Kritik aktueller Programmatiken

Zum Verhältnis von partizipativer Stadtentwicklung, neoliberaler Stadtpolitik und stadtteilbezogener Sozialer Arbeit

Tanja Klöti

Vorbemerkung

Nicht nur Professionelle aus der Sozialen Arbeit, sondern ebenso Fachpersonen aus Politik, Planung und Verwaltung sehen sich heute einer paradoxen Situation gegenüber gestellt: Partizipation wird von unterschiedlichen Seiten (Bevölkerung, Politik, Professionelle, Medien, u.a.) eingefordert, als überlegene Lösungsstrategie für (beinahe) alle gesellschaftlichen Probleme propagiert, zum Standard von „good governance[1]„ und „Nachhaltiger Entwicklung[2]„ erhoben und euphorisch als Mittel für eine demokratischere Gesellschaft (oder gar eine gerechtere Welt) gefeiert. In der alltäglichen Praxis zeigen sich jedoch vor allem die Herausforderungen und Mängel, wenn bspw. notwendige Voraussetzungen nicht erfüllt sind, gesetzte Ziele nicht erreicht wurden (oder über das Ziel hinausgeschossen wurde), wenn statt Konsens Konflikte den Prozess bestimmen oder partizipativ erarbeitete Vorschläge keinen Niederschlag in der städtischen Wirklichkeit finden. An die Stelle der „Mitwirkungseuphorie“ ist angesichts der Defizite partizipativer Verfahren deshalb Ernüchterung getreten, die auf folgende verdichtete Erfahrungen aus der Praxis zurückzuführen sind:

1. In den letzten Jahrzehnten haben nicht nur die finanziellen Ressourcen, sondern auch die Verantwortungsbereiche und Kompetenzen der politisch-administrativen Institutionen auf kommunaler Ebene abgenommen bzw. wurden an private Institutionen übertragen (Werner 2012: 74). Mit der Einschränkung des staatlichen Einflussbereiches schwindet aber auch die Möglichkeit der Bevölkerung, auf substanzielle Fragen der Stadtentwicklung Einfluss zu nehmen (Selle 2013: 64), bspw. wenn nicht die öffentliche Hand, sondern eine einflussreiche Stiftung über die Gestaltung sozialer Infrastruktur im Quartier entscheidet, oder wenn die Stadt für die Umgestaltung eines innerstädtischen öffentlichen Raumes auf private Investoren angewiesen ist. In der Schweiz zeigt sich dies bspw. an veränderten Zuständigkeitsbereichen von Bund, Kanton und Gemeinden und den damit verbundenen Umverteilungen von Steuereinnahmen (Oehler/ Weiss 2012: 3).

2. Ähnliches gilt auch für die Leistungsfähigkeit von Plänen: Räumliche Entwicklungspläne können die städtische Wirklichkeit nur bedingt beeinflussen; sie werden nie 1:1 umgesetzt, sondern dienen lediglich als Richtlinie für das Handeln der nachgelagerten Akteure. Partizipation an Planungsprozessen hat deshalb nur bedingt einen nachhaltigen Effekt auf die konkrete Stadtentwicklung (Selle 2013: 306).

3. Im Sinne von „Particitainment“ kann in den letzten Jahren eine Partizipationspraxis beobachtet werden, bei welcher nicht die Interessen der Bevölkerung, sondern die Interessen der Projektleitenden im Vordergrund stehen. Wenn partizipative Verfahren jedoch einseitig für die Legitimation des Planungshandelns instrumentalisiert werden, mutieren Partizipationsanlässe zu Unterhaltungsereignissen ohne ernsthafte Mitwirkungsmöglichkeiten (Selle 2013: 291 ff.). Auch eine intransparente Kommunikation von Seiten der Verwaltung und Projektleitung kann zu teilweise grossem Widerstand aus der Bevölkerung und der Zunahme von Misstrauen gegenüber der städtischen Politik führen. Dies gilt insbesondere für sog. städtebauliche Grossprojekte, bei welchen die Partizipation der Bevölkerung zwar realisiert wird, jedoch Inhalte, Ziele und Umsetzung solcher Projekte häufig nicht verhandelbar sind (Selle 2013: 252).

4. Häufig erleben Verantwortliche, dass an den jeweiligen Partizipationsanlässen weniger über das Projekt selbst diskutiert wird, sondern die Veranstaltung von der Bevölkerung dazu genutzt wird, weiterreichende Anliegen zu platzieren, denen die Adressaten aber im Rahmen der punktuellen und projektbezogenen Partizipation nicht gerecht werden können (z.B. Problematisierung der eigenen Arbeitslosigkeit an einer Veranstaltung zur Umgestaltung des Pausenplatzes). Dies überfordert die Verfahren und führt zu Frustrationen auf Seiten aller Beteiligten (Selle 2013: 306).

5. Eines der Hauptdefizite von Partizipationsprozessen ist die selektive Beteiligung: Evaluationen von partizipativen Planungsprozessen zeigen, dass sich häufig nicht mehr als 1% der angesprochenen Bevölkerung an solchen Verfahren beteiligen, auch wenn das Partizipationsangebot niederschwellig und breit angelegt ist (Cornwall 2008: 12, Selle 2013: 296). Da die Teilnahme an partizipativen Verfahren von den individuellen Ressourcen abhängig ist, stammen die Beteiligten meist aus einem ähnlichen sozio-ökonomischen Milieu (mittelständisch, männlich, einheimisch, mittleres Lebensalter) bzw. dominieren häufig organisierte Gruppierungen, wodurch nur selektive Interessen in den Aushandlungsprozess eingebracht werden (Arlanch 2011: 50 f., Werner 2012: 13 ff.). Dazu kommt der Umstand, dass mit der Anzahl der partizipativen Angebote die Anzahl der Beteiligten abnimmt, da diese Verfahren für Einzelpersonen einen hohen Aufwand bedeuten (Selle 2013: 296).

Es erscheint deshalb legitim und auch erforderlich, nach mehreren Jahrzehnten Erfahrung und wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit der partizipativen Stadtentwicklung einen Schritt zurückzutreten und grundlegendere Fragen zu stellen.

  • [1] Vgl. bspw. UN Commission on Human Rights (2000). Commission on Human Rights resolution 2000/64: The role of good governance in the promotion of human rights. URL: refworld.org/docid/3b00f28414.html [Zugriffsdatum: 5.3.2014].
  • [2] Vgl. bspw. General Assembly of the United Nations (2012). Resolution 66/288: The future we want. URL: un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/66/288&Lang=E [Zugriffsdatum: 5.3.2014].
 
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