Biographisch geprägte Zugänge

Einige Schüler thematisieren und kritisieren explizit rassistische Stereotype, mit denen die Ablehnung von Einwanderung begründet wird. Auffällig ist, dass ein großer Teil dieser Gruppe auf eigene Rassismuserfahrungen verweist und eine kritische Haltung aufgrund eigener Betroffenheit entwickelt hat. Der migrationspädagogische Ansatz geht davon aus, dass es genau die Erfahrungen von Rassismus bzw. von mit Migration verbundene Abwertungen sind, die oft in von der Mehrheitsgesellschaft dominierten institutionellen Zusammenhängen unsichtbar gemacht werden (vgl. Mecheril 2003; Melter 2006, S. 315 ff.). Um diesem Wissensausschluss entgegen zu wirken und die Erfahrungen von Schülern als Ausgangspunkt zu nehmen, muss die Didaktik politischer Bildung den Umgang mit Rassismuserfahrung konzeptionalisieren.

Dabei darf es keinesfalls darum gehen, einzelne Schüler quasi als Anschauungsobjekt vorzuführen. Vielmehr müssen Räume geschaffen werden, in denen Rassismuserfahrungen ernst genommen werden und artikuliert werden können.

Dies kann ein Ausgangspunkt für die Thematisierung migrationspolitischer Unterrichtsinhalte darstellen. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass die Lehrsituationen selbst keine rassismusfreien Räume sind. In und insbesondere nach den Interviews verwiesen mehrere Schüler auf Rassismuserfahrungen mit Lehrkräften oder Mitschülern in der Klasse. Neben einer didaktischen Konzeptionalisierung rassismuskritischer Bildung müsste auch eine Sensibilisierung von Lehrkräften auf die Agenda gesetzt werden.

Menschenrechte als Bezugspunkt

Einige wenige Schüler problematisieren aus einer radikal humanistischen Perspektive die prinzipielle Ungleichheit in der gegenwärtigen Einwanderungspolitik, die manchen Menschen Bewegungsfreiheit zuspricht und sie anderen aktiv vorenthält. Dies erscheint ihnen als Widerspruch zu einem auf Menschenrechten basierenden Anspruch universeller Gleichheit. In diesem Zusammenhang wird von einer Schülerin auf den Widerspruch zwischen dem vorgeblichem Anspruch und der Realität des Asylrechts in Deutschland hingewiesen. Damit verweist sie auf die komplexe und widersprüchliche Realität, in der nach dem Selbstverständnis der Bundesrepublik alle Menschen theoretisch das Recht auf Schutz vor Verfolgung haben. Als möglicher Ansatzpunkt für eine weitergehende Problematisierung der gegenwärtigen Einwanderungspolitik kann dabei insbesondere die Menschenrechtsbildung nutzbar gemacht werden (vgl. Scherr 2012). Rassismuskritische Ansätze analysieren das Asylsystem als Legitimation hierarchisierender Strukturen und Teil eines neuen Migrationsregimes (vgl. Karakayalı 2008; Bojadžijev 2008). Letztere Perspektive ist bisher in didaktischen Konzeptionen unterbelichtet.

 
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