Modell für stationäre Verkehrszustände – Fundamentaldiagramm
Das Fundamentaldiagramm ist die grafische Abbildung der Zustandsgleichung des Verkehrs, also des funktionalen Zusammenhangs zwischen den Kenngrößen Verkehrsstärke q, Verkehrsdichte k und mittlerer momentaner, d. h. abschnittsbezogener Geschwindigkeit v und stellt eine Kurve im dreidimensionalen Raum dar. Die orthogonalen Projektionen der Kurve auf die von jeweils zwei Kenngrößen aufgespannten Ebenen ergeben die in Abb. 16.2 gezeigten bekannten Ansichten des Fundamentaldiagramms. Die resultierenden drei Diagramme ermöglichen vielfältige Aussagen über die Charakteristik des Verkehrsflusses an einem Querschnitt und werden als q-v-Diagramm, q-k-Diagramm und k-v-Diagramm bezeichnet.
Das Fundamentaldiagramm lässt erkennen, dass bei gleicher Verkehrsstärke ql zwei unterschiedliche Qualitäten des Verkehrsablaufs auftreten können. Die Schwelle qmax trennt für qi < qmax den Bereich hoher Geschwindigkeiten bei geringen Verkehrsdichten, also den freien und stabilen Verkehrsablauf, vom Bereich mit relativ niedrigen Geschwindigkeiten und hohen Verkehrsdichten, dem Bereich des instabilen und gestörten Verkehrsablaufs. Empirische Untersuchungen zeigen, dass der Übergang zwischen den beiden Bereichen
Abb. 16.3 Fundamentaldiagramm mit getrennten Bereichen für stabilen und instabilen Verkehr für einzelne Fahrstreifen bzw. zweistreifige Fahrbahn [8]
nicht wie in der idealisierten Form in Abb. 16.2 kontinuierlich verläuft. Vielmehr erfolgt bei hohen Verkehrsstärken, ausgelöst durch Störungen im Verkehrsablauf, ein Übergang aus dem stabilen in den instabilen Bereich, der mit einem deutlichen Rückgang der Verkehrsstärke verbunden ist (s. Abb. 16.3).
Aus diesen Überlegungen heraus haben May und Keller [9] drei Formen des auftretenden Verkehrs charakterisiert:
• den freien Verkehr mit hohen Geschwindigkeiten und geringen Verkehrsstärken und
-dichten,
• den teilgebundenen Verkehr, bis zu dem Bereich maximaler Verkehrsstärken, optimaler Geschwindigkeit und Verkehrsdichte,
• den gebundenen Verkehr mit hohen Verkehrsdichten, geringen Verkehrsstärken und Geschwindigkeiten.
Kapazität und Stabilität
Die Effizienz des Verkehrssystems ist abhängig von der Kapazität einer Verkehrsanlage, die als die „größte Verkehrsstärke, die ein Verkehrsstrom bei gegebenen Weg- und Verkehrsbedingungen an dem für ihn bestimmten Querschnitt erreichen kann“ definiert ist [3]. Die Kapazität bestimmt sich durch die Dichte der Fahrzeugkolonne und die Geschwindigkeit, mit der die Fahrzeugkolonne den Querschnitt passiert.
Die Verkehrsdichte wird durch die Abstände zwischen den Fahrzeugen festgelegt. Dabei gilt die Faustregel, dass der Sicherheitsabstand in Metern, den ein Fahrer zum voraus-
Abb. 16.4 Verteilungsfunktionen der Zeitlückenverteilung für unterschiedliche Verkehrsnachfragen und Geschwindigkeitsbeschränkungen [2]
fahrenden Fahrzeug einhalten soll, den halben Wert der aktuellen Geschwindigkeit in Kilometern pro Stunde beträgt. Diese allgemein bekannte Regel des „halben Tachoabstands“ geht von einer Reaktionszeit aus, die kleiner als 1,8 s ist, da bei diesem Wert und gleichbleibender Geschwindigkeit genau der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zurückgelegt wird. Dieser Mindestabstand wird auch üblicherweise in der Rechtsprechung gefordert (s. z. B. [7]). Für Lkw schreibt die Straßenverkehrsordnung bei Geschwindigkeiten über 50 km/h ausdrücklich einen Mindest-Wegabstand von 50 m vor, der bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge über 7,5 t auf Autobahnen eine Zeitlücke von 2,25 s erfordert.
Ausgehend von einer Reaktionszeit von 1,8 s kann in einem einfachen Ansatz die Kapazität eines Fahrstreifens also mit etwa 2000 Fahrzeugen pro Stunde angesetzt werden. Dies gilt gleicherweise für Stadtstraßen wie für Landstraßen oder Autobahnen. Empirische Untersuchungen zeigen allerdings, dass die Zeitlücken im Mittel deutlich unterhalb der 1,8 s liegen und insbesondere bei hohen Verkehrsstärken Werte um die 1,0 s einnehmen. Die 15 %-Perzentile der Verteilung liegt in diesen Fällen sogar bei Werten unter 0,5 s (s. auch Abb. 16.3). Dies bedeutet, dass 15 % der Fahrzeuge mit Zeitlücken, die kleiner als 0,5 s sind, auf das vorausfahrende Fahrzeug folgen. Abb. 16.4 zeigt für unterschiedliche Verkehrsstärkebereiche und unterschiedliche Geschwindigkeitsbeschränkungen die korrespondierenden Zeitlückenverteilungen.
Aufgrund der geringen Folgeabstände bei relativ hohen Geschwindigkeiten werden in empirischen Untersuchungen auch Kapazitäten ermittelt, die deutlich über den genannten
Abb. 16.5 Messwerte für Fünf-Minuten-Intervalle im q-v-Diagramm und die zugehörige Kapazitätsverteilung für einen zweistreifigen Autobahnquerschnitt [1]
2000 Kfz/h liegen können. Ferner zeigen diese Untersuchungen, dass es keinen exakten Wert gibt, bis zu dem der Verkehrsfluss immer stabil verläuft und genau dann zusammenbricht, wenn dieser Wert überschritten wird. Vielmehr ist zu beobachten, dass die Kapazität eine Zufallsgröße darstellt, die durch eine Verteilung dargestellt werden kann. Untersuchungen [1] an vielen Streckenabschnitten zeigen, dass Kapazitäten von Autobahnen typischerweise Weibull-verteilt sind und z. B. für dreistreifige Richtungsfahrbahnen eine Standardabweichung von ca. 600 Kfz/h (gemessen in Fünf-Minuten-Intervallen) und damit eine unerwartet breite Variabilität aufweisen.
Der Erwartungswert der Kapazität entspricht in dieser stochastischen Sichtweise einer Nennkapazität und stellt das 50 %-Perzentil der Verkehrsstärkewerte dar, die Ausgangspunkt eines Zusammenbruchs waren. Je näher die Verkehrsbelastung an dieser Nennkapazität bzw. darüber liegt, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit des Zusammenbruchs und eines Staus.
Der Zusammenbruch führt in allen Fällen über den Zustand des synchronisierten Verkehrs zum Stau, und auch die Erholung verläuft über den synchronisierten Verkehr zurück zu einem stabilen Verkehrsablauf mit höheren Geschwindigkeiten (s. Abb. 16.6). Die Verkehrsstärke geht in den Übergängen zum synchronisierten bzw. zum gestauten Verkehr jeweils zurück, und eine Erholung erfolgt auf einem niedrigeren Niveau. Dieser Effekt des capacity drop wird dadurch verursacht, dass die Fahrer beim Verlassen der stromabwärtigen Staufront einen größeren Abstand einhalten als zuvor im fließenden Verkehr vor dem Zusammenbruch.
Nach Hall und Agyemang-Duah [6] liegt dieser capacity drop bei 5–6 %, Untersuchungen von Brilon und Ponzlet [10] auf deutschen Autobahnen ergaben Werte zwischen 4 und 12 %.
Abb. 16.6 Muster der Verkehrsdynamik mit den Übergängen zwischen den Zuständen des stabilen in den synchronen und gestauten Verkehr. Die Werte wurden an einer dreistreifigen Fahrbahn in Fünf-Minuten-Intervallen gemessen [1]