„Rassismus“ als analytische Kategorie

Eine besondere Schwierigkeit bei der Thematisierung des Rassismus liegt in der Tabuisierung des Rassismusbegriffs. Zwar wird im Zuge der europaweiten Koordination verschiedener Politiken gegen Diskriminierung verstärkt auch in Deutschland der Rassismusbegriff genutzt. Im erziehungswissenschaftlichen Raum ist diese Analysekategorie jedoch noch immer weit davon entfernt, bei der Thematisierung von Migrationsphänomenen etabliert zu sein (vgl. Mecheril et al. 2010, S. 165). So wird Rassismus in der Regel mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht (vgl. Rommelspacher 2011, S. 33). Vor diesem Hintergrund wird Rassismus als etwas verstanden, womit „wir“ nichts zu tun hätten. Er erscheint als etwas, das der Vergangenheit angehört oder am gesellschaftlichen Rand verortet wird. Neben diesen Externalisierungsstrategien kommt für eine Thematisierung von Rassismus erschwerend hinzu, dass Rassismus in der Regel als personalisierte (Schuld-)Zuschreibung verstanden wird (vgl. Rommelspacher 2011, S. 33). Damit wird eine Auseinandersetzung über die strukturelle Dimension von Ausgrenzungsverhältnissen erschwert. Viel spricht hingegen dafür, Rassismus als gesellschaftliches Verhältnis zu begreifen (vgl. Bojadžijev 2008).

Fazit

Die genannten Schülervorstellungen geben wichtige Hinweise für die didaktische Reflexion. Die empirischen Befunde legen nahe, dass eine auf Kontroversität zielende Bildung insbesondere die genannten rassismuskritischen Dimensionen konzeptionell fassen muss, wenn sie den im Zusammenhang mit Migration gesellschaftlich zirkulierenden, dominanten Deutungsmustern andere zur Seite stellen will. Einerseits muss die hier angedeutete Perspektivenverschiebung betont werden, die das „Problem“ nicht nur bei Migranten verortet. Stattdessen müsste es den Schülern ermöglicht werden, auch die Dominanzund Machtstrukturen – wie etwa Rassismus, Neokolonialismus und das Migrationsregime – in den Blick zu nehmen. Dabei kann an die humanitären Bewertungen und die Empathie mit Geflüchteten angeknüpft werden. Diese Dimension stellt eine notwendige, keinesfalls jedoch eine hinreichende Basis zur Herstellung eines alternativen Deutungsmusters dar. Gesellschaftliche Strukturen und personale Erfahrungen müssen bei der Thematisierung von Rassismus in der Schule den Ausgangsund Zielpunkt pädagogischer Praxis darstellen (vgl. Leiprecht 2005, S. 334 ff.). Der Alltag aller Schüler ist – positiv oder negativ – von rassistischen Strukturen geprägt. Ziel pädagogischer Praxis wäre es, Schüler darin zu unterstützen, diese Zusammenhänge zu erfassen, sich eine kritische Haltung zu erarbeiten und sowohl soziale als auch politische Handlungsfähigkeit zu entwickeln.

 
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