Unfalldatensammlungen der Automobilhersteller

Um Erkenntnisse zum Unfallgeschehen aktueller Fahrzeuge zu sammeln und die Produktbeobachtungspflicht zu erfüllen, führen heute interdisziplinäre Expertenteams von Automobilherstellern und Zulieferern, gemeinsam mit Krankenhäusern und der Polizei, Unfallanalysen vor Ort durch. Mit diesen Ergebnissen lässt sich die Wirksamkeit aktuell eingeführter Fahrzeugsicherheitssysteme fortlaufend verbessern.

Außerdem dient die Analyse von Unfallereignissen durch den Hersteller der Einhaltung vorgeschriebener Pflichten und der Beobachtung möglicher Produktgefahren, die durch die Nutzung entstehen können. Nach § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) haftet ein Automobilhersteller für Folgeschäden seiner Produkte, die im Rahmen des bestimmungsgemäßen oder vorhersehbaren Gebrauchs durch den Fahrer oder sonstige Personen durch einen Fehler auftreten. Deshalb muss ein Automobilhersteller Informationen über die Verwendung von Fahrzeugen und innovativen Systemen sammeln und analysieren. Je gefährlicher ein Produkt ist, desto höher sind die Schutzpflichten, das Produkt im Entwicklungsprozess abzusichern und darüber hinaus zu beobachten [15], (s. Kap. 21, 23, 28).

Unter den Automobilherstellern begann Mercedes-Benz bereits Ende der 1960er-Jahre, gemeinsam mit der Polizei im Landkreis Böblingen, Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Mercedes-Fahrzeugen zu untersuchen. Zwei Jahre später konnte die Mercedes-Unfallforschung mit Erlaubnis des Ministeriums auf regelmäßige telefonische Informationen und Einsicht in die Unfallakten der Polizei in Baden-Württemberg zurückgreifen. Spätestens seit den 1970er-Jahren begannen auch andere Hersteller wie BMW im größeren Rahmen Kollisionen mit Beteiligung eigener Fahrzeuge zu untersuchen und zu speichern. Volkswagen begann Ende der 1960er-Jahre eine Zusammenarbeit mit dem Haftpflicht-, Unfall-, Kraftversicherer-Verband (HUK-Verband) und seit 1985 mit der Medizinischen Hochschule Hannover MHH (GIDAS-Vorläufer). Auch der Volkswagen-Konzern erhebt seit 1995 eigene Daten [11].

Interdisziplinäre vertiefte Unfallanalysen der Automobilhersteller unter Beteiligung neuer Fahrzeugtypen mit aktueller Sicherheitstechnik und insbesondere die Einbindung von Funktionsentwicklern ermöglichen nachvollziehbare Potenzialaussagen zu Fahrerassistenzsystemen. Allerdings ist die begrenzte Anzahl von ungefähr 100 Fällen pro Jahr, ausschließlich mit Beteiligung der eigenen Fahrzeugmarke, von ihrer statistischen Aussagekraft her nicht mit GIDAS-Daten vergleichbar.

Unfalldaten des Gesamtverbands

der Deutschen Versicherungswirtschaft

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Nachfolgeorganisation des HUK-Verbandes, verfügt über dokumentierte Informationen des Schadensgeschehens aus Kraftfahrtschäden deutscher Versicherer, wenn auf Basis vertraglicher Zusagen Schadensersatz geleistet wurde. Diese Daten nutzt der GDV beispielsweise zur Einstufung von Versicherungsverträgen oder auch zur Ermittlung des Sicherheitspotenzials von Fahrerassistenzsystemen [16].

Die Unfallforschung der Versicherer hat Zugriff auf alle dem GDV gemeldeten Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Schadensfälle. Leider sind die Daten nicht öffentlich zugängig. Die Durchführung von Unfallanalysen erfolgt nicht direkt vor Ort, und die Unfallaufnahmekriterien sind nicht einheitlich. Außerdem endet das Interesse einer Versicherung an Einzelheiten eines Falles, wenn feststeht, dass sie zahlungspflichtig ist. Daher existieren bei unumstrittenen Fällen nur wenig detaillierte Daten zur Ursache. Bei AlleinUnfällen mit nur einem Beteiligten – wie beispielsweise bei sogenannten Fahrunfällen, wenn der Fahrer die Kontrolle über das Fahrzeug verliert – sind meist keine Daten zur Ursache verfügbar [11].

Unfalldatensammlungen von Verbraucherverbänden (ADAC)

Die ADAC-Unfallforschung wird seit 2005 aufgebaut. Sie besteht aus einer Kooperation zwischen der ADAC-Luftrettung und dem ADAC-Technikzentrum. Aus den Rettungsflügen werden bislang jährlich bundesweit Informationen über ca. 2500 schwere Unfälle in der ADAC-Unfalldatenbank gesammelt. Die Unfalldaten stammen von Polizei, Ärzten, Feuerwehren und Kfz-Sachverständigen [17].

ADAC-Unfalldaten beinhalten Informationen zu Verkehrsunfällen mit Schwerverletzen. Darunter sind Luftbilder mit den Endlagen der Fahrzeuge und eine detaillierte medizinische Diagnostik. Auf Aktenbasis besteht die Möglichkeit für ergänzende Einzelauswertungen. Jedoch sind die Daten nicht öffentlich zugänglich. Es erfolgt keine abschließende interdisziplinäre Reflektion mit den jeweiligen unfallaufnehmenden Personen.

 
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