Malaysia
Historische Entwicklung und aktuelle Herausforderungen
Die geographische Lage Malaysias an einer der zentralen Routen des arabisch-indischchinesischen Seehandels hat wesentlich die geschichtliche Entwicklung des Landes geprägt. Bereits vor der Ankunft der europäischen Kolonialmächte war das Sultanat Malakka eines der wichtigen Handelszentren in Südostasien und prägte den nordwestlichen Teil des malaiischen Archipels kulturell, indem es zur Verbreitung des Islams beitrug. Die Eroberung Malakkas durch die Portugiesen (1511) bildete den Anfangspunkt der Kolonialgeschichte Malaysias. Allerdings galt das Interesse der Portugiesen lediglich der Sicherung der Gewürzroute nach China (Andaya und Andaya 2001, S. 58) sowie der christlichen Missionierung. Darüber hinaus verfolgten die Portugiesen jedoch keine weiterreichenden militärischen oder wirtschaftlichen Ziele, sodass eine Erschließung des malaysischen Hinterlandes nicht erfolgte (Osborne 1979, S. 69). Im 16. Und 17. Jahrhundert sahen sich die Portugiesen wiederholten Angriffen seitens des Sultanats von Johor ausgesetzt, welcher seinerseits die Kontrolle über die regionalen Handelsströme anstrebte. Die holländische „Vereinigte Ostindische Handelskompanie“ („Vereenigde Oostindische Compagnie“, VOC) zeigte ebenfalls Interesse an Malakka, um sich die Zinnvorkommen in Perak und ihre Handelsrouten nach Java zu sichern. Mit der Unterstützung Johors vertrieben die Holländer 1641 die Portugiesen aus Malakka. Die reichen Zinnund Goldvorkommen auf der malaiischen Halbinsel weckten schließlich auch die Begehrlichkeiten der britischen „Ostindien-Kompanie“ („East India Company“). Das führte 1786 zum Erwerb des an der Westküste der Halbinsel gelegenen Handelsposten
Steckbrief
Bevölkerung |
Jahr der Unabhängigkeit |
Staatsform |
29,6 Mio. |
1957 |
Monarchie |
Territorium |
Jahr der geltenden Verfassung |
Staatsoberhaupt |
329.657km2 |
1957 |
König Tuanku Abdul Halim Mu'adzam Shah (seit 11.04.2012) |
BIP p.c. (2005 PPP, 2012) |
Amtssprachen |
Regierungschef |
$ 14.774 |
Bahasa Malaysia |
Mahamed Najib bin Abdul Najib Razak (seit 03.04.2009) |
Ethnische Gruppen |
Demokratiestatus (BTI 2014) |
Regierungssystem |
50,4 % Malaien, 23,7 % Chinesen, 11 % Inder, 11 % Indigene, 7,8 % Andere |
5,23a |
Parlamentarisch |
Religionsgruppen |
Regimetyp |
Regierungstyp |
60,4 % Muslime, 19,2 % Buddhisten, 9,1 % Christen, 6,3 % Hindus, 4,9 % Andere, Unbekannt oder keine Religion |
Gemäßigte Autokratie |
Mehrparteienkoalition |
Quelle: CIA (2014); Bertelsmann Stiftung (2014)
a Skala 1–10, höhere Werte zeigen höheren Demokratiegrad.
Penang. In der Folge bauten die Briten schrittweise ihren Herrschaftsbereich aus. Von großer Bedeutung war hierbei die Übernahme des strategisch günstig gelegenen Singapur (1819). Als Teil des Britisch-Niederländischen Vertrages ging Malakka schließlich 1824 an die Briten über und wurde zwei Jahre später mit Penang und Singapur zu den
„Straits Settlements“ („Siedlungen an der Meeresstraße“) zusammengeführt, welche von 1867 bis 1946 direkt der britischen Krone unterstanden.
Nach der direkten Kolonialverwaltung in den „Straits Settlements“ strömten zahlreiche Migranten vom chinesischen Festland und dem indischen Subkontinent ins Land. Vor allem den Chinesen gelang rasch der soziale Aufstieg, indem sie erfolgreich den Anbau von Maniok, Pfeffer und Gambir betrieben, die Kontrolle über die Zinnund Goldminen erlangten oder sich als Kaufleute im singapurischen Freihafen betätigten (Ryan 1976; Hirschmann 1986; Andaya und Andaya 2001, S. 139–142). Insbesondere der ökonomische Erfolg der chinesischen Einwanderer sorgte jedoch zunehmend für interund intraethnische Spannungen (Miller 1965, S. 105): Malaiische Kaufleute wurden von ihren chinesischen Konkurrenten verdrängt, während chinesische Bauern sich weigerten, Steuern an die lokalen Notabeln zu entrichten (Andaya und Andaya 2001, S. 144). Zudem kam es innerhalb der chinesischen Gemeinde zu Kämpfen zwischen verschiedenen „Geheimbünden“, die ihre Konkurrenz um Marktanteile auf offener Straße austrugen (Ryan 1976, S. 139).
Innerhalb der Kolonialverwaltung reifte die Überzeugung, das eigene Engagement auf der Halbinsel auszuweiten, um für stabile politische Verhältnisse zu sorgen. Mit dem Vertrag von Pangkor (1874) weiteten die Briten graduell ihre Kontrolle über Britisch-Malaya aus. Hierbei kombinierte die Kolonialverwaltung Formen der direkten mit Formen der indirekten Kolonialherrschaft (Lange 2009, S. 25). Die damit einhergehende Heterogenität der verschiedenen politisch-administrativen Strukturen und Arrangements zeigte sich in der Aufteilung Britisch-Malayas in die „Federated Malay States“ („Föderierte Malaiische Staaten“), die „Unfederated Malay States“, die „Straits Settlements“ sowie die Protektorate Britisch-Nordborneo (das heutige Sabah) und Sarawak.
Mit den lokalen Regenten der Staaten von Perak (1874), Selangor (1874), Negeri Sembilan (1874 bis 1895) und Pahang (1888) wurden Herrschaftsverträge geschlossen, in denen festgelegt wurde, dass den Sultanen ein britischer Berater („Resident“) zur Seite gestellt wurde (Harper 1999, S. 18). Den „Ratschlägen“ dieser Residenten war Folge zu leisten, außer in Fragen, die die lokalen Bräuche oder religiöse Angelegenheiten betrafen (Andaya und Andaya 2001, S. 162). Diese vier Staaten wurden 1895 als „Federated Malay States“ unter eine zentralisierte Verwaltungsstruktur gestellt.
Die „Unfederated Malay States“ – Johor und die vier nördlichen Staaten Kelantan, Terengganu, Kedah sowie Perlis – hingegen blieben bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur lose mit dem Britischen Empire verbunden und behielten ihre traditionalen Herrschaftsverhältnisse sowie eine malaiisch-dominierte Administration (Ryan 1976, S. 176 ff.; Andaya und Andaya 2001, S. 201). Erst in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurden auch hier britische Berater installiert.
Die verschiedenen kolonialen Strukturen hatten Auswirkungen auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Landesteilen, die bis heute spürbar sind. So profitierten die direkter verwalteten „Federated Malay States“ und die „Straits Settlements“ von einer besseren Infrastruktur, der Etablierung eines britischen Rechtssystems sowie staatlicher Wirtschaftsförderung und wiesen daher bei der Unabhängigkeit ein deutlich höheres Entwicklungsniveau auf als die Landesteile unter indirekter Herrschaft (Kennedy 1962, S. 187ff; Lange 2009, S. 184 f.).
Bis heute bedeutsam sind vor allem die Veränderungen in der Ethnographie der malaiischen Halbinsel infolge des Zustroms von Indern und Chinesen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand die Bevölkerung der malaiischen Halbinsel zu etwa 90 % aus Malaien (Smith 1952, S. 9 ff.). Bis 1931 sank der malaiische Bevölkerungsanteil auf 50,1 % (vgl. Tab. 7.1). Die administrative Kontrolle und wirtschaftliche Integration historisch unterschiedlich gewachsener Kulturräume durch die Kolonialmächte erzeugte jene Form von Gesellschaft, die John Furnivall als „plurale koloniale Gesellschaft“ bezeichnet hat, d. h. eine aus verschiedenen ethnischen Gemeinschaften, in der verschiedene Gruppen „aufgezwungen von der Kolonialmacht und dem Zwang wirtschaftlicher
Tab. 7.1 Bevölkerungsanteile und Einkommensunterschiede nach ethnischen Gruppen auf der malaysischen Halbinsel (1911–1957)
Malaien |
Chinesen |
Inder |
||||
Bevölkerung |
Haushaltseinkommen |
Bevölkerung |
Haushaltseinkommen |
Bevölkerung |
Haushaltseinkommen |
|
1911 |
1370 |
– |
693 |
– |
239 |
– |
1921 |
1569 |
– |
856 |
– |
439 |
– |
1931 |
1864 |
– |
1285 |
– |
571 |
– |
1947 |
2428 |
– |
1884 |
– |
531 |
– |
1957 |
3126 |
134 |
2334 |
288 |
707 |
228 |
Bevölkerung in 1000 Personen, durchschnittliches Haushaltseinkommen in malaysischen Ringgit zu konstanten Preisen von 1959.
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach Hirschman (1975) und Hashim (1997, S. 6)
Bedingungen“ (Furnivall 1970, S. 186) koexistierten, sich aber nicht in einer gemeinsamen „Sozialordnung“ integrierten. Der ausbleibende Assimilationsprozess spiegelte sich auch in einer Art ethnischer Arbeitsteilung wider: Chinesen etablierten sich als Zwischenhändler, Unternehmer und Gewerbetreibende (Snodgrass 1975, S. 263), wohingegen Inder größtenteils auf den Gummiplantagen Arbeit fanden. Malaien betätigten sich als Bauern und besetzten mit wenigen Ausnahmen sämtliche Posten in Verwaltung, Polizei und Armee, die Nicht-Europäern offen standen (Jomo 1986; Funston 2001, S. 161). Das förderte die Einkommensungleichheit zwischen den Volksgruppen: Als Britisch-Malaya 1957 die Unabhängigkeit erlangte, war das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Chinesen mehr als doppelt so hoch wie das der Malaien.
Mit der japanischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg (1942–1945) unterstand Britisch-Malaya erstmals einer Zentralregierung, wodurch die einzelnen Gebietskörperschaften und die lokalen Machthaber an Einfluss verloren (Andaya und Andaya 2001,
S. 258). Der Zusammenbruch der malaysischen Exportwirtschaft verschärfte ethnische Spannungen, da arbeitslose chinesische und indische Minenarbeiter, die zur Subsistenzlandwirtschaft gezwungen waren, auf Anbauflächen drängten, die bislang den Malaien vorbehalten waren. Zudem versuchten die Japaner die Unterstützung der Malaien zu gewinnen, indem sie nationalistische Gruppen förderten (Osborne 1979, S. 126). Die chinesische Bevölkerung hingegen sah sich massiver Repression ausgesetzt und organisierte sich in der „Malayan Peoples' Anti-Japanese Army“ (MPAJA), deren Rückgrat die „Malaiische Kommunistische Partei“ (MCP) bildete (Harper 1999, S. 37; Andaya und Andaya 2001, S. 260 f.). Die Einheiten der MCP blieben auch nach dem Abzug der Japaner unter Waffen und kontrollierten Teile des Landes. Das wiederum schürte unter den Malaien die Furcht davor, dass die Chinesen die Kontrolle über das Land anstrebten[1].
Angesichts des erwachten pan-malaiischen Nationalismus und des kommunistischen Aufstands sah sich die britische Kolonialmacht nach der japanischen Kapitulation vor dem Problem, die Machtübergabe und damit den Prozess der lokalen Selbstverwaltung auf der Halbinsel einzuleiten sowie für einen Ausgleich zwischen den ethnischen Gemeinschaften zu sorgen (Berger 2009, S. 33). Ein 1946 implementierter Vorschlag für eine selbstverwaltete „Malaiische Union“ der „Federated Malay States“ und der „Unfederated Malay States“ einschließlich Penang und Malakkas stieß auf den erbitterten Widerstand der malaiischen Eliten, die eine Beschneidung ihrer traditionellen Rechte zugunsten der chinesischen Bevölkerungsgruppe befürchteten (Berger 2009, S. 33). Um ihrer Ablehnung Nachdruck zu verleihen, schlossen sich 41 malaiische Organisationen im Mai 1946 in der „United Malays National Organization“ (UMNO) zusammen. Das politische Sprachrohr der indischen Gemeinde, der 1946 gegründete „Malayan Indian Congress“ (MIC), stand der Union ebenfalls skeptisch gegenüber und forderte umfassendere Partizipationsmöglichkeiten für die Nicht-Malaien (Milne 1967; Milne und Mauzy 1978).
Daher sahen sich die Briten 1948 dazu gezwungen, die Union aufzulösen und an ihrer Stelle die „Federation of Malaya“ zu gründen. Innerhalb der Föderation behielten die Sultane ihre Souveränität und die Bundesstaaten erhielten umfangreiche Zuständigkeitsbereiche. An den Privilegien der Malaien hinsichtlich des Zugangs zu Verwaltungsposten wurde festgehalten und das Staatsbürgerrecht wurde so restriktiv gefasst, dass nur etwa 10 % der Chinesen die Erfordernisse erfüllten (Andaya und Andaya 2001, S. 268). Das stieß wiederum auf Ablehnung der 1949 gegründeten „Malayan Chinese Association“ (MCA).
Im Vorfeld der Parlamentswahlen 1955 bildeten UMNO, MCA und der MIC ein Parteienbündnis („Alliance“) aller drei großen ethnischen Gemeinschaften. Der nun zustande gekommene Elitenkompromiss zwischen den Volksgruppen sah vor, dass der Islam als Staatsreligion und malaiisch als Nationalsprache verankert sowie die Kompetenzen der malaiischen Sultane in der Verfassung festgeschrieben wurden. Weiterhin sollte der multiethnischen Regierungsallianz immer ein malaiischer Ministerpräsident vorstehen (Mauzy 2006, S. 53). Im Gegenzug erhielten die im Land lebenden Chinesen und Inder die Staatsbürgerschaft sowie volle politische Partizipationsrechte und bekamen den Schutz ihres Besitzes im Rahmen einer liberalen Wirtschaftsordnung garantiert (Crouch 1996). Dieses Machtteilungsarrangement, das als „Bargain“ (Abmachung) in die Geschichte Malaysias einging, wies einige Elemente einer konsoziativen Demokratie (Lijphart 1977) auf, wie z. B. die Gewährung kultureller Autonomie, Machtteilung und Kooperation zwischen den Eliten innerhalb einer multiethnischen Koalition sowie Repräsentationsrechte für Minderheiten, unterschied sich jedoch in einem wichtigen Punkt – der Festschreibung malaiischer Vorherrschaft – von diesem Modell (Case 1996).
Mit der Unabhängigkeit der „Federation of Malaya“ im August 1957 war die Machtübergabe der Briten an die Allianz unter Führung des malaiischen Ministerpräsidenten Abdul Rahman abgeschlossen. Im August 1963 wurden Singapur, Sarawak und Sabah (vormals Britisch-Nordborneo) in die Föderation aufgenommen, die mit „Malaysia“ ihre bis heute gültige Bezeichnung erhielt. Die Eingliederung Singapurs brachte jedoch den bestehenden Elitenkompromiss aus der Balance. Die singapurische „People's Action Party“ (PAP; vgl. Kap. 11) lehnte die UMNO-dominierte Allianz ab und beabsichtigte mit weiteren Parteien eine Oppositionsplattform zu gründen, die auf der Idee eines „Malaysischen Malaysias“ fußte, in dem alle Ethnien gleiche Rechte und Privilegien genießen sollten.
Dieser Herausforderung begegneten die malaiischen Eliten 1965 mit dem Ausschluss Singapurs aus der Föderation. Die kommunalen Spannungen, die sich v. a. an der Frage der Landessprache entzündeten, ließen sich dadurch aber nicht eindämmen und zeigten deutlich die mangelnde Integrationskraft des „Bargain“. Sie entluden sich nach den Parlamentswahlen am 13. Mai 1969 in Straßenkämpfen („May 13th incident“) zwischen Malaien und Chinesen, bei denen in Kuala Lumpur 196 Personen getötet wurden (Vorys 1975).
Als Reaktion verhängte die Regierung den Ausnahmezustand und setzte die parlamentarischen Institutionen aus. Die Kommunalwahlen wurden abgeschafft und restriktive Sicherheitsgesetze wie der aus der Kolonialzeit stammenden „Internal Security Act“ (ISA) dazu genutzt, die politische Ordnung in eine autoritäre Richtung zu lenken (Pepinsky 2007, S. 117). Zugleich wurden fast alle Oppositionsparteien unter Führung der UMNO in eine Vielparteienkoalition mit dem Namen „Barisan Nasional“ (BN – Nationale Front) kooptiert (Means 1991). Flankiert wurden diese Maßnahmen durch die „New Economic Policy“ (NEP), durch die der Staat sehr viel stärker als zuvor ins Wirtschaftsgeschehen eingriff. Ziel der Neuen Wirtschaftspolitik war es, das Wohlstandsgefälle zwischen Indern und Chinesen auf der einen Seite sowie den „Bumiputera“ („Söhne der Erde“), d. h. Malaien und die indigene Bevölkerung Sabahs und Sarawaks, auf der anderen zugunsten der Bumiputera zu verringern. Zudem wurde mit „Rukunegara“ (Nationale Prinzipien) ein nationales Leitmotiv vorgegeben, das die Klammer für die kulturell heterogene Gesellschaft bilden sollte.
In den folgenden Jahrzehnten erwies sich die BN als kohäsive Regierungskoalition, die ihre Machtposition ausbauen konnte und ein kompetitiv-autoritäres Regime errichtete, indem Mehrparteienwahlen zwar als „Hauptweg zur Macht“ (Levitsky und Way 2010, S. 13; Schedler 2006) anerkannt waren, die Ausgangsund Rahmenbedingungen für die politische Konkurrenz zwischen der BN und den Oppositionsparteien aber zugunsten der Nationalen Front verzerrt waren (Case 2011; Hwang 2003; Slater 2003). Die Legitimation des Regimes und die Kooptation strategisch wichtiger Teileliten und Bevölkerungsgruppen wurde durch die Wachstumsdynamik und Modernisierung
Tab. 7.2 Ungleichverteilung von Einkommen und Besitz in Malaysia (1970–1995)
Malaien |
Chinesen |
Inder |
Durchschnittliches Haushaltseinkommen (in Ringgit)
1970 |
172 |
394 |
304 |
1979 |
492 |
938 |
– |
1990 |
940 |
1631 |
– |
1995 |
1600 |
2896 |
– |
Anteil am gesamten malaysischen Unternehmenskapital
1970 |
2,4 |
27,2 |
– |
1985 |
19,1 |
33,4 |
– |
1990 |
20,3 |
44,9 |
– |
1995 |
20,6 |
40,9 |
– |
Armutsquote
1970 |
64,8 |
26,0 |
39,2 |
1984 |
25,8 |
7,8 |
10,1 |
1990 |
20,8 |
5,7 |
8,0 |
Quelle: Crouch (2001); Haque (2003); Yusoff et al. (2000)
des Wirtschaftssystems erleichtert: Während Zinn und Kautschuk 1957 insgesamt 85 % der Exporte des Landes ausmachten (Andaya und Andaya 2001, S. 277), sank der Anteil des Primärgütersektors am BIP p.c. zwischen 1970 und 1990 von 44 auf 15,5 % (Embong 1998, S. 89). Das Pro-Kopf-Einkommen stieg von 1973 bis 1998 um durchschnittlich 6,6 % pro Jahr (vgl. Tab. 2.8) und die nationale Armutsquote sank zwischen 1970 und 1993 von 52,4 auf 13,4 % (Jomo 2001, S. 16).
Die wirtschaftliche Transformation brachte eine neue malaiische Mittelschicht hervor, die gemäß des eingeführten Quotensystems vor allem in staatlichen Betrieben sowie in der Verwaltung angestellt war und die Machtbasis der Barisan Nasional bildete (Haque 2003). Zugleich begünstigten die engen Verbindungen zwischen Politikern der Regierungskoalition und Wirtschaftseliten das Entstehen eines weitläufigen Patronagenetzwerks, („money politics“, vgl. Yik Koon Teh 2002), das gleichfalls zur Stabilität der politischen Ordnung beitrug.
Obgleich die NEP eine deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen der Bumiputera erzielen konnte, blieb die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zwischen den ethnischen Gruppen bestehen (vgl. Tab. 7.2). Zwar ging der Anteil der in Landund Forstwirtschaft sowie in der Fischerei beschäftigen Malaien zwischen 1957 und 2000 von 73 auf 21,5 % zurück (Haque 2003, S. 253). Infolge dieser Entwicklung öffnete sich jedoch die Einkommensschere zwischen ländlicher und städtischer (malaiischer) Bevölkerung sowie zwischen Mittelschichten und Unternehmern einerseits und Arbeitern und Bauern andererseits. So stellt Means (1986, S. 113) fest, dass die Verringerung der Ungleichheit zwischen Chinesen und Malaien auf Kosten einer größeren ökonomischen Ungleichheit innerhalb der ethnischen Gruppen erreicht wurde.
Auch als Reaktion auf diese Entwicklung kam es unter der zwei Jahrzehnten andauernden Regierungszeit von Ministerpräsidenten Mahathir (1981–2003) zur autoritären Verhärtung des Regimes: Die vormals recht unabhängige Justiz wurde ihrer Autonomie beraubt, Kritiker innerhalb und außerhalb der UMNO wurden ausgeschaltet und die politischen und bürgerlichen Freiheitsrechte verschlechterten sich deutlich (Slater 2003, S. 83).
Ähnlich wie Indonesien und Thailand wurde auch Malaysia hart von der asiatischen Währungsund Finanzkrise 1997/1998 getroffen. Im Gegensatz zu Suharto in Indonesien konnte sich die BN jedoch trotz des Entstehens einer oppositionellen Reformbewegung („Reformasi“) an der Macht halten. Ein wichtiger Grund hierfür war die weiterhin hohe Elitenkohäsion innerhalb der Regierungskoalition aufgrund gemeinsamer politischer und wirtschaftlicher Interessen (Case 2011, S. 453). Grundlegende politische Reformen blieben auch unter Mahathirs Nachfolgern aus.
Bereits die Proteste Ende der 1990er Jahre zeigten eine zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung über das Ausmaß der „money politics“ und den Mangel an politischen Teilhabemöglichkeiten. Bei den Parlamentswahlen 2008 verlor die Nationale Front zum ersten Mal nach 40 Jahren ihre Zweidrittelmehrheit im Unterhaus. Fünf Jahre später konnte das Oppositionsbündnis „Pakatan Rakyat“ (Volksallianz) die Mehrheit der Stimmen gewinnen, verfehlte aber die Mehrheit der Sitze im Unterhaus aufgrund des die Barisan Nasional stark bevorzugenden Wahlsystems. In den Wahlergebnissen zeigte sich, dass sich insbesondere die Mehrheit der ethnischen Chinesen von der Regierungskoalition abwendete, was zu wachsenden Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen führte. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Erosion des bei der Unabhängigkeit gefundenen Elitenkompromiss steht Malaysia daher vor der Herausforderung, einen neuen Gesellschaftsvertrag zum Ausgleich der divergierenden Interessen zu finden.
- [1] Der Aufstand scheiterte, nachdem die Kolonialverwaltung 1948 den Notstand („Emergency“) ausrief und eine erfolgreiche Strategie der polizeilichen, militärischen und politischen Aufstandsbekämpfung implementierte (Stubbs 1979). Obgleich der „Emergency“ bis 1960 anhielt, waren die Kommunisten bereits Mitte der 1950er Jahre besiegt.