Ausblick: Möglichkeiten für eine sozial orientierte Stadtentwicklung?
Im Kontext unternehmerisch geprägter Stadtentwicklung werden soziale Aspekte zugunsten von rein ökonomischer Standortpolitik oft vernachlässigt. Um dem entgegenzuwirken, wird hier der Versuch unternommen, die Perspektive der Bewohner und Bewohnerinnen zu erfassen, da sie einen wertvollen Beitrag für eine sozial orientierte Stadtentwicklung leisten kann. Die Relevanz von Wahrnehmungen und Bedeutungen für die Entwicklung von Städten wird damit als ergänzende Erweiterung angesehen. Der Fokus liegt dabei auf dem sinnlichleiblichen Wahrnehmen, den subjektiven Empfindungen und den daraus resultierenden Bedeutungen urbaner Räume für Bewohner und Bewohnerinnen.
Der konzeptionelle Ansatz bietet auch einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Quartiersforschung: das Quartier wird als städtischer Raum betrachtet, der durch leiblich-sinnliches Wahrnehmen hervorgebracht und durch die subjektiven Empfindungen und sozial-kulturellen Erfahrungen seiner Bewohner und Bewohnerinnen gedeutet wird. Insbesondere Quartiere sind Umgebungen, in denen die emotionale Dimension von Belang ist. Durch die analytische Betrachtung der materiellen Bedingungen in denen sich räumliche Praktiken entfalten, können Rückschlüsse auf die Bedeutungen des gelebten Raumes gezogen werden. Die Berücksichtigung von Wahrnehmungen bietet damit eine Möglichkeit, Bedeutungen urbaner Räume aus Sicht der Bewohner und Bewohnerinnen zu rekonstruieren und daraus die Prozesse der Aneignung zu verstehen.
Mit der Methode der urbanen Erkundung wird eine Möglichkeit aufgezeigt, die Wahrnehmungen der Bewohner und Bewohnerinnen einer Stadt oder eines Quartiers aufzunehmen und nachvollziehbar zu machen. Das Erfassen der Aspekte emotionaler Verbundenheit und die Identifikation sozialer Orte sowie das Aufdecken verschiedener Ebenen des Empfindens bieten dafür einen Ansatz.
Damit können die Perspektiven unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht werden und zu einem erweiterten Verständnis beitragen. Für eine sozial orientierte Stadtentwicklung bietet sich die Chance, Differenzen zu erkennen, zu berücksichtigen und anzuerkennen.
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