Erhöhung der Produktsicherheit automatisierter Fahrzeuge auf der Basis von Expertenerfahrungen aus Haftungs- und Gewährleistungsansprüchen
Erfahrungen aus Produktkrisen
Sichere automatisierte Fahrzeuge werden zukünftig weiterhin von integrierten Qualitätsmanagementsystemen [15, 16] und sicheren Interaktionen [17] abhängig sein. Oft waren in der Vergangenheit insbesondere fortschrittliche und erfolgreiche Fahrzeuge von Produktkrisen betroffen.
28.4.1.1 Fehlerhafte Zulieferteile
Folgende Beispiele dokumentieren, wie Teile eines Zulieferers Auslöser für weitreichende Produktkrisen geworden sind.
Der Ford Explorer galt als weltweit meistverkauftes Sport Utility Vehicle. Im Mai 2000 kontaktierte die NHTSA in den USA die beiden Konzerne Ford und Firestone wegen eines auffällig häufigen Auftretens von Reifenschäden durch die Ablösung von Laufflächen. Betroffen waren der Ford Explorer, Mercury Mountaineer und Mazda Navajo. Alle waren werkseitig mit Firestone-Reifen ausgestattet. Nach Reifenschäden kam es bei höheren Geschwindigkeiten zu Schleuderunfällen mit Überschlägen und tödlichem Ausgang. So standen Firestone-Reifen auf Ford-Explorer-Fahrzeugen im Zusammenhang mit über 200 tödlich verletzten Personen in den USA und mehr als 60 Toten in Venezuela. Im gerichtlichen Vergleich bezahlten Ford und Firestone 7,85 Millionen Dollar. Insgesamt betrugen die Schadenersatz- und Strafzahlungen 369 Millionen Dollar. Zum teuren Rückruf von mehreren Millionen Reifen wurden zusätzlich im Anschluss Fehler in der Krisenkommunikation begangen: Die verantwortlichen Manager schoben sich gegenseitig öffentlich die Schuld zu. So zerbrach die über 100 Jahre alte freundschaftliche Geschäftsbeziehung der beiden Unternehmen. Bereits 1895 hatte Harvey Firestone Reifen an Henry Ford für die Produktion seines ersten Automobils verkauft. Im weiteren Verlauf der Krise kam es zu eklatanten Imageschäden mit Einbrüchen der Verkaufszahlen für beide Parteien [18].
Einen weiteren Beispielfall für mangelhafte Zulieferteile gab General Motors (GM) im Februar 2014 bekannt. Durch die Folgen der Wirtschaftskrise 2009 stand der Automobilkonzern kurz vor der Insolvenz und hatte nach einer staatlichen Rettungsaktion erstmals wieder Gewinne ausgewiesen sowie Preise für neue Modelle erhalten. Doch der Schalter des Zündschlosses einiger Modelle war scheinbar seit 2001 zu schwach ausgelegt, weshalb der Zündschlüssel während der Fahrt in die Position „Aus“ zurückspringen konnte. In diesem Fall schalten sich Motor, Bremskraftverstärker, Servolenkung und die Airbags ab. Die GM-Ingenieure waren mit dem Vorwurf konfrontiert, den Sicherheitsmangel trotz früher Warnzeichen mehr als zehn Jahre lang ignoriert zu haben. Der Konzern wurde deshalb bereits wegen eines verschleppten Rückrufs zu einer Geldstrafe von 35 Millionen Dollar verurteilt und sieht sich nach Massenrückrufen über Jahre mit milliardenschweren Schadenersatzklagen von Unfallopfern und Fahrzeugbesitzern konfrontiert [19].
28.4.1.2 Angeblich selbstbeschleunigende Fahrzeuge
Fahrzeuge mit automatisiertem Eingriff in die Längs- und Querführung bergen erhebliche Risiken und eine Angriffsfläche für die Behauptung, es sei unerwünschtes Lenkoder Beschleunigungsbzw. Verzögerungsverhalten aufgetreten. Mit dem Vorwurf der ungewollten Beschleunigung (unintended acceleration) durch angebliche technische Mängel standen in der Vergangenheit bereits einige Automobilhersteller im Kreuzfeuer der Medien. Vor allem in den USA hätten Fahrzeuge selbstständig beschleunigt und dadurch tödliche Unfälle verursacht. Betroffene Fahrer lösten deshalb Klagewellen aus, die seit Jahrzehnten andauern.
Ein Beispiel hierfür waren die Vorwürfe gegen Toyota, einem weltweit erfolgreichen und für Qualität bekannten Konzern. Toyota schnitt bei einer Kundenzufriedenheitsstudie des amerikanischen Marktforschungsunternehmens J.D. Power and Associates in den Jahren 2002, 2004 und 2005 sehr gut ab. Doch 2009 war Toyota mit Vorwürfen wegen angeblich selbstbeschleunigender Fahrzeuge konfrontiert. Auslöser waren zunächst einzelne Vorfälle von verrutschten Fußmatten, die für ein Verklemmen des Gaspedals verantwortlich gewesen sein sollen. Dann wurde behauptet, die Fahrzeuge hätten wegen mechanisch klemmender Gaspedale während der Fahrt unerwünscht beschleunigt. Da Toyota aus Sicht der NHTSA nicht ausreichend schnell auf die Vorwürfe reagiert hatte, warf man dem Unternehmen eine Verschleierung von Sicherheitsproblemen im Zusammenhang mit mehr als 50 Todesfällen in den USA vor. Neben den Zahlungen zum Schadensausgleich musste Toyota 2010 eine außergewöhnlich hohe Geldbuße von 16,4 Millionen Dollar an die Behörde bezahlen. Daraufhin folgten weitreichende Rückrufaktionen und Schadensersatzklagen [20].
Ein weiteres Beispiel für einen nachgewiesenen technischen Fehler, der zu unerwünschten Beschleunigungen führte, zeigt eine Rückrufaktion der NHTSA vom Juni 2014. Die Adaptive Cruise Control von Geländefahrzeugen der Firma Chrysler reduzierte die Geschwindigkeit nach einem vorübergehenden Übertreten nicht wieder auf die gesetzte Geschwindigkeit, sondern beschleunigte unerwünscht weiter. Unfallopfer waren keine zu beklagen. Die kurzfristig eingeleitete Rückrufaktion beschränkte sich auf 6082 Fahrzeuge [21].