Vorstellungen über die Wirtschaftskrise als didaktischer Ansatzpunkt

Die Tatsache, dass der überwiegende Teil der Wirtschaftswissenschaften nicht in der Lage war, vor der heraufziehenden Wirtschaftskrise zu warnen, hat sie in eine Legitimationskrise gestürzt. In den Interviews zeigte sich, dass die Wirtschaftskrise ein wichtiges Thema für die Schüler darstellt. Eine ökonomische Didaktik sollte den Schülern Mittel zur Verfügung stellen, mit den gesellschaftlichen Folgen der Wirtschaftskrise umzugehen. Wie soll aber die Bezugnahme auf die hegemoniale Fachwissenschaft Ökonomie Schülern Orientierungswissen bieten, wenn diese selbst große Probleme hat, das fragliche Problem angemessen zu fassen?

Diejenigen Schüler, die Ursachen der Wirtschaftskrise nennen, reproduzieren in der Regel stereotypisierende Bilder aus den Medien, die oft mit nationalistischen und abwertenden Argumentationen verknüpft sind. Insbesondere zwei Hauptschüler, die auf die Finanzpolitik von Banken in den USA rekurrieren, stellen hier eine Ausnahme dar. Diese Schüler verfügen über sehr viele Vorstellungen zu wirtschaftspolitischen Umgangsweisen mit der Wirtschaftskrise. Interessant ist hier die sozioökonomische Differenz: Während die Gymnasiasten die „Hilfspakete“ eher befürworten, stehen ihnen die Hauptschüler tendenziell eher kritisch gegenüber. Während die Befürworter sich mit der herrschenden Krisenpolitik identifizieren und die volkswirtschaftliche Notwendigkeit der „Hilfe“ für den Euro-Raum betonen, pochen die Skeptiker eher auf nationale Konkurrenz und fordern, dass erst die Probleme im eigenen Land gelöst werden müssten, bevor man anderen Ländern helfe. Unabhängig von diesen Bewertungen konstatiert die Mehrheit der Schüler eine Verarmung oder eine gestiegene Arbeitslosigkeit für die Krisenländer.

Möglicherweise ist die Ökonomiedidaktik angesichts der Komplexität der Erklärung für die Wirtschaftskrise überfordert – zumindest dann, wenn ihr Ziel darin gesehen wird, eine wirtschaftswissenschaftliche „Wahrheit“ zu vermitteln. Gerade aufgrund der wissenschaftlich umstrittenen Ursachen der Krise und der mit der Wirtschaftskrise verbundenen Politik könnte an diesem Unterrichtsgegenstand aber die Pluralität und Heterogenität von Perspektiven im sozioökonomischen Raum interdisziplinär aufgezeigt werden.

Die Schüler könnten über die stereotypisierende Berichterstattung der Medien ebenso reflektieren wie über die sozialen Konflikte im Süden Europas, anhand derer ein vielschichtigeres Bild der Beziehung von Wirtschaft und Politik gewonnen werden kann. Der Widerstand seitens großer Teile der Bevölkerung der Länder im Süden Europas gegen eine rigide Austeritätspolitik und die damit einhergehende Entdemokratisierung lassen sowohl die herrschenden wirtschaftspolitischen Antworten auf die Wirtschaftskrise als auch das demokratische Selbstbild der EU in einem differenzierten Licht erscheinen. Am Gegenstand der Wirtschaftskrise könnten grundsätzliche, die Globalisierung betreffende Fragen bearbeitet werden, die – interdisziplinär angelegt – auch der Vereinseitigung und Verengung des Denkens des Ökonomischen, das den Markt als Kern ansieht, entgegen wirken, indem andere Perspektiven mit eingeschlossen würden.

 
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