Weiterführende Ideen jenseits von Konfrontation
1. Nicht immer ist Konfrontation die passende Reaktion auf Fehlverhalten. Sollte ein Kind hartnäckig und glaubhaft darauf bestehen, dass der Bus Verspätung hatte, muss man das akzeptieren. Es muss aber überprüft werden, ob das den Tatsachen entspricht. Dadurch zeigt man dem Kind, dass man seine Aussagen ernst nimmt.
2. In Alis Fall kann es sein, dass er immer zu spät kommt, weil er morgens auf sich gestellt ist. In manchen Familien gehen die Eltern sehr früh arbeiten und die Kinder müssen morgens allein zurechtkommen. Sollte dies der Fall sein, empfiehlt es sich, Kontakt mit den Eltern aufzunehmen und Absprachen zu treffen. Alleine die Konfrontation löst nämlich keine tief greifenden Probleme! Hier benötigt das Kind Unterstützung. Auch diese gehört flankierend zur Konfrontation.
Vorbemerkungen
Hakan ist 17 Jahre alt und macht eine Druckerlehre in München. Er war hin und wieder in kleinere Schlägereien verwickelt, wurde aber nie polizeilich auffällig. Er ist schnell reizbar und ungeduldig. Die Lehrstelle hat er nur angenommen, weil er keine Alternative hatte. Sein eigentliches Ziel, ein Studium der Betriebswirtschaftslehre, musste er aufgeben. Im Vorfeld seiner Lehre hat er sich erkundigt, wie er zu einem Studium kommen kann. Dabei zeigte sich, dass er nur über den zweiten Bildungsweg eine Chance hat, nämlich den erfolgreichen Abschluss einer Berufsausbildung. Er hat sich zwar als Bankbzw. Versicherungskaufmann beworben, bekam aber durchweg Absagen, weil er nur einen Hauptschulabschluss hat. Seine Eltern wollen unbedingt, dass er studiert und viel Geld verdient, damit er für sie und seine zukünftige Familie sorgen kann. Es geht ihm also bei der Druckerlehre nicht darum, dieses Handwerk wirklich zu erlernen, sondern er ist nur an der Bescheinigung einer abgeschlossenen Lehre interessiert. Den Anforderungen in der Berufsschule kommt Hakan nur sehr ungern nach und lässt sich immer wieder von anderen Dingen, wie z. B. SMS schreiben oder Zeitung lesen, ablenken. An einem Montag sollen die Schüler Farben mischen, um ein Gefühl für Farbzusammensetzungen zu bekommen. Während alle Schüler ihre Sachen erledigen, spielt Hakan mit seinem Mobiltelefon und liest dabei Zeitung. Der Lehrer sieht das und konfrontiert Hakan mit seinem Verhalten.
Möglicher Gesprächsverlauf
L: Hakan, was machst du hier?
H: Ja, ich muss noch etwas erledigen, Herr Langfried.
L: Das, was du erledigen musst, ist Farben mischen. Sonst nichts.
H: Ja, das mache ich schon. Ich muss schnell noch eine SMS schreiben. L: Das interessiert mich nicht. Du sollst die Farben mischen.
H: Aber Herr Langfried, ich muss meiner Mutter schnell eine SMS schreiben. Sie ist nämlich krank. Ich muss ihr das schreiben, wissen Sie?
L: Weiß deine Mutter, dass du jetzt in der Schule bist? H: Natürlich weiß das meine Mutter.
L: Also, dann erwartet deine Mutter auch keine SMS von dir. H: Natürlich!
L: Deine Mutter weiß ganz genau, dass man im Unterricht kein Handy benutzen darf.
H: Ja, aber ich muss ihr trotzdem eine SMS schreiben. L: Was haben wir vereinbart?
H: Ja, das mache ich schon!
L: Ich habe dich gefragt, was deine Aufgabe ist. H: Ja, Farben mischen halt.
L: Und warum machst du das dann nicht?
H: Ich habe gesagt, dass ich eine SMS schreiben muss. L: Wann habe ich dir diese Aufgabe gegeben?
H: Ja, um neun Uhr halt. L: Wie spät ist es jetzt?
H: Ja, weiß nicht. Ich hab keine Uhr.
L: Auf deinem Handy gibt es eine Uhr. Schau doch mal drauf. H: Ja, 10.20 Uhr.
L: Eine Stunde und zwanzig Minuten. Und du willst mir sagen, dass du so lange eine SMS schreibst!
H: Ja, ich weiß nicht.
L: So, du kommst jetzt mit. H: Wohin?
L: Wir gehen Farben mischen.
H: Ja, gehen Sie schon mal vor. Ich komm schon. L: Ich habe gesagt, du kommst mit, sofort.
H: Ja, ist ja gut.
L: So, hier sind die Sachen, die du brauchst. Ich komme in zehn Minuten wieder. Bis dahin ist die Sache erledigt. Und ich will keine Widerrede mehr hören. Sind wir uns einig?
H: Ja, ist ja gut.
Wie auch in Alis Fall muss das Fehlverhalten des Jugendlichen, neben der Erledigung seiner Aufgabe, weitere Konsequenzen haben. Im Idealfall wurden diese im Kollegium allgemein festgelegt und sind den Schülern bekannt. Zum Beispiel könnte der Lehrer das Handy verwahren, bis die Aufgabe erledigt ist.
Vorteile der Konfrontation
In diesem Fall hört sich Herr Langfried Hakans Begründung an, lässt sich aber von seinem Auftrag, nämlich dem Farbenmischen, nicht abbringen. Das
Benutzen von Mobiltelefonen ist zwar nicht erlaubt, aber Herr Langfried verwendet das in einem anderen Kontext, indem er Hakans Behauptung, dass er nicht weiß, wie spät es ist, widerlegt: Hakan hat ja sein Handy, auf dem er die Uhrzeit feststellen könnte. Herr Langfried bleibt grundsätzlich auf der Sachebene. Würde der Lehrer in Frage stellen, dass die Mutter krank ist, könnte Hakan sehr gut von der eigentlichen Aufgabe ablenken. Es würde nur darum gehen, ob der Jugendliche lügt oder nicht. Der Lehrer würde im Zweifelsfall als
„herzloser“ Mensch entlarvt, weil er einen Jugendlichen davon abhält, sich um seine Mutter zu kümmern. In solchen Diskussionen haben die pädagogischen Fachkräfte in der Regel „schlechte Karten“.
Weitere Tipps und Ideen
In einer ruhigen Minute, wenn die Konfrontation und der Konflikt beigelegt wurden, sollte der Lehrer sich erkundigen, ob es der Mutter des Jugendlichen gut geht. Es kann tatsächlich sein, dass sie krank ist und er nicht gelogen hat. Damit wird dem Jugendlichen signalisiert, dass der Kontext, in dem er argumentiert hat, nicht der richtige war.