Die Entwicklung der Bildungsvereine und Gründung von Schulen
Den lokalen Bedürfnissen entsprechend haben sich die eben genannten Bildungsvereine in Deutschland weiterentwickelt. In einigen Großstädten wie Berlin, Köln oder Stuttgart konnten mehrere Filialen als Nachhilfeschulen aufgebaut werden. Der soziale, gesellschaftliche und einstellungsmäßige Wandel der deutsch-türkischen Bevölkerung in Deutschland führte zu verstärktem freiwilligem Engagement und monetärer Unterstützung. So gelang es den Vereinen, zunehmend Privatpersonen und Unternehmen für Geldspenden zu gewinnen. Diese Mittel flossen direkt in die Bildungsarbeit ein, wodurch noch positivere Ergebnisse erzielt werden konnten. Anfang der 2000er Jahre entstand bei einigen Vereinsmitgliedern und innerhalb der Elternschaft der Gedanke, eigene Schulen zu gründen. Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die Idee der Schulgründung keine per se neue Idee war, sondern sich parallel zu einem gesellschaftlichen Phänomen im Ursprungsland Türkei entwickelte. Hier waren zu Beginn der 1980er Jahre Schulgründungen aus Nachhilfeeinrichtungen ( dershane)3 hervorgegangen. Diese Schulen in privater Trägerschaft, deren Gründer zum Teil der Hizmet-Bewegung zugerechnet werden können, haben das türkische Bildungssystem unwiderlegbar bereichert.
Die Idee, Schulen in privater Trägerschaft zu gründen, wurde in den Vereinen ernst genommen und führte zur Ausarbeitung von Konzepten auf der Grundlage der jeweiligen gesetzlichen Regelungen in den verschiedenen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland. Basierend auf den landesspezifischen Lehrplänen wurden Schulkonzepte entwickelt, die etliche der aktuellen bildungspolitischen Ziele wie Ganztagsbetreuung und warmes Mittagessen sowie individuelle Förderung und Forderung der Schülerinnen und Schüler aufnahmen. Da der Ausbau der Ganztagsschule – vor allem an den Gymnasien und nicht nur an Hauptoder Realschulen – in etlichen Kommunen nur sehr schleppend vorankam, entwickelten sich die geplanten Schulen der Bildungsvereine zu einer interessanten Alternative im Bildungsbereich.
Im Jahre 2004 gelang es zunächst dem Bildungsund Schulverein BadenWürttemberg (BSV) e. V., die BiL-Privatschulen nach dem Privatschulgesetz des Landes Baden-Württemberg zu gründen. Heute vereinen die BiL-Privatschulen ein Gymnasium, eine Realschule und eine Grundschule. Kurz darauf folgten auch Schulen in Berlin, Mannheim und Köln. Deutschlandweit arbeiten heute an verschiedenen Standorten Kindergärten, Grundschulen und weiterführende Schulen erfolgreich an ihren eigenen Konzepten und bereichern das örtliche Bildungswesen. Alle Schulen werden durch eigenständige, voneinander unabhängige und lokal orientierte gemeinnützige Vereine oder Gesellschaften geführt. Schulleitungen, Lehrerkollegien und die Stundentafel entsprechen den jeweils spezifischen Anforderungen der Bundesländer. Demokratieverständnis, Freiheit, Frieden sowie universelle Werte wie Toleranz, Chancengleichheit, gesellschaftliche Teilhabe, demokratische Grundrechte, Meinungsfreiheit, Gleichstellung von Mann und Frau sowie die Einhaltung der Gesetze in Deutschland sind in all diesen Schulen außerdem feste Bestandteile der Lehre. Eine Umfrage an einzelnen Schulen ergab, dass etwa 80 % des Lehrpersonals deutscher Herkunft und ohne Migrationshintergrund ist. Die restlichen 20 % des Lehrpersonals sind Bildungsinländer mit deutschem Lehramtsabschluss. Allgemein wird in diesen Schulen großer Wert auf hohe Unterrichtsqualität und gut ausgebildetes Lehrpersonal gelegt. Zu betonen ist außerdem, dass diese Schulen für alle Nationalitäten und soziale Schichten offen sind. Derzeit werden diese Schulen jedoch mehrheitlich von Kindern mit türkeistämmigem Hintergrund besucht. Der Anteil der deutschen Kinder ohne türkeistämmigen Hintergrund beträgt rund 25 %. Da das Credo der Bildungsinitiativen „Gemeinsames Miteinander auf der Plattform Schule“ lautet, ist eine herkunftsmäßige Durchmischung der Schülerschaft stark gewünscht, und es wird vor allen Dingen daran gearbeitet, den Anteil der deutschen Kinder in den Klassen zu erhöhen.