Einleitung: Der Gegenstand der soziologischen Konstellationsanalyse

Die soziologische Konstellationsanalyse in der Form, die uns hier beschäftigt, steht in keinem unmittelbaren Bezug zur Methode gleichen Namens, mit der man in den Politikwissenschaften Wirkungszusammenhänge in der internationalen Politik analysiert (Meier-Walser 2010), oder zum „Brückenkonzept“ gleichen Namens, mit dem man in der Innovationsforschung zu Zwecken der Wissensorganisation arbeitet (Schön et al. 2007). Eine Ähnlichkeit lässt sich hingegen mit Blick auf die philosophiehistorische Konstellationsforschung der Henrich-Schule (Mulsow und Stamm 2005) feststellen, ebenso wie mit Blick auf die neuere Literaturgeschichtsschreibung (Werle 2014, S. 11–65); wir werden bei Gelegenheit auf diese Ähnlichkeiten hinweisen. Es geht uns gleichwohl um die Darstellung eines genuin soziologischen Verfahrens – das allerdings für einige angrenzende Wissenschaften, sofern deren Forschungsthema eine soziologische Dimension aufweist, von Interesse sein kann; nicht zuletzt die allgemeine und die politische Ideengeschichte, aber auch die Kulturwissenschaften, die Religionswissenschaft oder die Kommunikationswissenschaft. Wir werden im Folgenden zunächst, um in unser Thema einzuleiten, den Gegenstandsbereich von Konstellationsanalysen bestimmen. Anschließend 2.) erläutern wir zum Zweck der Systematisierung das Potential des Begriffs ‚Konstellation' für die soziologische Analyse, indem wir einige grundlegende Kategorien einführen und die verschiedenen Aspekte einer Konstellationsanalyse herausarbeiten. Daraufhin 3.) überführen wir unsere systematischen Überlegungen anhand eines ausgewählten Beispiels in die Forschungspraxis. Schließlich 4.) skizzieren wir die Stellung der Konstellationsanalyse im Rahmen der Soziologie im Allgemeinen und der empirischen Sozialforschung im Besonderen.

Wenn wir gesagt haben, dass das Verfahren, dessen Darstellung die folgenden Ausführungen gelten, für einige angrenzende Wissenschaften, sofern ihr Thema eine soziologische Dimension aufweist, von Interesse sein kann, so gilt zugleich hinsichtlich der Soziologie, dass nicht jeder ihrer Gegenstände ein geeigneter Gegenstand für eine Konstellationsanalyse ist – jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir den Begriff im Folgenden verwenden werden. Der Gegenstandsbereich der Konstellationsanalyse, die wir behandeln werden, ist auf das Feld der Öffentlichkeit beschränkt. Dabei wollen wir unter ‚Öffentlichkeit' grundsätzlich einen „geistigen Verkehr“ verstehen, der „Fragen“ behandelt, die als „die Allgemeinheit interessierend“ gelten, und in eigens diesem Verkehr zugseigneten „sozialen Medi[en]“ stattfindet (Hölscher 1984, S. 1135). Von welcher Qualität dieser Verkehr ist, wer an ihm teilzunehmen berechtigt ist, welcher Art soziale Medien verwandt werden, sind empirische Fragen, die im Einzelfall geklärt werden müssen. Das Material einer Konstellationsanalyse bildet in jedem Fall das Handeln und Zusammenhandeln von Personen, die sich wiederholt und mit einer gewissen Regelmäßigkeit öffentlich, d. h. coram publico, äußern. Wir werden, um diesen Personenkreis zu kennzeichnen, im Folgenden vereinfacht von den ‚öffentlichen Personen' sprechen.

Nicht Gegenstand von Konstellationsanalysen ist die ‚große Masse' der Bevölkerung, d. h. das Handeln und Zusammenhandeln von Personen, die sich nicht bzw. nicht regelmäßig bzw. nur in der Form der Paraphrase der Gedanken anderer Personen öffentlich äußern. Allerdings ist (auch) die große Masse (bzw. sind Teile ihrer) häufig die Adressatin von Äußerungen bzw. Rezipientin der Handlungen, die öffentliche Personen (als öffentliche Redner, Autoren, Künstler, celebrities, usw.) tätigen. Nicht selten ist zudem die große Masse Objekt von Aussagen öffentlicher Personen (als ‚die Leute'; ‚die Allgemeinheit'; ‚die Gesellschaft'; ‚das Volk'; ‚wir'; ‚man'; usw.).

 
< Zurück   INHALT   Weiter >