Wirtschaftskrise

Im Folgenden werden die Vorstellungen der Schüler über die Wirtschaftskrise dargestellt. Dafür soll zunächst ein Überblick über die Vorstellungen von den Ursachen der Wirtschaftskrise gegeben werden. Im Anschluss werden die verschiedenen Bewertungen der „Hilfspakete“ vorgestellt. Für die gesonderte Darstellung der Vorstellungen über die „Hilfspakete“ gibt es zwei Gründe: Erstens führen die Schüler diese „Hilfspakete“ im Sprechen über die Wirtschaftskrise sehr häufig an. Zweitens ermöglicht die Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Vorstellungen einen Einblick in die Art und Weise, wie Schüler über Wirtschaftsregulation denken. Alle Schüler wurden auf die Wirtschaftskrise – und die Mehrheit auch auf ihre Ursachen und ihre politischen Konsequenzen – angesprochen. Während sich nur wenige Schüler die Wirtschaftskrise erklären konnten, gaben knapp die Hälfte – sowohl am Gymnasium als auch an der Hauptschule – Bewertungen der „Hilfspakete“ ab.

Die meisten haben von der Wirtschaftskrise gehört. Die Schüler beziehen sich dabei zum Teil explizit auf diejenigen Positionen, die in der Medienberichterstattung viel Raum einnehmen. Wie viele Schüler gibt Firas (Gym23) an, dass er davon schon gehört habe. Er glaubt, dass es mit „Problemen mit Arbeitsplätzen und all so was“ zu tun habe. (311–312) Es werden weitere Aspekte assoziiert, die mitunter darauf aufmerksam machen, dass die Schüler die Wirtschaftskrise als eine ernstzunehmende Gefahr betrachten. Auffällig ist, dass die meisten Schüler nicht in der Lage sind, Ursachen der Wirtschaftskrise zu nennen. Während Wissen über die ursächlichen Zusammenhänge der Wirtschaftskrise kaum vorhanden ist, haben viele Schüler stereotype Bilder im Kopf, die sich in vereinseitigender Weise auf die Wirtschaftskrise beziehen und eher als Bruchstücke aus dem medialen Diskurs zu sehen sind. Beispielsweise Memnun (HS08) fällt unter dem Stichwort „so Griechenland und wegen Geld, Schulden und so was“ ein. Auf Nachfrage konkretisiert er und führt an, „dass wir Griechenland […] mit Geld“ helfen würden.

Die“ hätten „hohe Schulden“ bei „uns“. Er denkt, dass „Deutschland nicht so viele Schulden hat, also auf dem ersten Platz“ von denjenigen sei, „die nicht so viele Schulden haben“. Memnun höre auch „immer so Witze“, zum Beispiel: „Lass uns zu Griechenland gehen, wir brauchen denen ja nichts zu bezahlen, wir geben denen ja schon Geld.“ Nach einer kurzen Lachpause fügt er aber an, dass er es „nicht so richtig genau“ wisse und „Griechenland entscheiden“ müsse. (489–508) Fast ausnahmslos wird Griechenland als Beispiel für Krisenländer genannt, von einigen auch Zypern, Spanien und Portugal.

Insgesamt erklären sich fünf Schüler (HS: 2, Gym: 3) die Wirtschaftskrise über endogene Faktoren in den jeweils genannten Krisenländern Südeuropas, während vier (HS: 2, Gym: 2) das Handeln von Banken als ursächlich ansehen. Einige Beispiele für endogene Faktoren werden im folgenden Absatz vorgestellt. Das Spektrum der Ansätze, die in einem vermeintlich defizitären Verhalten des jeweiligen Krisenlandes die Ursache sehen, reicht von der dominierenden Vorstellung der Korruption bis hin zu recht pauschal gehaltenen Hinweisen auf eine falsche Geld-, Schuldenund Lohnpolitik.

Jannik (Gym01) denkt, dass die Wirtschaftskrise in Griechenland „durch Korruption ausgelöst“ wurde. Außerdem sei es so, dass „wenn halt Leute in ihrem Staat die Steuern nicht zahlen, hat der halt kein Geld. Das ist halt so. Das ist ein Grundgesetz. [lacht]“. (486–490) Finn (HS04) versteht zunächst unter Wirtschaftskrise, dass die Griechen Probleme mit „ihrer Währung“ gehabt haben und

eine Art Inflation für die“ gedroht habe – auch weil die „zu hoch verschuldet“ waren. Den Grund dafür wiederum sieht Finn darin, dass „so ein Typ […] das ganze Geld von dem ganzen Land auf den Kopf gehauen“ habe. Statt das Geld „für sein Land“ auszugeben, habe er der „Familie noch Geld gegeben“ und Geld „ins Ausland gebracht“, zum Beispiel die „Schweiz“, „weil es eben dort nicht versteuert wird“. „Also deswegen denke ich mal, dass das Land durch diese Person, und dieser Staat eben auch, mit dem untergegangen ist vom Geld her.“ (409–442) Felix (HS05) sieht als Grund für die Wirtschaftskrise, dass „die [immer] viel zu viel Geld ausgegeben“ und „die Bürger […] viel zu viel Geld gekriegt“ hätten. (453–454)

Clara (Gym11 hält „so viele Schulden“ für das „Hauptproblem“. Den Grund für die Schulden vermutet sie darin, dass der Euro „vielleicht zu viel Wert“ habe und es „deswegen […] nicht in dem Land“ ginge, weil „die Arbeiter auch nicht so viel verdienen dann“. (306–321) Melina (Gym08) sieht als möglichen Grund für die Wirtschaftskrise, dass der „Import und Export […] halt nicht gut klappt“. (525) Insgesamt werden die hier vermuteten Ursachen der Wirtschaftskrise vorsichtig und spekulierend formuliert.

Ganz anders argumentieren diejenigen, die exogene Faktoren – insbesondere die Praktiken von Banken – als Grund für die Wirtschaftskrise anführen. Alexander (Gym05) vermutet, dass die Ursachen der Wirtschaftskrise „was mit Banken […] und auch mit den reichen Ländern“ zu tun habe, weiß aber nicht genau was. (255–256) Auch Mark (Gym09) führt die Banken an, die „ja irgendwie Geld geliehen“ hätten. Irgendwann hätten „die Länder das Geld nicht zurückzahlen“ können, vor allem, weil da „dann noch die Zinsen oben drauf“ gekommen seien, war das

dann ein bisschen zu viel. Und dann mussten sie sich verschulden.“ (419–422) Oktay (HS19) wird konkreter, wenn er kritisiert, dass man die Wirtschaftskrise auch hätte „verhindern müssen eigentlich“. Er moniert, dass „die amerikanischen Banken […] da mehr aufpassen sollen, wem sie ihr Geld geben und wem nicht“. (501–507) Niklas (HS17) fällt zunächst der Zeitpunkt ein: „2008 oder so, ne?“ Dann erklärt er: „Die Wirtschaftskrise hat ja in Amerika angefangen. Weil ja die Banken und so Kredite einfach rausgegeben haben an teilweise Nicht-Kreditwürdige. Und somit ist dann halt das Geld nur noch rausgegangen, aber kein Geld mehr reingekommen.“ Die Banken dort hätten „dann ja mit Banken aus anderen Ländern gearbeitet. Und somit hat sich das damit dann ausgebreitet. Dass die amerikanischen Banken jetzt zum Beispiel bei Nachbarbanken was geliehen haben und dann sind die halt wieder pleite gewesen. Und dann hat sich das halt weiter so ausgebreitet.“ (348–357) Die beiden Hauptschüler Niklas und Oktay stellen in der Untersuchungspopulation mit ihrem Hintergrundwissen eine Ausnahme dar.

Im Gegensatz zu der gezeigten Verunsicherung bei der Erklärung der Wirtschaftskrise werden die Bewertungen der „Hilfspakete“ von den Schülern umso sicherer und eindeutiger formuliert. Dabei ist zunächst bemerkenswert, dass ausnahmslos alle Schüler, die hierzu eine Bewertung vornehmen, die Krisenpolitik der EU in der Logik von „Hilfe“ beschreiben. So findet beispielsweise Mahamadou (Gym04) die EU gut, weil die sich so „die ganze Zeit gegenseitig“ helfen würden. Mit dem „Rettungsschirm“ würden immer „ein paar Milliarden […] dahin geschickt werden. Nach Griechenland, Spanien, Portugal.“ (459–468) Noch deutlicher wird die Vorstellung einer bedingungslosen Hilfe von Dogan (HS10) formuliert. Er assoziiert mit dem Stichwort Eurokrise direkt das vermeintlich helfende und altruistische Verhalten Deutschlands und verknüpft die Eurokrise so mit anderen außenpolitischen Schauplätzen: „Mhm, Eurokrise? Das Deutschland auf jeden Fall hilft oft. Also ist mir so aufgefallen. Nicht nur Griechenland. Ich meine das auch in Afghanistan. Dass die da einfach helfen.“ (453–454)

Im Folgenden wird ein Überblick über die verschiedenen Bewertungen der „Hilfspakete“ gegeben. Ein Gymnasiast denkt, dass es „sinnvoll ist, solche Hilfspakete zu verteilen“, weil „es Griechenland hilft“ und den „Zusammenhalt der EU“ zeige. (Gym05, 441–443) Zwei Gymnasiasten und ein Hauptschüler befürworten die „Hilfe“ ebenfalls, allerdings aus anderen Gründen. Sie führen als Grund an, dass es wichtig „für uns“ sei. So denkt beispielsweise Fabian (Gym06), dass sich die Länder „gegenseitig retten […], damit der Euro weiter stabil bleibt“ (61– 62). Ähnlich argumentiert Jakob (HS14), da es „schon fatal […] für Deutschland […] oder die gesamte EU“ wäre, falls Griechenland bankrott gehen würde, weil Griechenland „ein sehr großes Exportland“ sei. (150–153) Zwei Gymnasiasten betonen, dass die „Hilfe“ an Bedingungen geknüpft sein müsse. So findet Mark (Gym09) es richtig, dass Griechenland erst mal „innerhalb von ein paar Monaten“ durch „Sparen“ zeigen müsse, dass sie „Schulden dann wegkriegen oder [sich] zumindest stabilisieren können“. Er befürwortet die von der EU geforderte Austeritätspolitik, indem er ausführt, dass die Krisenländer „noch strenger […] ihre Ausgaben eingrenzen“ sollten, wenn sie das Geld bekommen wollen. Als Motivation führt er an, dass im Falle Griechenlands ein Scheitern sowohl dem Euro als auch dem „Ruf Europas“ schaden würde. Andererseits warnt er davor, dass „man sich am Ende selbst“ verschulden könnte. (467–486)

Während bei den Befürwortern der gegenwärtigen Krisenpolitik der EU ein leichtes Übergewicht von Gymnasiasten festzustellen ist, stehen den „Hilfspaketen“ tendenziell mehr Hauptschüler als Gymnasiasten skeptisch gegenüber. Timo (Gym19) findet es eigentlich gut, dass dort geholfen wurde. Gleichzeitig führt er aber an, dass „Staaten, die Pleite gehen, mit Milliarden geholfen wurde […], und jetzt zum Beispiel hier in Deutschland bei den Flutopfern keine Hilfe mehr möglich sein kann“. Die anderen Länder sollten dann jetzt auch Deutschland helfen, „weil Deutschland jetzt auch ziemlich viel für die anderen getan“ habe. (414–422) Auch Michael (HS18) steht der Krisenpolitik skeptisch gegenüber. Nachdem er verschiedene Argumente abgewogen hat, kommt er – nach eigener Aussage inspiriert von einem Treffen der Marinejugend – zu folgendem Schluss: „Ich finde D-Mark war wirklich besser.“ Das sei sein „Geschmack“, weil „jetzt sind – ich weiß jetzt nicht wie viele – aber mehr als zehn werden es schon mindestens sein die Euro haben. Und wenn wir da die ganze Zeit das Geld da hin geben und die geben es wieder nach da. Und wenn wir jetzt nur DM haben können wir ja auch nicht da was geben und da was geben.“ (178–184) Finn (HS04) findet die Hilfe „verkehrt“, weil es „in Deutschland […] immer noch Lücken“ gäbe. Als Beispiel nennt er „Hartz IV Empfänger, die arbeiten gehen wollen, aber keine Arbeit kriegen“ würden. Die Politiker sollten erstmal „in ihrem eigenen Land das noch weiter hochheben […], danach können sie den anderen dann helfen“. (285–291) Finn führt an, dass er spätestens dann gegen die „Hilfe“ gewesen sei, als er in den Nachrichten gehört habe, „dass die sagen: ‚Deutschland sind Nazis' und so was. Dass wir eben ein dummes Land sind“. Diese Undankbarkeit findet er „ungerecht gegenüber uns“, weil „wir nur geholfen“ hätten. (454–458)

 
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