Denkweisen der Schüler
Während die Wahrnehmung und Bewertung der Globalisierung in einigen Untersuchungsbereichen schichtspezifisch differierte, war im ökonomischen Bereich eine weitgehende Uniformität der Denkweisen festzustellen. So zeigte die Fragebogenuntersuchung, dass diejenigen Schüler, die mit dem Begriff „Globalisierung“ ökonomische Aspekte verbinden, die von Ihnen beschriebenen Entwicklungen mehrheitlich positiv bewerten. Die Schüler denken an individuelle und kollektive Konsumvorteile oder gehen davon aus, dass verstärkte internationale Kooperation der Völkerverständigung diene oder insgesamt zu „Fortschritt“ führe. Deutlich weniger Schüler führten dagegen negative Aspekte der ökonomischen Globalisierung wie etwa Schäden für Mensch und Natur im Zuge extensiver Produktion oder die Situation von benachteiligten Ländern im globalen Konkurrenzkampf an. Auffällig war, dass von den insgesamt 210 Schülern nur drei an mögliche negative Folgen für Arbeitnehmer dachten.
Ein dazu komplementäres Bild des Übergewichts der Perspektive von Unternehmern musste im Rahmen der Interviewstudie festgestellt werden. Während eine große Zahl von Schülern im Gymnasium wie in der Hauptschule als Ausgangspunkt ihrer Argumentation den Standpunkt der Unternehmer wählt, wird die Position von Arbeitnehmern äußerst selten eingenommen. Fast ausnahmslos zeigten sich in den Aussagen der Schüler Versatzstücke einer marktwirtschaftlich ausgerichteten Logik. Eine deutliche Mehrheit der Gymnasiasten und eine knappe Mehrheit der Hauptschüler setzt die existierende Form der Marktwirtschaft als quasi natürlich voraus. Internationale Lohnhierarchien und das darauf aufbauende Vorgehen von Unternehmen wurden dabei als alternativlos vorgestellt. Viele Schüler versetzten sich beispielsweise in die Lage von Unternehmern und begründeten Lohnsenkungen oder eine Verlagerung der Produktion in den Globalen Süden als notwendige Entscheidungen, die sich an den Erfordernissen des Marktes orientierten.
Als axiomatischer Punkt der Argumentation – insbesondere wenn es um die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich problematischen Folgen unternehmerischen Handelns geht – wurde der Markt als vermeintlich zwingendes Prinzip angeführt. Sowohl bei den Hauptschülern wie bei den Gymnasiasten finden sich dagegen kaum lebensweltlich naheliegende Bezugnahmen auf ihre potentielle Rolle als zukünftige Arbeitnehmer. Während die Schüler bereits in der 9.Jahrgangsstufe dazu tendieren, problematische Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt aus der Position von Unternehmen zu schildern, finden sich in den insgesamt 44 Interviews keine Bezugnahmen auf Rechte von Arbeitnehmern. Während viele Schüler sich unaufgefordert in die Lage von Unternehmern versetzen, spricht kaum ein Schüler von sich aus gewerkschaftliche Positionen an. Marginal – nur durch einen Hauptschüler und drei Gymnasiasten vertreten – sind Standpunkte, die sich jenseits der Marktlogik bewegen. Zum einen wird hier dafür plädiert, die Regeln der Marktwirtschaft zugunsten ethischer Prinzipien einzuschränken. Zum anderen zeigte sich ein Verständnis sozioökonomischer Zusammenhänge, das von einem gesellschaftlichen Antagonismus zwischen den Interessen der Reichen und der Armen ausgeht.