“du siehst was, was ich nicht seh“ – zur Einbeziehung von Wahrnehmungen und Bedeutungen in eine sozial orientierte Stadtentwicklung
Katja Manz
Einleitung
In unterschiedlichen wissenschaftlichen Kontexten, aber auch in der (kommunal)politischen und öffentlichen Diskussion erfährt die Auseinandersetzung zur Entwicklung von Städten in den letzten Jahren eine gesteigerte Aufmerksamkeit. Dabei werden aus einer kritisch orientierten Stadtforschung die Mechanismen des Konzeptes der „unternehmerischen Stadt“, das vor dem Hintergrund der De-Industrialisierung seit den 1980er Jahren verstärkten Einfluss auf Stadtpolitiken nimmt, sowie dessen Ursachen und Auswirkungen auf das urbane Leben erörtert (vgl. z.B. Harvey 1989, Heeg/Rosol 2007, Häußermann et al. 2008, Schipper 2009).
Die Anstrengungen der Kommunen um Aufmerksamkeit im nationalen und internationalen Wettbewerb und die knappe finanzielle Haushaltslage der Stadtverwaltungen haben zur Folge, dass die Logiken der Stadtentwicklung verstärkt von unternehmerischen Konzepten bestimmt werden und u. a. auf Kosten der lokalen Sozialpolitik gehen (vgl. z.B. Berger/Schmalfeld 1999, Heeg 2001, Ronneberger et al. 1999). Weitere Aspekte sind die zunehmende Privatisierung von Wohnraum durch die Immobilienwirtschaft und das Ansteigen sozialer Ungleichheiten innerhalb der Städte, die sich insbesondere in Grossstädten wie Hamburg, Frankfurt, München oder Berlin beobachten lassen. Diese Prozesse rufen Gegenbewegungen hervor, die sich gegen einen „Ausverkauf der Städte“ wehren und mehr Selbstbestimmung und Mitwirkung in Stadtentwicklungsprozessen fordern, wie zahlreiche Forschungsansätze zum „Recht auf Stadt“ verdeutlichen (vgl. Holm/Gebhardt 2011). Gleichzeitig ist dies ein Alarmsignal für Städte, in denen diese Entwicklungen noch nicht oder nur ansatzweise festzustellen sind und wirft zudem die Frage nach den Anforderungen einer sozial orientierten Stadtentwicklung auf.
Das Vernachlässigen sozialer Aspekte und der Verlust von Lebensqualität im Kontext dieser unternehmerisch geprägten Stadtentwicklungsprozesse nehmen einen hohen Stellenwert in der aktuellen Debatte ein, welche durch eine starke Emotionalität gekennzeichnet ist. Die Auswirkungen haben nicht nur in Grossstädten Einfluss auf das urbane Leben, sondern kommen insbesondere in post-industriellen Städten zum Tragen, die durch einen starken soziodemographischen und ökonomischen Strukturwandel gekennzeichnet sind.
Anknüpfend an Jürgen Hasse, der die „Vergessenheit der menschlichen Gefühle in der Humangeographie“ (1999) bemängelt, wird in diesem Beitrag die Frage nach verschiedenen Wahrnehmungen urbaner Räume aus Sicht ihrer Bewohner und Bewohnerinnen aufgeworfen, um dadurch Rückschlüsse auf die Bedeutungen und damit verbundenen Aneignungsprozesse zu ziehen. Denn Wahrnehmungen und Bedeutungen, die einerseits Ausdruck subjektiver Empfindungen sind und andererseits durch externe Zuschreibungen beeinflusst werden, finden in der Entwicklung von Städten kaum Berücksichtigung. Urbane Räume werden dabei als ein komplexes Zusammenwirken leiblich-sinnlicher, sozial-kultureller und symbolischer Dimensionen betrachtet. Ausgehend von der Überlegung, dass sich Veränderungen in urbanen Räumen in den (alltäglichen) Lebensbedingungen ihrer Bewohner und Bewohnerinnen bemerkbar machen, stellt dies auch eine spannende Perspektive für die Quartiersforschung dar. Geprägt durch Sozialisation, Geschlecht, Alter, sozioökonomischen Status etc. sind die Perspektiven der Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt sehr vielfältig. Im Sinne einer sozial orientierten Stadtentwicklung müssen diese Differenzen identifiziert und in die Entwicklung von städtischen Räumen mit einbezogen werden, um die Lebensqualität der Bewohner und Bewohnerinnen zu sichern.
Das Ziel dieses Artikels ist es, einen methodischen Ansatz vorzustellen, der sich an folgenden Fragen orientiert: Was fühlen Bewohner und Bewohnerinnen in Bezug auf urbane Räume? Wie und warum werden diese von ihnen bewertet? Welche Empfindungen spielen dabei eine Rolle? Wie lassen sich Wahrnehmungen und Bedeutungen empirisch erfassen? Wie können diese Bedeutungen relevant für die Entwicklung von Städten sein?
Zunächst wird der Kontext sozialgeographischer (Stadt-)Forschung dargelegt, der einen theoretisch-konzeptionellen Rahmen aufspannt, um anschliessend methodologische Überlegungen und die Konzeption der Methode der urbanen Erkundung zu erläutern. Abschliessend wird ein Ausblick auf Möglichkeiten geworfen, die Wahrnehmungen und Bedeutungen städtischer Räume für eine sozial orientierte Stadtentwicklung haben könnten.