Die Cruise Control als Nebenprodukt der Technik-Utopie

Zu den utopischen Visionen, die literarisch, zeichnerisch und filmisch imaginiert wurden, und den technischen Versuchssystemen, die grafisch und fotografisch in Szene gesetzt wurden, kamen Mitte der 1950er-Jahre konkrete Anwendungen hinzu.

Popular Science berichtete 1954 über ein „wohlerzogenes“ Gaspedal, den von Ralph Teetor (1890–1982) entwickelten Speed-o-Stat. Dieser automatische Geschwindigkeitshalter und -begrenzer erfreute sich unter den Namen Tempomat oder Cruise Control bald großer Beliebtheit. Die Zeitschrift präsentierte das System als Meilenstein auf dem Weg zum automatischen Fahren und ordnete es damit in eine größere Fortschrittsbewegung ein ([35], S. 166 ff., 264; [42], S. 34). Tatsächlich verlief diese Bewegung aber umgekehrt: Mit der Entwicklung des Tempomats koppelte sich das in reduzierter und individualisierter Form automatisch fahrende Auto von der Großvision automatischer Autobahnen ab. Damit bildete der Tempomat ein Modell für die Fahrerassistenzsysteme, die das automatische Fahren heute bereits nahezu verwirklichen.

In einem Popular Science-Artikel von 1958 heißt es, Chrysler habe ein neues supergadget entwickelt, einen „Auto-Piloten“ für 86 Dollar Aufpreis ([36], S. 105 ff., 248, 250). Vom automatischen Verkehr ist nun keine Rede mehr, die utopische Vision schrumpft und kondensiert in einer Ware, die sofort verfügbar ist.

Diese neue Logik der Unmittelbarkeit manifestiert sich im begleitenden Foto (s. Abb. 3.7), das einen verchromten Drehknopf zeigt, der neben dem Tachometer am Armaturenbrett angebracht ist und der Geschwindigkeitseinstellung dient. Zu sehen ist außerdem eine Hand: Daumen und Zeigefinger sind dabei, den Schalter zu drehen.

Diese Nahaufnahme steht am Ende einer langen bildlichen Annäherungsgeschichte an das technische Objekt, die mit den fernen Landschaftspanoramen begann. Damit lassen sich historisch aufeinander folgende Bildstufen identifizieren, die vom Abstrakten zum Konkreten, von der Zeichnung zum Foto, von der Außenaufnahme zum Innenraum, von der Gesamtschau zum Detail, vom Kollektiv zum Individuum verlaufen.

Abb. 3.7 Einstellrad für den Autopiloten, Chrysler 1958 ([36], S. 105)

Die unheimliche Verlebendigung der Maschine

Während Presse-, Werbe-, und Filmbilder in den 1950er-Jahren noch ganz dem Wunderbaren dieser Vision verpflichtet sind und dominante gesellschaftliche Wunschbilder in Szene setzen, treibt die Literatur die Frage um, wie stark unsere zukünftigen Autos dem Menschen ähneln werden. Sie warnt vor der Überhöhung zukünftiger Technologien und gibt unbewussten Ängsten einen Raum.

Isaac Asimovs Kurzgeschichte Sally (1953) wurde im selben Jahr veröffentlicht wie der oben besprochene Popular Science-Artikel. Asimov stellt uns vermenschlichte „Automatomobile“ vor, deren positronische Motoren es erlauben, dass „nie ein menschliches Wesen hinter ihrem Lenkrad“ sitzen muss ([2], S. 23). Man „gibt den Bestimmungsort an, und der Wagen findet seinen Weg.“ ([2], S. 25). Zunächst sei das autonome Fahren nur schwer durchzusetzen gewesen, habe dann aber alle Unfälle abgeschafft und „das Töten“ beendet ([2], S. 25).

Die besondere Qualität der Geschichte besteht darin, dass Asimov den gesteigerten Anthropomorphismus aufzeigt, der mit dieser Vision einhergeht. Die „Automatics“ sind stark verlebendigt, sie werden als „zutraulich und herzlich“ beschrieben ([2], S. 27). Sie

„können miteinander sprechen“ ([2], S. 45). Ihre Gefühle könne man am Motorengeräusch hören ([2], S. 43). Besonders die Cabriolets seien „sehr eitel“ ([2], S. 28). Die Automatomobile können auch auf „Handbetrieb“ umgeschaltet werden ([2], S. 31), man dürfe den Motor jedoch nicht abschalten, da dies dem Wagen Schmerzen bereite ([2], S. 32).

Dieser Anthropomorphismus schlägt dann wie in Kellers Kurzgeschichte von 1935 plötzlich ins Unheimliche und Bedrohliche um. Die Autos entwickeln einen eigenen Willen, sie öffnen ihre Türen nicht mehr ([2], S. 31), rollen auf einen Gegner zu ([2], S. 37) und beginnen schließlich zu töten: „Sie fanden Reifenspuren an seinen Armen und Beinen“ ([2],

S. 44). Dieses Muster finden wir später u. a. in dem auf einem Roman von Stephen King basierenden Film Christine (1981) wieder.

 
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