Auswirkungen auf das Fahrwerkskonzept

Während für die manuelle Fahrt ein Fahrwerk mit üblichen Anforderungen benötigt wird, ermöglichen lange Phasen der autonomen Fahrt die Entkopplung des oder der Insassen vom Fahrgeschehen. Die Automatisierung benötigt weder das „Popometer“ für die Fahrdynamik, noch die Quer- und Längskraftwirkung, die mit der Fahrzeugbeschleunigung auf den Insassen wirkt. Sie kann auf die bewegungserfassenden Sensoren, die schon seit Langem für die elektronische Stabilitätsregelung verwendet werden, zurückgreifen, um die Trajektorie sowohl dynamisch als auch komfortabel zu regeln.

Ein Neigefahrwerk, wie im schienengebundenen Verkehr schon lange bekannt, könnte zumindest die üblichen moderaten Querbeschleunigungen von 1–2 m/s² kompensieren, wozu Gesamtneigungswinkel von etwa 6°–12° benötigt werden. Dieser Gesamtneigungswinkel lässt sich durch den Neigungswinkel der Fahrbahn, den Fahrzeugaufbauwankwinkel und den Sitzwinkel darstellen (s. Abb. 13.4). Für die Seitenkraftkompensation erscheint es möglich, diese allein durch das Fahrwerk zu realisieren, wie die 2014 erfolgte Markteinführung im S-Klasse Coupé-Modell von Mercedes-Benz in ersten Zügen zeigt. Die für die Längskraftkompensation notwendigen Ein- und Ausfederungen betragen hingegen mehr als das Doppelte des heutigen Einbzw. Ausfederwegs. Wollte man auch hier eine Kompensation im genannten Bereich erreichen, kann dies nur mit einer (alleinigen oder zusätzlichen) Sitzverkippung realisiert werden.

So faszinierend der Gedanke einer längs- und querkraftfreien Fahrt insbesondere für Ruhezeiten auch sein mag, so problematisch wird er bei gewünschter visueller Ankopplung des Menschen an die Umwelt werden, da dann der visuelle Eindruck nicht mehr mit dem kinästhetischen und vestibularen Eindruck übereinstimmt. Aber selbst bei visueller Ent-kopplung kann die Drehbeschleunigung, die im Vestibularorgan sensiert wird, zu Unwohlsein führen, da sie im Gegensatz zur translatorischen Beschleunigung nicht kompensiert werden kann, sofern die Fahrgastzelle nicht gegenüber der Fahrzeugrichtung drehbar ist. Darüber hinaus ist die Neigungsverstellung nicht ohne Drehraten und -beschleunigungen durchzuführen, wodurch die Neigedynamik stark herabgesetzt wird. So wäre bei einer Wahrnehmungsgrenze für die Drehbeschleunigung (Rollen) von 4 °/s², wie sie aus Experimenten heraus bestimmt wurde [6, 7] , der Zielwinkel für die Beschleunigungskompensation erst nach etwa 2,5 s erreicht. Dies kann bei einer sehr vorausschauenden autonomen Fahrweise ohne externe Störgrößen, wie z. B. andere Fahrzeuge, auf die mit höheren Beschleunigungsänderungen reagiert werden muss, in der Trajektorienplanung gerade noch berücksichtigt werden. Die verwendete Wahrnehmungsgrenze ist das Ergebnis eines Experiments und somit abhängig von dem zugrunde liegenden Testaufbau. Andere Experimente liefern abweichende Werte abhängig von dem entsprechenden Testaufbau, der Drehachse sowie der Testperson (0,3–6 °/s²). Eine Zusammenstellung unterschiedlicher Studien zu diesem Thema ist in [7, 9] zu finden.

Leichter erscheint es, die Beeinträchtigung durch vertikale Kräfte auszugleichen. In Kombination mit der Frontumfeldsensorik sollte ein Sänftengefühl möglich werden, das gegebenenfalls für sicherheitsrelevante Manöver abgeschaltet wird, um der Fahrdynamik Priorität einzuräumen. Elektronisch gesteuerte Luftfederkonzepte mit Verstelldämpfern oder vollaktive elektromechanische Feder-Dämpfereinheiten könnten die Basis für eine solche Sänfte sein. Dabei sind zur Vermeidung von niederfrequenten Nickbewegungen, ursächlich für die „Seekrankheit“, entsprechende Vorkehrungen in der Regelung zu treffen.

Auswirkungen auf den Innenraum und die Mensch-MaschineInteraktion

Durch die Notwendigkeit des Verfügbarkeitsfahrers muss immer ein Fahrerarbeitsplatz zur Verfügung stehen. Daher wird die Einrichtung des Innenraums davon geprägt sein, dass in der vorderen Reihe ein instrumentierter Platz bereitsteht. Somit sind keine größeren Innenraumkonzeptveränderungen im Rahmen der hier betrachteten Use-Cases (Autobahnautomat und Vollautomat) zu erwarten. Alternativ zur heute bekannten Fahrzeugsteuerung durch den Menschen per Lenkrad und Pedale kann ein alternatives Steuerungskonzept implementiert sein, das auf teilautomatisierte Grundfunktionalitäten aufsetzt, womit auch andere, Platz sparende Bedienelemente verbunden sein können. Ansonsten findet sich bei mehreren Konzeptfahrzeugbeispielen die Möglichkeit, die Bedienelemente, im Besonderen das Lenkrad, an einen weniger störenden Platz zu bewegen, womit bei der autonomen Fahrt der Raum vor dem Fahrer für das „Alternativprogramm“ zur Verfügung steht. Eventuell ist auch eine Art Verriegelung der Betätigungselemente notwendig, damit nicht aus Versehen auf die Betätigungselemente zugegriffen wird und eine unbeabsichtigte Übernahme stattfindet.

Neben der Nutzung des Fahrerarbeitsplatzes als mobiles Büro zum Arbeiten oder als Medienplattform zur Unterhaltung ermöglicht die autonome Fahrt die Nutzung der Fahrzeit zur Erholung oder zur Kommunikation mit Mitfahrern. Entsprechend lassen Fahrzeuge bei diesem Use-Case erwarten, dass die Sitzkonzepte den jeweiligen Bedürfnissen Rechnung tragen, wobei vieles schon in heutigen Fahrzeugen, wenn auch nicht für den Fahrersitz, verwirklicht wurde.

 
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