Empirische Dimensionalisierung der absoluten Metapher ,lebenslanges Lernen'

Das im Rahmen der Untersuchung erhobene Datenmaterial zeigt auf, dass die dem Diskurs über das lebenslange Lernen immanente Diffusität, hervorgerufen durch die Vermischung unterschiedlicher Perspektiven und Handlungslogiken, wie beispielsweise die des Individuums, der Politik und der Organisation (vgl. Nittel 2006: 254), durch die Informantinnen und Informanten in der Interviewsituation reproduziert wird. Die Sprecher/-innen thematisieren zum lebenslangen Lernen und dessen bildungsbereichsübergreifender Umsetzung ihr ganz individuelles Verständnis, wodurch ein sehr heterogenes Datenmaterial erzeugt wurde. Hierbei ist anzumerken, dass durch das Forschungskonzept der vorliegenden Arbeit diese Heterogenität bestärkt wird: Um einer bildungsbereichsübergreifenden Perspektive gerecht zu werden und unter der Annahme, dass die Befragten sich bei ihren Äußerungen hauptsächlich auf ihr originäres Handlungsfeld beziehen, wurden einerseits Akteurinnen und Akteure aus drei unterschiedlichen Bildungsbereichen sowie aus der Bildungspolitik in das Datenkorpus aufgenommen. In den jeweiligen Interviewgruppen wurde nochmals zwischen Wissenschaftler/-innen und Praktiker/-innen differenziert.

Indem das Konstrukt ,lebenslanges Lernen' als absolute Metapher verstanden wird, erweist sich die im Datenmaterial abzeichnende Heterogenität in den Verständnissen und Intentionen als nachvollziehbar; sie verkörpert nun kein außergewöhnliches Phänomen mehr, sondern ist vielmehr Ausdruck einer Normalität. Die absolute Metapher ,lebenslanges Lernen' ermöglicht es, dass unabhängig vom Zustandekommen der Sprecherposition (selbstinitiiert, vonseiten der Organisation auferlegt oder vonseiten der Forscherin zugeschrieben) die betreffenden Personen zum lebenslangen Lernen und zur bildungsbereichsübergreifenden Umsetzung Stellung beziehen können. Ferner kann in dem Status einer absoluten Metapher auch eine Erklärung dafür liegen, dass sich keine Leitdisziplin hervorhebt, die die Definitionshoheit bei dem Konstrukt ,lebenslanges Lernen' beansprucht.

Betrachtet man den erziehungswissenschaftlichen Diskurs so kann konstatiert werden, dass in einigen Studien zum Thema ,lebenslanges Lernen' (vgl. z. B. Kraus 2001: 10-11; Lerch 2010: 45-46; Schreiber-Barsch 2007: 25-26), zu Beginn eine Thematisierung des Status der absoluten Metapher mit Rekurs auf de Haan stattfindet, jedoch wird diese Perspektive im weiteren Verlauf der Arbeiten nicht weiterentwickelt. Auch in der vorliegenden Studie stellte die Betrachtungsweise des lebenslangen Lernens als absolute Metapher zunächst nur eine Position (unter vielen) im erziehungswissenschaftlichen Diskurs dar. Jedoch wurde sie im Kontext der komparativen Analyse des kommunikativen Handelns der Akteurinnen und Akteure in der Interviewsituation zum zentralen empirischen Phänomen (vgl. Kapitel 7). In den jeweiligen Verständnissen lassen sich verschiedene Merkmale identifizieren, die auf den Status einer absoluten Metapher und ihre theoretische Unbestimmtheit verweisen. Den größten empirischen Merkmalsbereich stellen dabei die rekonstruierten Bedeutungskontexte des lebenslangen Lernens dar (vgl. Kapitel 7.5.4). Diese Bedeutungskontexte beeinflussen wiederum den kontextspezifischen Umgang mit der absoluten Metapher

,lebenslanges Lernen', wenn es darum geht, die bildungsbereichsübergreifende Umsetzung des lebenslangen Lernens zu reflektieren.

 
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