen beruflichen Bezug zum lebenslangen Lernen. Lediglich eine Vertreterin aus der Erwachsenenbildung thematisiert sowohl ihren berufsbiografischen als auch ihren beruflichen Bezug.

Im Vergleich zu den Akteurinnen und Akteuren mit einer vonseiten der Forscherin zugeschriebenen Sprecherposition, präsentiert sich der Informant mit der auferlegten Sprecherposition in der Ausübung seiner Sprecherrolle als Novize im Bereich des lebenslangen Lernens („und in der Einrichtung mir über lange Zeit ne (räuspert sich) Position als ah Experte der xy-Bildung ah&der außerschulischen xy-Bildung ahm zu&zu sein(') ich bin dort ahm ne anerkannte Kapazität(') hatte n hohes Standing im Ministerium(') mit den engsten Leuten und mit&mit der xy-Stiftung(') die ja&viel .. Geld hat und bin aus dieser Situation heraus in ein Neuland katapultiert worden(') Laie im lebenslangen Lernen(') auch in den damit verbundenen Feldern berufliche Bildung und ah was alles dazu zählt(') ahm(-) so dass ich mich zu Beginn eigentlich dann auch etwas unglücklich gefühlt habe und auch völlig überlastet den Problemen(') die da auf mich zukamen gerecht zu werden(')“ Interview-Nr. 1, Herr Müller, Erwachsenenbildung, Z. 43-56). Die Selbstdarstellung als Novize könnte eine Strategie sein, um die Erwartungen der Interviewerin an die Sprecherrolle des Akteurs zu reduzieren.

Hinsichtlich der argumentativen Praktiken, die in der Interviewsituation angewendet werden, fällt auf, dass die Vertreter/-innen aus der Erwachsenenbildung, unabhängig davon, ob sie eine vonseiten der Organisation auferlegte oder vonseiten der Forscherin zugeschriebene Sprecherposition innehaben, die abkürzende Praktik der metaphorischen Wendung ,Versäulung des Bildungssystems' verwenden:

E: also da&es gibt ja immer diesen schönen Satz(') der Versäulung des Bildungswesens entgegenwirken und da zwischen Hochschule und Weiterbildung noch produktive Bündnisse zu schließen(') das&da seh ich eine große Herausforderung drin(.)

(Interview-Nr. 3, Frau Fischer, Erwachsenenbildung, Z. 439-442)

In dieser Behauptung reproduziert die Expertin den öffentlichen Diskurs, indem sie sich auf die häufig im bildungspolitischen Diskurs formulierte Metapher der

,Versäulung des Bildungssystems' bezieht. Sie wendet diese auf den Tertiärund Weiterbildungsbereich an, um auf einen ihres Erachtens vorhandenen Handlungsbedarf hinsichtlich tragfähiger Lernortkooperationen zwischen den beiden Bildungsbereichen hinzuweisen. Die Metapher bezieht sich auf die Bildungsbereiche (Elementarbereich, Primarbereich, Sekundarbereich I und II, Tertiärbereich und Weiterbildung) als tragende Elemente (Säulen) des deutschen Erziehungsund Bildungssystems. Durch die Beschreibung ,Versäulung' werden die Bildungsbereiche als voneinander unabhängige starre, statische Gebilde gesehen. Daran anknüpfend passt die zum Teil formulierte metaphorische Zuschreibung ,Tanker' für Bildungsinstitutionen wie Schule und Universität, um eine angebliche Schwerfälligkeit bei Veränderungsprozessen zu verdeutlichen. Die Bildungsbereiche als starre, statische Gebilde gilt es durch wie auch immer gelagerte bildungsbereichsübergreifende Kooperationen miteinander zu verbinden, wie die metaphorischen Beschreibungen ,der Versäulung des Bildungswesens entgegenwirken', ,Entsäulung des Bildungssystems' oder ,Durchbrechen der Säulen' demonstrieren. Um diese Prozesse zu beschreiben, kommen wiederum mechanische Metaphern wie z. B. ,gut verzahnt' oder ,miteinander verzahnt sein' zum Einsatz. Die ,Versäulung des Bildungssystems' bildet somit den negativen Gegenhorizont zur bildungspolitischen Forderung der – ebenfalls wie auch immer gelagerten – Durchlässigkeit zwischen den nacheinander folgenden Bildungsbereichen. Die soeben skizzierten Überlegungen zeigen auf, dass die zu einer bildungspolitischen Reformrhetorik gehörende Metapher im ersten Moment – gemäß der Natur von Metaphern – einleuchtend wirkt, bei näherer Betrachtung aber viele Fragen offen lässt. Mögliche hinter der Metapher verborgen liegende komplexe Reformprozesse werden negiert bzw. durch die metaphorische Beschreibung vereinfacht dargestellt.

Hinsichtlich der argumentativen Praktiken im Zusammenhang von Behauptungen, Begründungen und Belegen können Gemeinsamkeiten bei den Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis mit einer vonseiten der Forscherin zugeschriebenen Sprecherposition konstatiert werden. Sie wenden in ihren Argumentationen vielfältige Belegbeispiele aus ihrer Berufsbiografie und der beruflichen Tätigkeit an, während der wissenschaftliche Vertreter der Interviewgruppe ,Bildungspolitik' auf wissenschaftliche Beobachtungen und Erkenntnisse rekurriert.

 
< Zurück   INHALT   Weiter >