Vergleich der verschiedenen Perspektiven der Neuen Institutionenökonomik
Die drei vorgestellten Perspektiven der Neuen Institutionenökonomik müssen als Idealtypen verstanden werden, weil viele Wissenschaftler tatsächlich die Perspektiven kombinieren. Eine solche Vorgehensweise ist auch durchaus sinnvoll, wünschenswert ist dabei aber ein integrierter theoretischer Rahmen. Da alle drei Perspektiven ihre Stärken und Schwächen haben, soll zunächst ein systematischer Vergleich durchgeführt werden. Anschließend wird der Versuch unternommen, einen übergreifenden theoretischen Rahmen zu skizzieren.
Die Unterschiede zwischen den drei Perspektiven lassen sich durch drei miteinander zusammenhängende Fragen identifizieren: 1. Wie verhalten sich Individuen? 2. Wie beeinflussen Institutionen individuelles Verhalten? 3. Wie entwickeln sich Institutionen?
Wie verhalten sich Individuen?
Die Kontroversen über das zutreffende Menschenbild gehören zu den Zentralthemen der Sozialwissenschaften. Ob der Mensch nur sein eigenes Interesse verfolgt – die Unterstellung im Modell des Homo oeconomicus – oder ob er sich sozialen Normen und Erwartungen beugt – die dem Modell des Homo sociologicus zugrundeliegende Annahme –, ist eine umstrittene Frage. In diesem Streit sind die Ökonomen insgesamt erfolgreicher gewesen, weil sie im Rahmen des Methodologischen Individualismus große Fortschritte bei der Erklärung menschlichen Verhaltens gemacht haben. Zwar werden Grundannahmen im Modell des Homo oeconomicus häufig von Ökonomen selbst bezweifelt (vgl. Hirschman 1985; Sen 1977), aber im Vergleich zum Homo sociologicus ist dieses Modell für viele Wissenschaftler insgesamt erklärungsstärker (vgl. Vanberg 1994b). Aus diesem Grund beruhen heute viele sozialwissenschaftliche Theorien auf einem weiterentwickelten Modell des Homo oeconomicus.
So geht der „Calculus Approach“ davon aus, dass Individuen nach der Verwirklichung ihres Eigeninteresses streben, und unterstellt, dass die Komplexität der Welt und die Inkompetenz der Menschen, diese Komplexität zu entziffern, sie dazu veranlassen, Institutionen aufzubauen und sich an ihnen zu orientieren. Da langfristig gesehen ein regelorientiertes Handeln angesichts der eingeschränkten Rationalität der Menschen profitabler ist als eine situationsbezogene, fallweise Nutzenmaximierung, ist das Befolgen von Normen für Individuen rational. In dieser Sichtweise sind der Aufbau von Institutionen und der Verzicht auf eine unbegrenzte Optimierungsstrategie selber rationale Entscheidungen.
Der „Cultural Approach“ lehnt dagegen die Annahme ab, dass die Entstehung und Entwicklung von Institutionen als Ergebnis rationalen Handelns erklärbar sind. Während die Vertreter des „Kultur als Wertesystem“-Ansatzes der Auffassung sind, dass Individuen unmittelbar durch moralische Werten motiviert werden können, argumentieren die Protagonisten des „Kultur als Tool Kit“-Ansatzes, dass Individuen zwar nach wie vor ihr Eigeninteresse verfolgen, sie aber nicht in der Lage sind, ein reflektiertes Verhältnis zu der Welt und den bestehenden Institutionen zu entwickeln: Sie nehmen sie als selbstverständlich hin und verfolgen ihr Selbstinteresse in einer stark durch Traditionen und Gewohnheiten geprägten Weise, die gegen rationales Denken weitgehend immun ist.
Die neue ökonomisch-soziologische Perspektive geht zwar von der Rationalitätsannahme aus, jedoch ist Rationalität hier als eine „kontextabhängige“ Rationalität zu verstehen. Akteure verfolgen demnach ihr Eigeninteresse weder allein nach situationsunabhängigen Maximen individueller Rationalität noch determiniert durch kulturelle Prägungen. Sie handeln im Rahmen dynamischer sozialer Interaktionen und Netzwerke, in denen soziale Anerkennung und Missbilligung wichtige Motivationsfaktoren darstellen.
Der kurze Vergleich zeigt, dass die drei Perspektiven von verschiedenen Ausgangspunkten ausgehen und dass die Rationalitätsannahme, obwohl sie bei allen eine wichtige Rolle spielt, unterschiedlich verstanden wird. Diese Unterschiede führen zu ebenfalls unterschiedlichen Auffassungen darüber, wie Institutionen individuelles Verhalten beeinflussen.