Methodisches Vorgehen
In dem Forschungsprojekt wurden die subjektiven Vorstellungen von Schülern über den Gegenstand „Globalisierung“ untersucht. Dabei wurde davon ausgegangen, dass sich unter verschiedenen Sozialisationsbedingungen auch verschiedene Deutungsmuster entwickeln. Dieses Vorhaben zielt im Gegensatz zu den Bourdieuschen Studien, die sich mit dem Fokus einer praxeologisch fundierten Handlungstheorie auf implizite Wissensmuster konzentrieren, auf die Rekonstruktion von manifesten Deutungsmustern. Die Untersuchung von Vorstellungen [1] verlangt nach anderen Forschungsmethoden als die Rekonstruktion von Habitusmustern (vgl. Wiedemann 1989).
Die Denkweisen der Schüler sind in ihrer Tiefe und Qualität zu analysieren. Dies ist am besten mit qualitativen Forschungsmethoden zu realisieren. In bisherigen Untersuchungen haben sich insbesondere offene Fragebögen und teilstandardisierte Interviews als probate Erhebungsmethoden bewährt (vgl. Heidemeyer 2006; Klee 2008; Lutter 2005; Fischer 2013). Diese bieten einen offenen Raum für die Artikulation der Vorstellungen der Schüler.
Da nur eine begrenzte Anzahl von Schülern in die Untersuchung einbezogen werden konnte, sind keine repräsentativen Aussagen über durchschnittliche Häufigkeiten bestimmter Vorstellungen möglich. Stattdessen erfolgt eine Verallgemeinerung über die Kategorienbildung. Dabei wurden bestimmte Vorstellungen, die eine näher zu bestimmende Anzahl von Gemeinsamkeiten aufweisen, zu Vorstellungsmustern verdichtet (vgl. Kattmann et al. 1997, S. 12).
Ein grundsätzliches Problem bei qualitativen Untersuchungen stellt die Auswahl der Untersuchungsteilnehmer dar. Bei einer geringen Anzahl von Fällen stellt sich im Hinblick auf die Geltungsreichweite der erzielten Ergebnisse stets die Frage, inwieweit es sich um für das Untersuchungsfeld typische Vertreter handelt oder ob es sich um Fälle mit eher weniger verbreiteten Vorstellungen (Extremfälle) handelt. Eine einseitige Fallauswahl kann zu einer schwerwiegenden Verzerrung der Befunde im Hinblick auf die für die Population bedeutsamen Vorstellungen führen. Auch besteht die Gefahr, dass die vorhandenen Vorstellungen nur sehr fragmentarisch erfasst werden. Kelle ist zuzustimmen, wenn er schreibt: „ (…) die Frage nach der adäquaten Fallauswahl und die Frage nach der Geltungsreichweite der erzielten Befunde verweisen auf dasselbe Problem: Wie kann sichergestellt werden, dass durch explorative Studien nicht etwa nur idiosynkratische und randständige Handlungsmuster und -regeln beschrieben werden? Qualitative Sozialforscher geraten in heterogen strukturierten Untersuchungsfeldern leicht in die Gefahr, sich in einer theoretisch wenig fruchtbaren Analyse von Einzelfällen zu verlieren, deren Relevanz nicht einschätzbar ist. (…) Das bedeutet, dass auch eine explorative Forschungsstrategie, die auf die Identifikation bislang unbekannter Strukturen und Regeln mittlerer Reichweite zielt, eine heterogene empirische Verteilung dieser Strukturen in Rechnung stellen muss und auf Verfahren angewiesen ist, mit deren Hilfe eine solche Heterogenität empirisch erfassbar wird.“ (Kelle 2008, S. 140 f.).
Um ein möglichst umfassendes Bild der vorhandenen Vorstellungen gewinnen zu können, wurde eine zweistufige Untersuchung durchgeführt. In einem ersten Untersuchungsschritt wurden mit offenen Fragebögen die Vorstellungen von 101 Schülern der Hauptschule und 109 Schülern des Gymnasiums untersucht. Die Fragebogenuntersuchung gibt einen Überblick über die Heterogenität und empirische Verteilung der Vorstellungen in der Untersuchungspopulation. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Fragebogenuntersuchung wurden 21 Schüler der Hauptschule und 23 Schüler des Gymnasiums für die folgenden problemzentrierten Interviews (Witzel 1985, 2008) bestimmt. Die Interviews dienten der vertieften Auseinandersetzung mit den im vorhergehenden Untersuchungsschritt bereits erkennbaren Vorstellungen. Die Auswahl der zu interviewenden Schüler erfolgte nach dem Kriterium der „inneren Repräsentation“ (vgl. Merkens 2003, S. 100). Eine adäquate Repräsentation der 210 Schüler in den Interviews wird dann als gegeben angenommen, „wenn einerseits der Kern des Feldes in der Stichprobe gut vertreten ist und andererseits auch die abweichenden Vertreter hinreichend in der Stichprobe aufgenommen worden sind.“ (Merkens 2003, S. 100) Eine so gebildete heterogene Stichprobe erschwert voreilige Verallgemeinerungen.
Das zweischrittige Erhebungsverfahren schaffte mit dem ersten Untersuchungsschritt ein hohes Maß an Transparenz bei der Fallauswahl der Interviewpartner und lieferte wichtige Anhaltspunkte für die Bestimmung der Geltungsreichweite der erzielten Befunde. Auch konnte mit dem Einsatz der Methoden Fragebogen und qualitatives Interview einer möglichen Reaktivität der Erhebungsverfahren Rechnung getragen werden (vgl. Lamnek 1995a, S. 250).
- [1] In der Vorstellungsforschung wird systematisch zwischen den Begriffen „Vorstellung“ und „Konzept“ unterschieden. „Vorstellung“ wird als weitgehend unspezifischer Oberbegriff für das Wissen von Schülern verwandt, während „Konzepte“ sich als Vorstellungen mit spezifischen, generalisierenden Charakteristika bestimmen lassen (vgl. Aufschneiter 2005, S. 5).