Auswirkungen des autonomen Fahrens auf das Fahrzeugkonzept
Einleitung
Nach der Erfindung des Automobils durch Carl Benz im Jahr 1886 haben sich zum Teil sehr unterschiedliche Fahrzeugkonzepte gebildet. Einiges ist als konsequente Weiterentwicklung und Ablösung vorheriger Konzepte zu sehen, wie die Abkehr vom KutschenDesign und die Integration der Räder und des Fahrwerks unterhalb der Karosserie oder die selbsttragende Karosserie. Als Haupteinfluss auf das Fahrzeugkonzept kann der Einsatzzweck betrachtet werden, der besonders deutlich wird, wenn Nutzkraftfahrzeuge mit einbezogen werden. Aber auch im Bereich der Personenkraftwagen hat sich eine Vielfalt entwickelt, von Lifestyle geprägten Cabrios und SUV bis hin zu Allzweckfahrzeugen mit Stufen- und Fließheck sowie Kombis und (Mini)Vans. Der Nutzungszweck steht bei Kleinlieferwagen, Kleinbussen und auf anderen Märkten bei den sogenannten Light-Trucks noch stärker im Vordergrund. Unter der Haube haben sich die Antriebskonzepte nach einer Dominanz von Verbrennungskraftmaschinen, zumeist in Form von längseingebauten Motoren mit Hinterradantrieb, in den letzten Dekaden zu einem immer größeren Teil in Richtung quereingebaute Frontmotoren mit Vorderradantrieb verschoben. Weiterführend stellt die Elektrifizierung des Antriebsstrangs einen aktuellen Trend dar, der durch CO2Vorgaben, geringere Geräuschbelastung und weitere Vorteile zukunftsfähig erscheint. Trotz aller Verschiebungen der Anteile ist ein „Aussterben“ bestehender Antriebskonzepte nicht zu erwarten, da die Divergenz der Optimierungsziele unterschiedlicher Marktsegmente diese Diversifizierung der Konzepte weiterhin tragen wird. So stellt ein ländlicher Bereich in den USA gravierend andere Anforderungen an den Antrieb als eine chinesische Großstadt.
Zu der auf dem Markt befindlichen Fahrzeugmodellvielfalt gesellt sich die Konzeptvielfalt der „Show Cars“, die auf Automobilmessen präsentiert wird. Nur in wenigen Fällen spielen Assistenzsysteme und Teilautomatisierung bei den bekannten Fahrzeugen eine konzeptändernde Rolle. Die in den letzten Jahren erkennbare Tendenz zur geringeren Übersichtlichkeit der Fahrzeuge, die durch Stylinganforderungen und/oder Anforderungen an die Steifigkeit der Karosserie begründet wird, fördert jedoch den Einsatz von kompensierenden Systemen wie Ultraschall-Einparkhilfe, Rückfahrkamera oder Surround-ViewDarstellung. Zumeist besitzen Fahrerassistenzsysteme aber keine konzeptändernde Rolle, da nur wenige in der Baureihen-Serienausstattung enthalten sind. Somit verbleibt für den Fahrzeughersteller die Anforderung, das Fahrzeug so zu entwickeln, dass auch nicht ausgerüstete Fahrzeuge sicher durch den Fahrer geführt werden können. Da zudem darauf zu achten ist, dass bei teilautomatisiertem Fahren die Übernahmebereitschaft und -fähigkeit [1] beim Fahrer vorausgesetzt wird, ist nicht mit großen Änderungen gegenüber herkömmlichen Fahrzeugen zu rechnen. Lediglich Konzepte, die eine Übernahme begünstigen, wie z. B. neue Mensch-Maschine-Schnittstellen für die Beauftragung einer teilautomatischen Funktion, könnten Einzug halten [2]. Frühere, aber auch noch aktuelle Drive-by-WireKonzepte mit alternativen Bedienelementen (vgl. [3]) beschränkten sich auf den Ersatz der Lenkrad- und Pedalfunktion, ohne eine Automatisierung höherer Fahrzeugführungsebenen, die zum automatisierten Fahren unverzichtbar sind, konzeptionell vorzusehen.
Abb. 13.1 Anforderungsbereiche für eine Konzeptentscheidung [4]
Auch wenn bisher noch kein Trend zu einem anderen Konzept aufgrund der höheren Automatisierung festzustellen ist, kann bei einer erheblichen Änderung der Fahrzeugführung dies anders aussehen. Daraus leitet sich die Frage ab: Bringt die Möglichkeit des autonomen Fahrens die aktuelle Konzeptwelt der Automobile durcheinander, sei es durch starke Verschiebung der Marktanteile oder durch neue Konzepte?
Bevor auf die Frage weiter eingegangen wird, soll eine Abgrenzung der konzeptbestimmenden Merkmale erfolgen, damit eine gleichmäßige, das Gesamtfahrzeug betreffende Ebene geschaffen wird und die nochmals vielfältigere Welt der Detaillösungen ausgeblendet werden kann. Dabei sind zuvor die Anforderungen zu identifizieren, die später die Konzeptauswahl dominieren werden.
In Abb. 13.1 ist eine Auswahl von Bereichen dargestellt, aus denen sich die Anforderungen ergeben. Viele der Anforderungen sind physikalisch – oftmals konfliktionär – verknüpft und nur über einen Abwägungs- und Priorisierungsprozess miteinander vereinbar, wie z. B. eine stromlinienförmige Aerodynamik im Gegensatz zu markanten Stylingkomponenten.
Für die hier beabsichtigte Diskussion der obersten Konzeptebene werden die Konzepte hinsichtlich
• Karosserie,
• Antrieb,
• Fahrwerk,
• Innenraum,
• Mensch-Maschine-Schnittstelle (MMS)
Abb. 13.2 Systembetrachtung Fahrer-Fahrzeug-Umwelt
unterschieden. Als Baugruppen des Fahrzeugs stehen diese immer in einem Zusammenhang zum Insassen und der Umwelt, insbesondere dem Umfeld Straße. Die Interaktion zwischen diesen Bereichen kann abstrakt als Austausch von Stoff, Energie und Signal dargestellt werden (s. Abb. 13.2). Da die Fahrzeugautomatisierung diesen Austausch grundlegend verändert, werden auch die Baugruppen beeinflusst. Ein Beispiel der Automatisierungsauswirkung ist der Signalaustausch zwischen Umwelt und Mensch. Der Insasse muss nun nicht mehr der Fahraufgabe nachgehen und benötigt dementsprechend auch keinen Signalaustausch mit der Umwelt, um sein Fahrtziel zu erreichen. Dieser auf dem Austausch von Stoff, Energie und Signal basierende Ansatz ermöglicht eine weitere Strukturierung der Analyse unter Berücksichtigung der Schnittstellen.
Im Folgenden werden diese konzeptbestimmenden Bereiche und ihre Schnittstellen für die in Kap. 2 ausgewählten Use-Cases und die damit möglichen Anwendungsszenarien im Einzelnen betrachtet.