„Integration“ als zentraler Bezugspunkt

Dies gilt nicht zuletzt auch für die weit verbreitete Vorstellung von „Integration“. Viele Schüler beantworten die Frage der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit von Migranten und People of Color [1] in der deutschen Gesellschaft unter Rückgriff auf den Begriff der „Integration“. Entsprechend der weitgehend unhinterfragten Dominanz des Integrationsdiskurses in der deutschen Öffentlichkeit problematisieren auch die Schüler die Implikationen dieses Begriffs nicht. In der rassismuskritischen Forschung der letzten Jahre wurde herausgearbeitet, wie das Integrationsdispositiv Dominanzstrukturen reproduziert und verfestigt. So wurde gezeigt, dass „Integration“ nicht nur im Alltag, sondern auch in den wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte überwiegend als Pflicht zur nationalen Assimilation auf Seiten von Zugewanderten verstanden wurde und die Schaffung von Integrationsmöglichkeiten auf Seiten der aufnehmenden Gesellschaft weitgehend aus dem Blick geraten ist (vgl. Amelina 2013, S. 120 ff.).

Dabei ist der Begriff immer umkämpft gewesen. So weisen einige neuere Veröffentlichungen darauf hin, dass es zunächst die Arbeitsmigranten der 1950er, 1960er und 1970er Jahre waren, die den Begriff nutzten, um gesellschaftliche Teilhabe einzufordern (vgl. Bojadžijev 2008). Seit den 2000ern wird der Begriff der „Integration“ von verschiedenen Akteuren mit einer deutlich anderen Zielsetzung in die politische Auseinandersetzung eingebracht. Dabei kann die gegenwärtige Integrationsdebatte in verschiedenen Bereichen an die Leitkulturdebatte der 1990er Jahre anknüpfen (vgl. Hess und Moser 2009, S. 12). Am Beispiel der von der Bundesregierung eingeführten Integrationskurse für Migranten zeigen Ha und Schmitz, dass diese zu großen Teilen als ein einseitiges Disziplinierungsinstrument anzusehen sind und in erster Linie die Funktion einer (Re-)Produktion von ausschließend verstandener, nationaler bzw. westlicher Identität erfüllt (vgl. Ha und Schmitz 2006). Das Integrationsdispositiv bringt also einerseits ein nationales Normativ hervor und kann so andererseits eine Differenzlinie – auch zu „Menschen mit Migrationshintergrund“, die schon seit Jahren oder Generationen in dieser Gesellschaft leben – ziehen und diese als „fremde Elemente, die zu integrieren seien“ (Mecheril und Thomas-Olalde 2011, S. 128) konstruieren. Vor diesem Hintergrund können dann einseitige Anpassungsleistungen verlangt werden. In Bildungsmaßnahmen gilt es, diese Ambivalenz des Integrationsparadigmas in den Blick zu nehmen und darauf zu achten, seine Prämissen nicht einfach zu reproduzieren.

Insgesamt verhalten sich nur wenige Schüler beider Schultypen explizit kritisch zu der gegenwärtigen Migrationspolitik. Doch diese kleine Gruppe an Schülern beider Schultypen bringt ein großes Spektrum alternativer Perspektiven in den Themenbereich Migration ein, die im Sinne einer Pluralisierung der Deutungsmuster für eine diversitätssensible Didaktik nutzbar gemacht werden können. Dabei scheint weniger der Schultyp als vielmehr der biographische Erfahrungsbezug eine entscheidende Rolle zu spielen.

  • [1] People of Color wird als Konzept verwendet, um alle Menschen bezeichnen zu können, die aufgrund von somatischen Merkmalen als nicht-deutsch angesehen werden. Der Begriff Migrant kann in diesen Diskussion oft irreführend sein, weil es in den Zuschreibungen, wie sie auch in der Integrationsdebatte stattfinden, oft um die (Nicht-) Zugehörigkeit von Menschen geht, die keinerlei Migrationserfahrungen aufweisen.
 
< Zurück   INHALT   Weiter >