Deutsch-türkische Transnationalisierung: Praxisbeispiele von Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland

Die Geschichte der sogenannten Gastarbeiter und ihr ursprünglicher Plan, nur kurzfristig in Deutschland zu bleiben, um dann rasch mit dem Ersparten wieder ins Heimatland zurückzukehren, sind allgemein bekannt. Die schulische und berufliche Ausbildung der Kinder stand damals nicht im Mittelpunkt des Interesses dieser Menschen. Auch mit dem Verschieben der Rückkehrpläne in die fernere Zukunft, was mit dem Nachholen der Familienangehörigen einherging, waren die Bildungsmöglichkeiten zunächst kein vorrangiges Thema für diese Menschen. Sie hatten andere soziale Bedürfnisse, wie beispielsweise die Gründung von Teehäusern und Kulturvereinen, Moscheen und Versammlungsstätten. Steuerhilfevereine, Beratungsbüros wie Türk-Danış und Übersetzungsbüros sind jedem, der sich mit der frühen „Gastarbeiterzeit“ beschäftigt hat, bekannt.

Allgemein ist jedoch zu sagen, dass diese Bevölkerungsgruppe in Deutschland einem enormen gesellschaftlichen und sozialen Wandel unterlag, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Bildungsthemen erschienen erst seit Beginn der 1990er Jahren vermehrt auf der Agenda dieser Gruppe. Die Überzeugung machte sich breit, dass es wichtig sei, den eigenen Kindern eine bessere Schulausbildung zu ermöglichen. Schwierig zu erreichen war dieses Ziel unter anderem auch deshalb, weil die Schulund Sprachprobleme der Kinder im häuslichen Umfeld durch die Eltern nicht behoben werden konnten. Zum einen fehlte ihnen das Wissen über das deutsche Schulsystem, zum anderen waren ihre Deutschkenntnisse selbst nicht entsprechend entwickelt. Dies führte dazu, dass mit Unterstützung von kleinen und mittelständischen deutsch-türkischen Unternehmen Studierende, Akademiker und Bildungsinteressierte Anfang der 1990er Jahre regionale Vereine gründeten, um die Defizite, die für den ausbleibenden Bildungserfolg verantwortlich waren, aufzufangen und die Kinder mit migrantischer Herkunft in ihrer schulischen Entwicklung zu unterstützen.

Einige dieser ehrenamtlich tätigen Menschen waren von den Gedanken und Ideen des islamischen Gelehrten und Predigers Fethullah Gülen [1] inspiriert und motiviert. Zu betonen ist an dieser Stelle, dass der Grundsatz, Bildung als Mittel für die Wahrung des gesellschaftlichen Friedens zu verstehen, zum Ausbau der sogenannten Hizmet-Bewegung[2] führte.

Diese Vereine halfen Schülerinnen und Schülern bei den Hausaufgaben und allgemeinen schulischen Problemen. Aber auch Eltern erhielten in schulischen Belangen Beratung und Unterstützung, denn man hatte erkannt, dass hierdurch die Bildungschancen der Kinder erhöht werden konnten. Das Angebot dieser Vereine stieß auf große Nachfrage. Dies führte dazu, dass sich diese Vereine rasch in vielen Regionen entwickelten und damit einen großen Bedarf im Bildungsbereich in Deutschland deckten. Der rasante Erfolg und die Akzeptanz durch die türkeistämmige Bevölkerung sowie im Laufe der Jahre auch durch die Mehrheitsgesellschaft bestätigen die Annahme, dass durch diese Vereine eine wichtige Lücke für die schulische Integration türkeistämmiger Kinder in Deutschland geschlossen wurde. Hervorzuheben ist dabei, dass von den Bildungsvereinen und Eltern nicht bloß ein Hauptschulabschluss, sondern mindestens die mittlere Reife oder das Abitur angestrebt wurden. Diese hohen Bildungsziele basieren auf dem Grundgedanken, dass eine gelungene gesellschaftliche Integration nur durch den Erwerb einer guten schulischen Ausbildung erfolgen könne. Davon ausgehend kann auch behauptet werden, dass diese Bildungsvereine einen essenziellen Beitrag zur Entwicklung des deutsch-türkischen Bildungsbürgertums leisteten.

  • [1] Für eine Einführung zu Fethullah Gülen siehe Albayrak (2012) und Gülen (2014)
  • [2] Für eine umfassende Analyse der Hizmet-Bewegung siehe Agai (2008) und Ebaugh (2012)
 
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