Vom horizontalen Netz zur vertikalen Institution

Die externen Mittel und die Zusammenarbeit mit staatlichen Einrichtungen und anderen Hilfsorganisationen sollen den Gemeindegruppen dabei helfen, ihre Arbeit umsetzen zu können. Aus Sicht der NGO erfolgt durch die Gemeindeprojekte eine Optimierung der bestehenden gemeindebasierten Hilfestrukturen. Aufgrund der Formalisierung der Gemeindeorganisationen, ihrer Registrierung als juristische Personen, der Professionalisierung der Mitglieder sowie der Standardisierung der Tätigkeiten und Vorgehensweisen wie auch durch die Einführung und Übernahme des Entwicklungsdiskurses werden Anschlussmöglichkeiten an die erweiterte Geberstruktur bestehend aus anderen NGOs und den staatlichen Einrichtungen geschaffen. Die Verbindung verschiedener horizontaler sozialer Teilstrukturen zu einem lokalen Sicherungsnetzwerk und dessen linking zu staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen wirkt dabei wie der Versuch einer vertikalen Institutionalisierung sozialer Sicherungsstrukturen. Die Organisationsstrukturen der Gemeindegruppen und ihre Vernetzung zu anderen vertikalen Hilfestrukturen können als ›Vergesellschaftung‹ der gemeindebasierten Gruppen gesehen werden, da sie nicht parallel zu staatlichen Strukturen errichtet, sondern mit ihnen verbunden werden sollen. Die so entstehende vertikale Hilfestruktur reicht von den internationalen Geberorganisationen über lokale NGOs und staatliche Einrichtungen bis hin zu den einzelnen Kindern in den Gemeinden. Die Gemeindegruppen, bestehend aus unbezahlten Helfenden, werden dadurch zu adressierbaren und rechenschaftsfähigen Akteuren auf der untersten Ebene eines Netzwerks von Hilfsorganisationen. In diesem Netzwerk werden sie als Abnehmer von Hilfsmitteln verstanden, welche diese ohne finanzielle Entlohnung in direkte Hilfe für Bedürftige umsetzen und damit die eigentliche Arbeit verrichten.

Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt wurde, verfolgt der Versuch der NGO, die Gemeindegruppen und staatlichen Strukturen sowie andere Geber zu vernetzen, in erster Linie das Ziel, die Nachhaltigkeit der Gemeindegruppen zu steigern. Gleichzeitig ist festzuhalten, dass die Gemeindegruppen dabei Aufgaben des Staates übernehmen und durch ihre Arbeit dazu beitragen, bestehende Versorgungslücken auf der Gemeindeebene zu schließen. Das folgende Zitat aus einem Interview gibt einen Einblick in das dieser Hilfe zugrunde liegende Verständnis. Ein Mitarbeiter der NGO wurde hierbei zu seiner Einschätzung gefragt, warum die bestehenden staatlichen Strukturen und die Gemeindegruppen die Hilfe der NGO benötigen, um sich miteinander zu verbinden:

Francis: Aha, yes, ADCArea Development Committee. And within that Area Development Committee, there is a sub-committee that looks after, ah, the most vulnerable children. But now, as you have mentioned, the structure of government has several challenges. The need is so huge, that if all the children or all the vulnerable households are enrolled and registered in that scheme, against the limited resources, you'll find that there are very few, ah, who benefit, because of the huge demand which is there. The other issue, as you've pointed out, this is at the government side, and what they have done is that they've taken this committee to go to the village level. But the challenge they have is targeting: who is going to be a member or who is a member of that committee? How is that member selected in that committee? Is it voluntary or is by appointment? And you'll find that ‒ I'll safely say that those structures are influenced, in some way, by, ah, by what I would simply call politics. Politics of inverted commas hunger, that whoever is a member will first benefit before it reaches to those who are most vulnerable. And there is little information also trickling from the district level to the most affected people. As a result, these most affected people might know to say there is this structure, but how to get to this structure to be supported, it becomes a little bit difficult (I / FG / 6 f.).

Wie aus dem Zitat hervorgeht, werden die staatlichen Strukturen als mit der Situation der Kinder und mit der großen Nachfrage nach Unterstützung überfordert, bezeichnet. Die staatlichen Strukturen würden dabei nicht bis zu den einzelnen Haushalten reichen und die knappen zur Verfügung stehenden Mittel nicht die betreffenden Familien und Kinder erreichen. Vor diesem Hintergrund kann die Arbeit der NGO mit den Gemeinden als Ersatz für nicht vorhandene staatliche Leistungen oder als vorübergehender Versuch des Schließens einer Versorgungslücke gesehen werden. Der Staat wird in einem übertragenen Sinne

›repariert‹ und seine nicht vorhandenen Leistungen teilweise durch die Gemeindegruppen kompensiert. Die Gemeindegruppen sind in diesem Bild lokale Hilfestrukturen, die von der Graswurzelebene den staatlichen Strukturen entgegenwachsen. Durch eine Verbindung von staatlichen Strukturen und den Gemeindeorganisationen soll aus Sicht der NGO folglich ein unterbrochenes Versorgungskontinuum (wieder)hergestellt werden, wobei aus Gründen der Nachhaltigkeit auch die Übernahme der Gemeindegruppen in die staatlichen Strukturen angestrebt werden kann.

Resümee: Die organisatorische Einbindung von Gemeindegruppen

Die Herstellung der Anschlussfähigkeit der Gemeindegruppen dient nicht nur der Zusammenarbeit mit der NGO selbst, sondern auch der Zusammenarbeit mit anderen Geberorganisationen. Die einer solche Anschlussbefähigung zugrunde liegende Idee ist, dass die Gemeindegruppen dadurch in der Ausübung ihrer Arbeit bestärkt werden. Insbesondere sollen sie in die Lage versetzt werden, externe Ressourcen zu mobilisieren, um nachhaltig ihre Arbeit fortführen zu können.

Zudem wird durch diese externe Ressourcenmobilisierung erwartet, dass die Gemeindegruppen unabhängig von der Unterstützung der NGO werden. Ein solcher Wechsel der Geber kann folglich als Wechsel von ressourcenbestimmten Abhängigkeitsverhältnissen gesehen werden, in dem die NGO gegen andere Geber getauscht wird. Aus dem linking ergibt sich letztlich eine ›Exit-Option‹ für die NGO, deren Arbeit mit dem nachhaltigen Bestehen der Gemeindegruppen erledigt ist.

Nicht zuletzt wird aber durch einen solchen Anschluss der Gemeindegruppen an andere Geberorganisationen ein Distributionsnetz für Hilfe geschaffen, bei dem die Gemeindegruppen organisational die unterste Ebene der Hilfestruktur darstellen. Angesichts der Voraussetzungen für einen solchen Anschluss – die Formalisierung und Standardisierung von Hilfe – kann auch von einer graduellen

›Vergesellschaftung‹ der Gemeindehilfe gesprochen werden, durch welche nicht mehr die individuelle Einbindung der betroffenen Kinder in lokale Hilfenetzwerke im Vordergrund steht, sondern weitgehend extern festgelegte Kategorien von Hilfebedürftigkeit die Selektion der Betroffenen wie die ihnen zukommende Art der Hilfe (mit-)bestimmen.

 
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