Wie entwickeln sich Institutionen?
Wie sich Institutionen entwickeln und warum auch ökonomisch ineffiziente Institutionen häufig dauerhaft überleben ist das Zentralthema der Neuen Institutionenökonomik. In der Sichtweise des „Calculus Approach“ haben rationale Akteure grundsätzlich einen Anreiz, die Effizienz ihrer Institutionen zu verbessern. Bleiben ineffiziente Institutionen trotz des Vorhandenseins besserer Alternativen unverändert, muss man auf historische Fakten zurückgreifen, um ihre „Pfadabhängigkeit“ zu erklären. Das Einkommen aus alten Institutionen kann demnach zur Entstehung von Interessengruppen führen, die ihre Anstrengungen auf die Aufrechterhaltung des Status quo richten. Auf diese Weise werden sowohl institutionelle Entwicklungen als auch die Persistenz von Institutionen als Folge individuell rationaler Strategien erklärt.
Der „Cultural Approach“ mit seinem relativ passiven Modell, nach dem Akteure nur im gegebenen kulturellen Rahmen denken und entscheiden können, lässt keine radikalen institutionellen Veränderung erwarten, weil Lösungen neu auftauchender Problemen stets auf althergebrachte Weise gesucht werden. Neue Institutionen können nur auf den alten Institutionen beruhen. Institutionelle Entwicklung wird sich deshalb im Wesentlichen durch die Reproduktion und Anpassung der alten Institutionen, anstatt durch eine Konkurrenz alternativer Institutionen auszeichnen. Wenn in einer Gesellschaft die Spannung zwischen den vorhandenen Institutionen und den technologisch möglichen Alternativen – im Sinne einer „fundamentalen Asymmetrie“ – so groß wird, dass sich mittels des alten Wissens die aktuellen Probleme nicht mehr befriedigend lösen lassen, wird diese Gesellschaft und Kultur durch die Konkurrenz mit anderen Gesellschaften und Kulturen untergehen – wie dies mit den Händlern der Maghribis passiert ist.
Während sowohl der „Calculus Approach“ als auch der „Cultural Approach“ die Dynamik der Institutionenentwicklung vor dem konkreten historischen Hintergrund analysieren, betrachtet die ökonomisch-soziologische Perspektive die institutionelle Entwicklung als einen Prozess, der hauptsächlich von sozialen Beziehungsstrukturen und interpersonalen Interaktionen vorangetrieben wird. In dieser Sichtweise bestimmen Kultur und überkommene Institutionen nicht mehr zwangsläufig einen Entwicklungspfad, wenn sie sich angesichts neuer Situationen und Probleme als hinderlich und ineffizient erweisen. Rationale Individuen sind vielmehr offen für Alternativen. Gelangen sie zu der Ansicht, die vorhandenen institutionellen Ordnungen seien nicht mehr adäquat für ihre Interessen, werden sie zunächst im Rahmen ihrer sozialen Beziehungen und Netzwerke effizientere informelle Normen entwickeln und unterstützen. Solche informellen Normen können schließlich den institutionellen Rahmen einer ganzen Gesellschaft verändern. Trotzdem können unpopuläre Institutionen lange überdauern, denn die Koordinationsprobleme und Transformationskosten bei einer durchgreifenden Institutionenreform können erheblich sein (vgl. Bicchieri 2006).
Die Unterschiede zwischen den drei Perspektiven sind in dem folgenden Schaubild zusammengefasst.
Menschenbild |
Institutionenwirkung |
Institutionenentwicklung |
|
Calculus Approach |
Rationales Handeln |
Anreize |
Interessenkampf |
Cultural Approach |
Kulturell geprägtes Handeln |
Habitualisierung |
Reproduktion und Anpassung |
ÖkonomischSoziologische Perspektive |
Sozial eingebetttes Handeln |
Sozial Kontrolle |
Soziale Dynamik |
Abb. 3 Der Vergleich der drei Perspektiven im Neuen Institutionalismus
Man muss allerdings beachten, dass alle drei Perspektiven nicht nur theoretische Konzepte formulieren, sondern auch durch empirische Untersuchungen gestützt werden. Die historiographischen Studien zum Aufschwung der westlichen Staaten (vgl. North/Thomas 2009; Olson 1982) führen vor Augen, wie institutionalisierte Eigentumsrechte die ökonomische Entwicklung gefördert haben, was der Sichtweise des „Calculus Approach“ entspricht. Der Vergleich (vgl. Greif 2006) zwischen den zwei jüdischen Händlergruppen der Genueser und Maghribis dokumentiert, dass Kulturen institutionelle Entwicklungspfade bestimmen können. Die Studien von Nee und Opper (2012) zum Kapitalismus in China verdeutlichen, dass soziale Beziehungsstrukturen und interpersonale Interaktionen nicht nur die Entstehung neuer sozialer Normen ermöglichen, sondern auch zu weitreichenden Veränderungen formeller Institutionen beitragen können. Andere empirische Untersuchungen wie jene von Ellickson (1991) und Ostrom (1990) bestätigen ebenfalls die ökonomisch-soziologische Perspektive. Wie also soll man zwischen diesen verschiedenen Perspektiven wählen?
Meine Hypothese lautet, dass sich die Unterschiede in der Neuen Institutionenökonomik in erster Linie dem Umstand verdanken, mit welcher Art von Institution man sich beschäftigt. Man entwickelt unterschiedliche Sichtweisen, wenn unterschiedliche Arten von Institutionen im Zentrum stehen. Folgt man dieser Hypothese, wird es verständlich, warum alle drei Perspektiven überzeugend erscheinen: jede von ihnen deckt demnach einen relevanten Aspekt der Institutionenanalyse ab. Im nächsten Abschnitt werde ich mich deswegen mit einer Typologie von Institutionen beschäftigen.