Englischunterricht an den Anadolu-Schulen

Die bisher zu konstatierende mangelnde Effizienz der Lehrund Lerntraditionen in der Türkei betrifft natürlich nicht nur Deutsch als Fremdsprache, sondern auch das bis zur Niveaustufe B1 des GeR vergleichsweise einfachere Englisch, zu dem sich das Fach Deutsch als Fremdsprache in der Türkei (wie natürlich auch in anderen Ländern) in einer Konkurrenzsituation sieht. Bis auf eine der von der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen (ZfA) beim Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln unterstützten und zum DSD der KMK zugelassenen Anadolu-Schulen bieten inzwischen alle Englisch als alternative erste und über die Grundschule hinaus fortgeführte Fremdsprache an.

Dennoch wird Englisch nur in Kasachstan noch schlechter gesprochen als in der Türkei,5 wie eine Studie des auf Analysen zur Wirtschaftspolitik spezialisierten TEPAV-Instituts in Ankara aus dem Jahr 2011 ergab.6 Eine 2013 mit Genehmigung des türkischen Erziehungsministeriums (MEB) vom TEPAV-Institut gemeinsam mit dem British Council an 48 Anadolu-Schulen durchgeführte Erhebung7 ergab, dass 90 % der über 19.000 getesteten Schülerinnen und Schüler nach 1000 h Englisch als erste Fremdsprache nicht über die Niveaustufe A1 hinausgekommen waren.8 Das dürfte an Schulen ohne eine qualifizierte Abschlussprüfung wie das DSD oder die entsprechenden Goethe-Zertifikate, deren Erwerb ja einen auf alle vier Kompetenzbereiche des Fremdsprachenerwerbs ausgerichteten Unterricht voraussetzt, im Fach Deutsch als erste Fremdsprache ganz ähnlich aussehen.

Insgesamt wird von den Schulleitungen, der Elternschaft sowie den türkischen Schülerinnen und Schülern der Anadolu-Schulen die wachsende Bedeutung solider Fremdsprachenkenntnisse für eine zunehmend globalisierte Arbeitswelt gesehen. Auch die besondere Bedeutung, die Deutsch als erste Fremdsprache aufgrund der besonderen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland hat, ist bekannt, wird aber durch den Druck des Systems der Hochschulplatzvergabe im allgemeinen Bewusstsein zurückgedrängt.

Der TaF-Unterricht an Deutschen Schulen in der Türkei

Vor dem Hintergrund der oben erwähnten besonderen Beziehungen zwischen beiden Ländern überrascht, dass an der Deutschen Schule Istanbul kein obligatorischer TaF-Unterricht (Türkisch als Fremdsprache) angeboten wird und bis dato der Status des Türkischen in den Curricula der deutschen Schulen in der Türkei (Ankara, Izmir, Istanbul) insgesamt äußerst gering ist. Die Situation hat sich seit den 1990er Jahren zwar etwas geändert; dennoch bleibt festzustellen, dass der Unterricht in Türkisch als Fremdsprache an den deutschen Schulen in der Türkei trotz vielerlei Bemühungen – gerade auch von Seiten der Elternschaft – im Vergleich zu anderen Sprachen lediglich ein Schattendasein führt. Im besten Fall wird nur in einem Stundenumfang unterrichtet, der das Erreichen der Niveaustufe B1 selbst für begabte Schülerinnen und Schüler kaum erlaubt.

An der Deutschen Schule Izmir wird zwar in den Jahrgangsstufen 1–10 Türkisch zweistündig unterrichtet, geplant ist aber für die nähere Zukunft lediglich die Zertifizierung eines A2-Niveaus. Einen interessanten Ansatz verfolgt die Botschaftsschule in Ankara, an der Türkisch zweistündig in den Klassen 2–8 in drei Leistungsgruppen angeboten wird. Im Schuljahr 2014/2015 soll hier die erste Klasse zweisprachig alphabetisiert werden.

Besonders eklatant stellt sich die Situation an der größten deutschen Schule der Türkei in Istanbul dar. Das renommierte Alman Lisesi besteht aus zwei Schulen und genießt einerseits als Eliteschule für ausschließlich türkische Schüler einen sehr guten Ruf im ganzen Land. Im sogenannten türkischen Zweig werden mehrheitlich einsprachig Türkisch sprechende Schüler mit einem für die Anadolu-Schulen typischen Ansatz zu einer bemerkenswerten Zweisprachigkeit geführt. Die türkischen Schüler erwerben in dem bilingualen deutsch-türkischen Programm den türkischen Schulabschluss und legen gleichzeitig das deutsche Abitur ab. Die Wertschätzung von Mehrsprachigkeit als kulturelles Kapital blickt in diesem Teil der Schule auf eine jahrzehntelange Tradition zurück. Im sogenannten deutschen Zweig der Schule, der Deutschen Botschaftsschule Ankara Zweigstelle Istanbul, findet sich eine völlig andere Situation. Hier werden die mehrheitlich bilingual deutsch-türkisch sprechenden Lernenden mit einem klassischen Bildungsangebot lediglich auf Deutsch unterrichtet. Türkisch spielt nur als Fremdsprache und hier auch nur eine sehr untergeordnete Rolle im Bereich des Fremdsprachenangebots. Eine Umfrage im deutschen Zweig des Alman Lisesi hat zwar ergeben, dass sich eine deutliche Mehrheit der Eltern einen umfangreicheren Unterricht in Türkisch als Fremdsprache bis hin zum Abitur wünscht. Tatsächlich wird Türkisch an der Grundschule in Istanbul nur in den Klassen 2–4 und an der weiterführenden Schule lediglich in den Klassen 5 und 6 und ohne ein aufeinander aufbauendes Konzept unterrichtet. Ab Klasse 7 bis zum Abitur gibt es für die Schüler und Schülerinnen der Deutschen Schule in Istanbul bis dato kein Türkischangebot, geschweige denn Initiativen, die bestehenden muttersprachlichen bzw. fremdsprachlichen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen zu zertifizieren.

Die Rückmeldungen von allen drei deutschen Schulen zeigen, dass sich Eltern und Schüler hingegen überwiegend mehr und auch qualifizierteren Türkischunterricht wünschen, etwa nach Lernbedürfnissen differenziert in Türkisch-als-Zweitspracheund Türkisch-als-Fremdsprache-Unterricht. Denn es wird klar gesehen, dass nur über den Erwerb einer entsprechenden kommunikativen Kompetenz in der Landessprache eine Teilhabe am Sozialleben des Gastlandes möglich ist, die den Namen verdient. Wenn Alltagssituationen im Gastland schon kaum sprachlich gemeistert werden können, wären etliche deutschsprachige Kinder und Jugendliche im Falle eines möglichen Erdbebens aufgrund ihrer unterentwickelten Türkischkenntnisse erst recht nicht in der Lage, sich sprachlich in einer derartigen Notsituation zu orientieren. Gleichzeitig betrachten etliche, nicht nur mehrsprachige Eltern Türkisch mittlerweile durchaus als Zusatzqualifikation am Arbeitsmarkt. Die Deutschen Schulen in der Türkei könnten aus dem Pool der vielen remigrierten türkischen Deutschlehrer bzw. aus der wachsenden Zahl von türkeistämmigen Lehrern, die sich bei der ZfA in den Auslandsschuldienst bewerben, kompetente Lehrkräfte für Türkisch als zweite Fremdsprache rekrutieren. Muttersprachliche Lehrende könnten somit auf hohem Niveau reflektierte Sprachvermittlung beim Erwerb der türkischen Sprache betreiben, die alternativ zu Französisch und Spanisch als zweite Fremdsprache angeboten werden sollte. Bei der Integration in die Stundentafel könnte zudem auf Erfahrungen bzw. Expertise aus Deutschland zurückgegriffen werden, wo Türkisch in einigen Bundesländern angeboten wird und es wie aktuell in Baden-Württemberg neue Initiativen der Implementierung gibt.9 Begrüßenswert wäre in dem Zusammenhang natürlich auch, wenn das türkische

Erziehungsministerium eine dem DSD, den Goetheoder auch TestDaF-Zertifikaten vergleichbare, auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen bezogene offizielle Sprachprüfung anbieten würde oder aber die bestehenden Prüfungen des Testanbieters TELC aus Deutschland zur Zertifizierung von bestehenden Türkischkompetenzen benutzt werden würden[1]. Der Erwerb eines solchen Zertifikats könnte deutsche Schülerinnen und Schüler zur Wahl von Türkisch als Fremdsprache etwa unter der Perspektive motivieren, mit offiziell testierten Sprachkenntnissen ein Studium an der Türkisch-Deutschen Universität (TDU) in Istanbul aufzunehmen oder einen Teil des Studiums etwa im Rahmen des Erasmus-Programms in der Türkei zu absolvieren.

Es ist also auf beiden miteinander so eng verflochtenen Seiten noch viel Spielraum, wenn es darum geht, Sprachbarrieren zu überwinden und die wechselseitigen Beziehungen zu intensivieren und damit zu verbessern. Denn die über den Fremdsprachenerwerb gewonnenen Kompetenzen sind nicht zuletzt interkulturelle Kompetenzen, die zu wechselseitigem Verständnis beitragen, helfen, wechselseitige Zuschreibungen abzubauen, und darauf abzielen, Respekt und Toleranz zu verbessern.

Literatur

Deutsch Türkische Nachrichten. (2014). Auch 1000 Schulstunden helfen nicht: 90 Prozent der türkischen Schüler fallen in Englisch durch. Deutsch Türkische Nachrichten,

17. März 2014. deutsch-tuerkische-nachrichten.de/2014/03/499620/auch- 1000-schulstunden-helfen-nicht-90-prozent-der-tuerkischen-schueler-fallen-in-eng lisch-durch/. Zugegriffen: 23. Dez. 2014.

Gümüş, A. (2011). Die Rolle der LehrerInnen im Zuge des Wandels. In A.-M. Nohl & B. Pusch (Hrsg.), Bildung und gesellschaftlicher Wandel in der Türkei (S. 95–108). Würz burg: Ergon-Verlag.

Küppers, A., Schroeder, C., & Gülbeyaz, E. I. (2014). Languages in transition. Turkish in formal education in Germany – Analysis and perspectives. Istanbul Policy Center. ipc.sabanciuniv.edu/en/publication/languages-in-transition-turkish-in-formal-educationin-germany-analysis-and-perspectives/. Zugegriffen: 23. Dez. 2014.

Martens, M. (2012). Wenn der Englischlehrer kein Englisch kann. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, vom 22. Januar 2012, 3.

T.C. Milli Eğitim Bakanlığı, Talim ve Terbiye Kurulu Başkanlığı. (2011). İlköğretim Kurumları İlkokullar ve Ortaokullar Almanca Dersi (2, 3, 4, 5, 6, 7 ve 8. Sınıflar). Öğretim Programı, 115(14). ttkb.meb.gov.tr/dosyalar/programlar/ilkogretim/ilko- gretim_almanca.pdf. Zugegriffen: 23. Jan. 2014.

TEPAV und British Council. (2013). Türkiye'deki Devlet Okullarında İngilizce Dilinin Öğretimine İlişkin Ulusal İhtiyaç Analizi. tepav.org.tr/upload/files/1399388519-1. Turkiyedeki_Devlet_Okullarinda_Ingilizce_Dilinin_Ogrenimine_Iliskin_Ulusal_Ihti- yac_Analizi.pdf. Zugegriffen: 23. Dez. 2014.

Webseiten

sprachzertifikat.org/tuerkisch-sprachzertifikate/tuerkisch-zertifikate.html. Zugegriffen: 23. Dez. 2014.

  • [1] Vgl. dafür die Analyse von Küppers, Schroeder und Gülbeyaz (2014)
 
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